Reform des Wahlrechts: Den Einfluss der BürgerInnen und Bürger bei Wahlen stärken

Offener Brief an die Fraktionsvorsitzenden des Landtags von Baden-Württemberg


Sehr geehrte Damen und Herren,
die vier Landtagsfraktionen haben sich für diese Legislaturperiode eine Wahlrechtsreform vorgenommen. Mehr Demokratie begrüßt diese Initiative und appelliert an Sie, mit den anstehenden Änderungen den Einfluss der Bürger und Bürgerinnen bei Wahlen zu stärken. Aktuelle Umfragen belegen, dass die Kluft zwischen Politik und Bürgern so tief ist, wie nie zuvor. Laut einer Forsa-Umfrage vom Dezember 2006 glauben 82 Prozent der Deutschen, dass das Volk politisch nichts zu sagen hat. Und noch mehr Menschen bezweifeln, dass sie mit Wahlen „in starkem Maße“ die Politik mitbestimmen können.

Mit dieser Reform des Wahlrechts könnten Sie einen großen Schritt gegen die wachsende Politikverdrossenheit zu tun und für mehr Vertrauen zwischen Bürger und Politiker sorgen. Mehr Demokratie e.V. hält dabei die Umsetzung folgender Eckpunkte für notwendig:

1. Inkompatibilität von Amt und Mandat schnell und konsequent umsetzen

Hier haben schon alle Fraktionen einer konsequenten Umsetzung zugestimmt. Als letztes Bundesland schafft Baden-Württemberg Klarheit bei der Trennung von Amt und Mandat. Eine Verschiebung auf die übernächste Legislaturperiode, auf die Zeit nach 2016, ist dagegen nicht zu begründen und würde die Glaubwürdigkeit der ganzen Wahlrechtsreform in Frage stellen.

2. Wahlkreisgrößen gerecht anpassen

In Baden-Württemberg weichen die Wahlkreise weiterhin sehr stark voneinander ab. Dies halten wir für unvereinbar mit dem Grundsatz der gleichen Wahl. Die Anpassung der Wahlkreise sollte so erfolgen, dass kein Wahlkreis mehr als 10% von der Durchschnittsgröße abweichen darf.

3. Auszählung nach Absolutstimmen

Nach einer Anpassung der Wahlkreisgrößen ist es möglich, die Zweitmandate nach wie vor über die Auszählung der Absolutstimmen zu vergeben. Bei einer Verteilung nach absoluten Stimmenzahlen und vergleichbaren Wahlkreisen profitieren Wahlkreise mit einer hohen Wahlbeteiligung durch den Gewinn zusätzlicher Mandate. Eine Austeilung nach dem prozentualen Anteil lehnen wir deshalb ab, da hier eine hohe Wahlbeteiligung in einem Wahlkreis nicht mehr honoriert wird.

Die Einführung einer Landes- oder mehrerer Regionallisten lehnen wir ab, da damit tendenziell der Einfluss des einzelnen Wählers auf die Zusammensetzung des Parlaments verringert wird.

4. Ersatzstimme einführen

Viele Wähler und Wählerinnen fürchten, dass Ihre Stimme für neue oder schon früher an der 5-Prozent-Hürde gescheiterte Parteien verloren geht. Deswegen wählen sie taktisch und nicht nach Ihrer Überzeugung. Dies ist nicht wünschenswert und verstößt auch gegen die Freiheit der Wahl. Damit Stimmen für kleine Parteien nicht länger verloren gehen, ist die Einführung einer Ersatzstimme für geboten. Das heißt, jeder Wähler hat eine „normale“ und eine Ersatzstimme. Die Ersatzstimme zählt, wenn die normale Stimme an eine Partei ging, die die 5%- Hürde nicht geschafft hat.

5. 5%-Klausel senken

Die 5%-Klausel wurde als Sperrklausel in der Bundesrepublik Deutschland nach den Erfahrungen der Weimarer Republik eingeführt. Nach über fünfzig Jahren Demokratie halten wir eine Absenkung 3 Prozent für wünschenswert und geboten, um eine bessere Repräsentation des Wählerwillens zu erreichen und politische Innovationen zu ermöglichen.

6. Wahlalter auf 16 Jahre senken

Landesthemen wie etwa Bildung betreffen insbesondere junge Menschen. Gleichzeitig sinkt der Anteil der jüngeren Wähler aufgrund des demografischen Wandels immer mehr. Um hier einen Ausgleich zu schaffen und gleichzeitig Interesse an politischen Fragestellungen bei jüngeren Menschen zu wecken, sprechen wir uns für eine Senkung des aktiven Wahlrechts auf 16 Jahre aus.

7. EU-Angehörigen Stimmrecht geben

Schon seit langem dürfen Angehörige der EU bei Kommunalwahlen in Baden-Württemberg wählen. Dies hat sich bewährt, deshalb fordern wir als nächsten Schritt das Stimmrecht für EU-Angehörige auch bei Landtagswahlen.

Mehr Demokratie hofft, dass Sie eine mutige Wahlrechtsreform beschließen und den Einfluss der Wähler und Wählerinnen stärken und nicht schwächen.

Mit freundlichen Grüßen

Reinhard Hackl,

Landesvorstandssprecher