Baden-Württemberg: Lehren aus Stuttgart 21?

Nun steht der Koalitionsvertrag von Grünen und SPD und er enthält viele Vorhaben, mit denen die Bürgerinnen und Bürger mehr Einfluss bekommen sollen. Das ist unter Anderem eine Folge des Streits um Stuttgart 21, aber auch des langjährigen Engagements von Mehr Demokratie e.V.. Wir haben uns den Text genau angeschaut.

Gleich in fünf Bereichen soll es Veränderungen geben. Natürlich betrifft dies den Streit um das Großprojekt Stuttgart 21; hinzukommen aber auch direkte Demokratie im Land und den Kommunen sowie Pläne zum Wahlrecht und Beteiligung an Planungsverfahren.

Stuttgart 21: Konfliktlösung per Volksentscheid

Grüne und SPD haben zu dieser Frage entgegengesetzte Meinungen; sollte das Projekt den von Schlichter Heiner Geißler angesetzten Stresstest und die Kostendeckelung durch die neue Landesregierung überstehen, dann soll das Volk entscheiden.

• Volksabstimmung im Oktober bis Mitte Oktober (nach Art.60 Landesverfassung)

• Zuvor Antrag auf Hürdensenkung im Parlament

Aufgrund der hohen Hürden müssen etwa 2,5 Millionen Menschen gegen das Projekt stimmen; wird diese Zahl nicht erreicht, ist die Abstimmung ungültig. Diese Regelung zeigt, wie absurd solche Hürden sind. Es stellt sich die Frage, wie die Gegner des Bauvorhabens reagieren werden, wenn sie deutliche Mehrheit erreichen und dabei das Quorum verfehlen sollten. Zum Vergleich: 2006 wurde die schwarz-gelbe Vorgängerregierung mit nur 2,17 Millionen Stimmen ins Amt gewählt. Wir nehmen die SPD beim Wort und fordern sie auf, beim (wahrscheinlichen) „unechten Scheitern“ des Ausstiegsgesetzes am Zustimmungsquorum das Mehrheitsvotum zu akzeptieren.

Volksabstimmungen im Ländle sollen einfacher werden

Die Hürden für Volksentscheide sind in Baden-Württemberg so hoch, dass effektive Mitbestimmung verhindert wird. Dies soll geändert werden.

• Einführung der Online-Petition

• Einführung einer Volksinitiative: 10.000 Bürgerinnen und Bürger können dann mit ihrer Unterschrift den Landtag beauftragen, sich mit einer politischen Frage zu befassen

• Absenkung des Unterschriftenquorums

• Verlängerung der Eintragungsfrist

• Einführung der freien Sammlung

• Volksentscheid bei einfachen Gesetzen: Wegfall des Quorums

• Volksentscheid bei Verfassungsänderungen: Senkung des Quorums

Hier gibt es viele konkrete Vorschläge: Da es sich aber um Verfassungsänderungen handelt, wäre Grün-Rot im Landtag auf die Zustimmung der CDU-Fraktion angewiesen, die ihre Ablehnung bereits deutlich Ablehnung bekundet hat. Folglich bleibt nur der Weg, diese Verfassungsänderung gemäß Art. 64 Abs. 3 LV mittels Volksabstimmung durchzusetzen.

Direkte Demokratie in den Landkreisen, Städten und Gemeinden

Im Gegensetz zur Landesebene kann Grün-Rot hier mehr Veränderungen durchsetzen; hierfür reichen die Änderungen von Gesetzen.

• Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Landkreisen

• Absenkung der Quoren

• Erweiterung der Themen

• Verlängerung der Fristen

Hier kann Grün-Rot viel bewegen. Wir werden weiter in Auge behalten, welche Erleichterungen tatsächlich beschlossen werden und uns für weitergehende Reformen einsetzen.

Wahlrecht

In der Wahlnacht in Baden-Württemberg wurde es zwischendurch noch einmal spannend: Durch die Art der Stimmauszählung hätte Schwarz-Gelb eventuell weiterregieren können, obwohl sie weniger Stimmen als das andere Lager erhalten hätte. Möglich würde dies durch Überhangmandate. Es gibt also dringenden Handlungsbedarf.

• Reform des Landtagswahlrechts: Stärkung des Prinzips der Stimmengleichheit und Prüfung einer „geschlechtergerechten Ausrichtung“

• Direktwahl der Landrätinnen und Landräte

• Jugendliche sollen bereits mit 16 Jahren an den Kommunalwahlen teilnehmen können

• Verbesserung des Auszählverfahren: Abschaffung von d’Hondt

• Einsatz für eine Grundgesetzänderung, damit das Wahlrecht auf Nicht-EU-Bürger ausgeweitet werden kann

Erfreulicherweise gibt es hier viele konkrete Vorschläge. Es wäre mehr als wünschenswert, darüber eine breite Debatte zu führen.

Planung

Seit dem Konflikt um Stuttgart 21 wird in der ganzen Republik darüber diskutiert, wie Bürgerinnen und Bürger besser in Planungsprozesse einbezogen werden können. Damit soll verhindert werden, dass sich erst nach Baubeginn heftiger Widerstand regt. In der Koalitionsvereinbarung finden sich dazu folgende Vorschläge:

• frühzeitige Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger, ohne Projekt dabei zu verzögern; mit dem Ziel, die Interessen auszugleichen

• regulatorischer und institutioneller Rahmen für Bürgerbeteiligung in allen relevanten Bereichen

• Weiterentwicklung der Beteiligungsformen

• Erstellung eines Leitfadens, der die jetzigen Möglichkeiten zusammenfasst und Behörden und Bürgern zur Verfügung gestellt wird

• Prüfung weitere Gesetzesänderungen in Bund und Land

Im Zuge des Schlichtungsprozesses um Stuttgart 21 wurden diese Forderungen erhoben – ohne zu erklären, wie dies umgesetzt werden kann. In einem [Diskussionspapier] (pdf, 7 Seiten) haben wir unsere Ideen dazu zusammengefasst. Wir sind gespannt, wie die neue Regierung dies angehen wird.

Was bringt Grün-Rot?

In Hinblick auf die grundlegenden Spielregeln zur Demokratie hat sich die neue Landesregierung ambitionierte Ziele gesetzt. Wir von Mehr Demokratie werden uns für Reformen einsetzen, die den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich mehr Einfluss geben.