Politische Kultur im Umbruch: Die Bürger/innen von morgen!

In dieser Veranstaltungsreihe in Kooperation mit der FES Baden-Württemberg und Prof. Dr. Thorsten Faas von der Universität Mainz, stellen wir die Frage nach den Voraussetzungen für eine neue politische Kultur, die Verantwortung teilt und die Mitsprache und Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger neu definiert. Am 12. Dezember haben wir uns zunächst den Bürger/innen von morgen gewidmet.

Von Sarah Händel

Wie steht es um die Bürgerinnen und Bürger und ihrer Rolle in der Demokratie? Wie beteiligen sie sich? Sind sie zufrieden mit der Demokratie? Armin Schäfer vom Max Planck Institut für Gesellschaftsanalyse in Köln stellte die Ergebnisse einer Studie zu den 17 Millionen Nichtwähler/innen der letzten Bundestagswahl vor. Frappierend waren folgende Zahlen: In den 1980ern war die Wahlbeteiligung sowohl des Fünftels der am Wenigstverdienenden als auch des Fünftels der Meisterverdienenden in Deutschland hoch und die beiden Gruppen lagen nur 8 -10 Prozent auseinander. 2009 gingen nur noch 57 Prozent der Geringverdiener jedoch aber 91 Prozent der Höchstverdiener zur Wahl. Der Zusammenhang zwischen geringem Verdienst oder auch Arbeitslosigkeit und dem Wahlverhalten ist eindeutig nachzuweisen. Je größer der Anteil der Nichtwähler/innen bei einer Wahl, desto weniger werden also die Interessen der Geringverdienenden repräsentiert, denn sie sind es, die ihre Stimme nicht abgeben. In den größten Problemvierteln gab nur noch jede/r zweite bei der Bundestagswahl ihre/seine Stimme ab.

Dieser Riss durch die Gesellschaft stellt die Demokratie vor ein Repräsentations- und damit vor ein Legitimationsproblem. Und dieses Muster setzt sich fort, wenn andere Formen der Beteiligung an der Demokratie in Augenschein genommen werden. Es trifft zu, sowohl auf Verfahren der Bürgerbeteiligung (partizipative Verfahren, bei denen die gewählten Gremien die Entscheidung am Ende selbst treffen) als auch für die Verfahren der direkten Demokratie (Bürger/innen treffen die Entscheidung durch Abstimmung), erklärte Angelika Vetter von der Universität Stuttgart. Ganz generell sei aber in Deutschland die Wahlbeteiligung nur bei subnationalen Wahlen im europäischen Vergleich niedrig und das Misstrauen der Menschen gegenüber den Politiker/innen schon immer relativ hoch gewesen. Verstärkt habe sich der Protest und die Rufe nach mehr Mitbestimmung. Genutzt würden die bisher vorhandenen Beteiligungsinstrumente (Petitionen, Unterschriftensammlungen, Bürgerbeteiligungsverfahren) jedoch eher spärlich und von den immer gleichen Gruppen, auch Parteimitgliedschaften gehen bekanntlich seit Jahren zurück. Wenn, dann seien es die Verwaltungen, die immer mehr Bürgerbeteiligungsprozesse anstoßen und die Bürgerinnen und Bürger animieren, mitzumachen.


Aus dem Publikum kam die These, dass in unserer Gesellschaft eine Entsolidarisierung stattgefunden hat: Die Elite und die Parteien machen keine Politik mehr für die unteren Schichten und diese interessierten sich daher auch nicht mehr für die Politik oder die dort zur Wahl stehenden Alternativen. Eine Ansicht, die zuvor auch vom dritten Gast auf dem Podium geäußert wurde, dem Spiegel-Online-Kolumnisten und bekennendem Nichtwähler Georg Diez. Er ging so weit der gegenwärtigen Politik radikales Versagen vorzuwerfen, in Bezug auf Herausforderungen wie Klimawandel, Bankenkrise und die Soziale Krise. Sie schaffe es nicht die großen Fragen zu formulieren und reduziere die Zukunft auf bloße Interessenpolitik. Der radikale Legitimationsverlust des Kapitalismus spiegele sich für ihn nicht in Wahlen, sondern zeige sich durch kleine Bewusstseinsänderungen, die Proteste und Slogans wie „Wir sind die 99 Prozent“ hervorrufen. Er weigere sich zu akzeptieren, dass allein die Parteien das politische Spielfeld definieren und damit die Demokratie mit dem Parteienstaat gleichsetzen. Deswegen gehe er ganz bewusst nicht wählen, solange bis sich der politische Diskurs wieder öffne für echte Diskussionen zu den drängenden Problemen. Er fordert neue Formen der demokratischen Beteiligung wie Liquid Feedback oder mehr direkte Demokratie, am besten solle es eine Verfassungskonferenz geben, die alles auf dem Prüfstand stellt und eine neue Republik begründet, eine Zäsur, um sich zu besinnen, wie wir leben wollen und wie wir unsere Demokratie organisieren können, damit die großen Herausforderungen angegangen werden.

Die große Frage, die am Ende im Raum stand war dann auch: Wie kommen wir zu einer Veränderung? Kann die immer größer werdende Gruppe an Menschen, die sich immer weiter aus der Demokratie verabschieden, die Antriebskraft für Veränderung sein? Wie werden wir ein bisschen dänischer, dem europäischen Land mit der geringsten Ungleichheit und gleichzeitig einer sehr hohen Wahlbeteiligung? Welche Maßnahmen können Politiker/innen ergreifen, um die politische Auseinandersetzung und die Beteiligung der Menschen zu fördern? Welche Rolle spielen die Medien? Welche die politische Bildung?

 

In den nächsten Veranstaltungen der Reihe „Politische Kultur im Umbruch“ werden wir uns weiter diesen Fragen widmen. Beim nächsten Mal, am 24. März in Esslingen, in einer Diskussion um die Politiker/innen von morgen. Weitere Informationen finden Sie rechtzeitig hier.

 

Ein Video zur ersten Veranstaltung der Reihe 'Politische Kultur im Umbruch', einem Streitgespräch mit dem Journalisten Laszlo Trankovits und Dr. Nadja Braun-Binder zum Thema 'Mehr oder weniger Demokratie wagen - ist das die Frage? ', finden Sie hier.