Der Streit um das Großprojekt Stuttgart 21 geht weiter

Bereits von Anfang an gab es Widerstand gegen das Großprojekt S-21. Selbst nach der großen Volksabstimmung, die Klarheit um S-21 schaffen sollte, wurden von Kritikern vier weitere Bürgerbegehren eingeleitet. Die beiden letzten wurden Anfang Juli vom Gemeinderat abgelehnt. Ihre Ablehnung fand aber nicht sang- und klanglos statt, sondern endete in einem fulminanten Crescendo.

 

von Daniel Davis

Die Ablehnung beider Begehren fand in einer „turbulenten“ (StZ) Gemeinderatssitzung statt, die sogar die Stuttgarter Zeitung dazu bewegte, in einem Artikel „Fragen zu Stil und Haltung des Gemeinderates“ aufzuwerfen. Durch die Entscheidung des Gemeinderats sind alle zu S-21 angestrengten Bürgerbegehren abgelehnt. Die verhärteten Positionen und zunehmenden Grabenkämpfe wurden bei der Gemeinderatssitzung deutlich.

SÖS-Linke-Chef Hannes Rockenbauch und OB Fritz Kuhn lieferten sich einen Schlagabtausch, dem viele Räte nur mit Desinteresse begegneten. Dabei ging es um die Frage, inwiefern die 50-prozentige Steigerung des Zugangebots (Referenzpunkt: 2001) vertraglich vereinbart wurde oder nur eine "Zielvorgabe" darstellte. Viele der Gemeinderatskollegen zeigten offen ihr mangelndes Interesse, indem sie mit ihren Handys spielten, auf ihren Tablets surften oder sich lieber um ihr leibliches Wohl kümmerten.

Hinzu kam, dass zusammen mit der Stimme OB Kuhns eine knappe Mehrheit des Gemeinderats der BI das Rederecht verweigerte. Kritiker werfen Kuhn nun vor, ein „Wendehals“ zu sein, da er inzwischen nichts mehr vom Leistungsrückbau wissen möchte. Noch im OB-Wahlkampf hatte er diesen angeprangert. Darüber hinaus attestierten sie seinem Vorgänger Wolfgang Schuster (CDU) mehr Bürgernähe. Schließlich hatte er der Initiative zur Wasserversorgung das Rederecht gewährt.

Auch sonst schien die übliche Etikette an diesem Tag außer Kraft gesetzt zu sein. Hannes Rockenbauch hielt seinen Vortrag spontan vom Pult, statt wie bei Sitzungen üblich vom Sitzplatz aus. Auch allgemein gewährte drei-minütige Redezeit überschritt er deutlich. Zum Zeitpunkt als er sein Plädoyer mit Folien untermauern wollte, griff OB Kuhn ein. Eine solche Aktion muss in der Regel vorher angekündigt werden. Ihm kritisch gegenüberstehende Ratsmitglieder störten den Vortrag Rockenbauchs mit Zwischenrufen und manche verließen demonstrativ den Saal. Auch Dejan Perc, Kreisvorsitzender der SPD-Kreispartei Stuttgart, glänzte mit Abwesenheit. Noch am Vortag votierte er entgegen der Parteilinie, die für das Großprojekt ist, für das Rederecht der BI bei der Gemeinderatssitzung. Beim entscheidenden Votum war er nicht zugegen .

Freigabe ehemals geschwärzter Akten gibt S-21-Gegnern neue Hoffnung

Neue Hoffnung für Kritiker wie Gegner geben ehemals geschwärzte und weiterhin unter Verschluss gehaltene Dokumente der Bundesregierung. Anhand von ersteren erhärtet sich der Verdacht, dass bei S-21 enormer politischer Druck ausgeübt wurde. So sollen die Aufsichtsratsmitglieder der Bundesregierung bei der Bahn „auf Linie“ gebracht worden sein. Wegen der Kostenexplosion drohte im schlimmsten Fall von ihrer Seite ein „Nein“ zu S-21. Sie sollten daran erinnert werden, dass „das Projekt eine hohe politische Bedeutung im Hinblick auf die Verwirklichung von großen Infrastrukturvorhaben [in Deutschland] hat“. Ein Scheitern hätte weit reichende wirtschaftliche Folgen für das Land.

Auch die Begründung der Rechtsanwälte des Bundeskanzleramtes, warum viele Akten gar nicht oder nur geschwärzt herausgegeben werden, ist sehr aufschlussreich und könnte den Gegnern trotz Niederlage neuen Aufwind geben. Die Anwälte betonen, dass die Kosten bei Großprojekten immer steigen können. Dadurch ist „die Frage eines Abbruchs des Projektes […] kein abgeschlossener Vorgang, der ein für alle Mal für das Projekt ,Stuttgart 21‘ geklärt ist. Für den Fall, dass es zu weiteren Mehrkosten kommt, stellt sich die Diskussion wieder.“ Somit wäre das Projekt einem ständigen Prüfungsprozess unterworfen, wovon die Bahn natürlich nichts hören möchte.

Ein weiterer Erfolg ist die Tatsache, dass im Gemeinderat Zweifel ob des Leistungsrückbaus genährt wurden. SPD und Grüne haben eine Veranstaltung  vorgeschlagen, die ähnlich wie die Schlichtung ablaufen soll und in der die Bahn konkret auf die Vorhaltungen von Kritikern wie Christoph Engelhardt (Wikireal) eingehen soll. Dort könnte dann geklärt werden, ob der Tiefbahnhof sowie die Zu- und Ablaufgleise zu gering dimensioniert sind und damit der Bahn falsche Versprechen nachgewiesen werden können. Daher scheint klar zu sein, dass uns Stuttgart 21 auch in Zukunft weiterhin beschäftigen und für viel Zündstoff sorgen wird.

 

Weiterführende Informationen

- http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.abgelehnte-s-21-buergerbegehren-fragen-zu-stil-und-haltung-im-gemeinderat.a28d725c-164d-47d1-afb5-6b039a07c97d.html

- http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-heftige-kritik-am-gutachter-der-stadt.7894f38b-0c6d-43d4-9b90-4f87c28cd00e.html

- http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-wackelkandidaten-auf-kurs-gebracht.0d7aa20d-2dd5-46e5-96ea-af3e499ac847.html

- http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-kuhn-will-von-rueckbau-nichts-mehr-wissen.081587d5-b8bc-4cbc-a10b-f647f891cbba.html