Mehr Demokratie auf entwicklungspolitischer Bildungs- und Lobby-Exkursion in Brüssel

Im Rahmen unseres Kampfes gegen TTIP, TiSA und CETA hat sich der Landesverband vom 15.-17. Juni auf eine entwicklungspolitische Bildungs- und Lobby-Exkursion nach Brüssel begeben, um vor Ort Gespräche mit EU-Parlamentariern, Kommissionsmitarbeitern und anderen entwicklungspolitisch relevanten Akteuren zu führen. Ziel war die Etablierung von Kontakten und das Kennenlernen der Lobbystrukturen in Brüssel.

 

von Daniel Davis und Sarah Händel

Seit gut einem Jahr ist TTIP für Mehr Demokratie – Bundesverband sowie Landesverbände – ein Dauerbrenner. Die Gefahren, die wir von konkreten Maßnahmen wie der Etablierung von Schiedsstellen (ISDS) und „regulatorischer Kooperation“ erwarten, bedrohen die Fundamente unserer parlamentarischen Demokratie. Statt Demokratieabbau fordern wir dagegen eine klare Ausweitung demokratischer Beteiligungsrechte.

Im Rahmen dieser Bemühungen gegen TTIP, TiSA und CETA hat sich der Landesverband vom 15.-17. Juni auf eine entwicklungspolitische Bildungs- und Lobby-Exkursion nach Brüssel begeben, um vor Ort Gespräche mit EU-Parlamentarier/innen, Kommissionsmitarbeiter/innen und anderen entwicklungspolitisch relevanten Akteur/innen zu führen. Wir wollten Lobbystrukturen in Brüssel kennen lernen und diskutieren, wie ein fairer Freihandel aussehen könnte.

Startpunkt war die Landesvertretung Baden-Württemberg bei der Europäischen Union. Den Auftakt des mehr als straffen Programms machte ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Handelsausschusses im EU-Parlament Bernd Lange (SPD), von dem wir wichtige Einblicke auch in die genauen Abläufe der etwas "sagenumworbenen" Sitzung des Handelsausschusses bekamen, bei dem die beiden SPD-Mitglieder (auch der in der Öffentlichkeit ISDS-Kritisch gegenüberstehende Herr Lange selbst) doch ISDS zugestimmt haben, natürlich unter der Auflage ein paar kleiner Reförmchen.

Im Anschluss diskutierten Marc Maes von der entwicklungspolitischen NGO 11.11.11 und Klaus Rudischhauser, stellvertretender Generaldirektor für Entwicklungszusammenarbeit der Kommission, emotional aufgeladen über Fragen der Entwicklungspolitik: Rudischhauser etwa meinte, er hätte noch nicht ein gut begründetes Argument dazu gehört, warum die von der EU verhandelten Economic Partnership Agreements (EPAs) für die afrikanischen Länder auch negative Folgen haben könnten. Ein Teilnehmer aus unsere Gruppe konnte diese bisherige Wissenslücke glücklicher Weise sehr kompetent füllen.

Am zweiten Tag standen zunächst Workshops zu Afrika und Lateinamerika auf der Tagesordnung. Im Anschluss fand ein Gespräch mit Rainer Wieland (CDU), einer der 14 Vizepräsidenten des EU-Parlaments, statt. Auch hier kam es zu hitzigen Debatten und klaren Positionsgegensätzen: unsere Teilnehmer/innen waren doch etwas entsetzt, dass auf die Frage nach einer alternativen Strategie zur militärischen Konfliktlösung eine mehr als dünne Antwort kam - das war schon fast etwas peinlich! Eines der Highlights an diesem Tag war das Treffen mit Maria Heubuch (B90/Grüne) im EU-Parlament. Als ehemalige Landwirtin und Expertin im Agrarbereich diskutierten wir mit ihr über Gentechnik, Kennzeichnungspflichten und die Auswirkungen von TTIP auf den Agrarsektor - ein sehr sensibles Feld!

Der letzte Tag unserer Lobbyreise war zugleich der spannendste. Früh morgens begaben wir uns zusammen mit Lora Verheecke von Corporate Europe Observatory (CEO) auf einen lobbykritischen Stadtrundgang durch Brüssel. Auf ihm wurden Lobbystrukturen sowie Mittel und Methoden der Interessensvertreter detailliert erläutert. Es blieb aber die Frage: ist Lobbyismus in Brüssel "schlimmer" als in den Mitgliedsparlamenten vor Ort? Tatsache ist: er kann auf jeden Fall ungestörter stattfinden, denn es fehlt an kritischer Öffentlichkeit! Die Gespräche im Anschluss mit Helmut Scholz (Die Linke) und Ska Keller (B90/Die Grünen) hatten ebenfalls besondere Relevanz. Beide sind Mitglieder des Handelsausschusses im EU-Parlament und konnten uns sehr wertvolle Einblicke in den Verhandlungsprozess geben. So erfuhren wir detaillierte Informationen zur Verschiebung der TTIP-Abstimmung im Parlament, den Zugang zu Dokumenten und den oft wenig aussagekräftigen Briefings der Kommission zum Verhandlungsstand.

Abschließend traf sich die Gruppe mit Sandra Gallina (Generaldirektorat Handel der EU-Kommission), die für die Partnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) verantwortlich ist. Wir hatten nicht viel Zeit, deswegen wurde hier gleich Tacheles geredet! Unsere erste Frage: Kann man Entwicklung wirklich messen - wie es die Handelsdirektion anscheinend tut- an ein paar Kriterien wie "Foreign Direct Investments", Exportbilanzen und Anzahl der Bereiche mit Marktöffnungen? Oder braucht es nicht ein viel breiteres Verständnis von Entwicklung und Entwicklungschancen, das viel näher an den konkreten Bedürfnissen der Menschen und den politischen Strukturen ansetzen müsste? Ist es nicht an der Zeit, dass die EU-Kommission und auch anderen Organe der EU mal überdenken, wie sehr ihr Entwicklungsbegriff ideologish geprägt ist und die immer wieder gleichen Instrumente verschreibt, die nachweislich oft eben nicht zu einer nachhaltigen Entwicklung geführt haben, Bsp. Griechenland? Könnte nicht eine bessere Beteiligung der Bürger und der Zivilgesellschaft an der EU-Politik helfen, eine solche Debatte über Ziele und Methoden anzustoßen? Natürlich bekamen wir auf diese Fragen keine sehr befriedigende Antwort. Die impulsive Art Gallinas und auch ihre zweifelsohne hohe Sachkenntnis führten jedoch zu einem Höhepunkt unserer Bildungsreise, der sich unauslöschlich in unser Gedächtnis gebrannt hat: auf französisch lieferten sich Gallina und einer unserer Teilnehmer aus Afrika eine sehr lautstarke Wortschlacht, in der mit Vorwürfen nicht gespart wurde! Jede/m die/der politische Debatten heutzutage für langweilig und leidenschaftslos hält, ist ein Besuch bei Frau Gallina herzlich anzuraten!

Mit deutlich klareren Vorstellungen, wie Lobbyarbeit in der politischen Hauptstadt der EU in der Praxis aussieht und vielen internen Einblicken in die Arbeit des Handelsausschusses bzw. den TTIP-Verhandlungen, ist in uns eine Einsicht bestärkt worden: Wir müssen uns als Bürger/innen und Zivilgesellschaft in die EU-Politik einmischen und denjenigen Politikern, die Demokratie und Bürgerrechte ausbauen sowie für nachhaltigen Handel eintreten wollen, den Rücken stärken!

Das heißt: unsere Parlamentarier/innen immer wieder anschreiben und ihnen unsere Sorgen mitteilen. Auch die EU-Kommission selbst kann angeschrieben werden. Nur wer kommuniziert, kann auch gehört werden!

 

Zur Auswertung der Brüssel-Reise machen wir auch eine Veranstaltung, zu der wir herzlich einladen:


Brüsseler Spitzen -
Der EU-Handelspolitik auf den Zahn gefühlt

Öffentlicher Bericht von der Exkursion baden-württembergischer entwicklungspolitischer Organisationen zur EU

Mittwoch 08. Juli, 19 Uhr, Hospitalhof, Katharina von Helffenstein Raum (EG)
Stuttgart-Mitte, Wegbeschreibung: www.hospitalhof.de/service/anfahrt/

Vom 15.-17. Juni waren 21 AktivistInnen aus entwicklungspolitischen und Freihandels-kritischen Organisationen der Zivilgesellschaft und der Kirchen in Baden-Württemberg unterwegs in Brüssel um den EU-Institutionen auf den Zahn zu fühlen. Im Zentrum standen dabei Fragen an die Beachtung der Menschenrechte, der entwicklungspolitischen Kohärenz und der Demokratie in der europäischen Handels- und Investitionspolitik.


Eintritt frei