Freihandelsabkommen TTIP: Endlich schauen die Menschen hin!

Bericht über die TTIP-Tour in Baden-Württemberg und die Notwendigkeit der öffentlichen Debatte, damit wir endlich darüber reden, wie unsere Demokratie funktioniert!

 

Von Sarah Händel

 

 

 

92 % zu 4 %, das sind die Zahlen, die widerspiegeln, wer die Chance hatte Einfluss zu nehmen, auf die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und der USA. 92 Prozent der vorbereitenden Gespräche wurden mit der Wirtschaft/Finanzindustrie geführt, 4 Prozent mit Gewerkschaften, Verbraucherschutzverbänden, Umweltverbänden usw. Die Zivilgesellschaft und wir, die ganz normalen Menschen, haben wenig bis keine Möglichkeiten einzubringen, was uns wichtig ist und auch unsere Parlamente werden außen vorgehalten. Auf oberster EU-Ebene sollen eine handvoll Bürokraten aushandeln, wie die Regeln unseres gemeinsamen Wirtschaftens zukünftig gestaltet sind und aus bisherigen Abkommen wissen wir, was auf uns zukommen kann. Uns bleibt nur ein Weg deutlich zu machen, dass wir mit diesem Vorgehen und mit vielen angedeuteten Plänen im TTIP unzufrieden sind: der öffentliche Raum.

 

Der Landesverband Mehr Demokratie Baden-Württemberg hat deswegen das Auto vollgepackt mit Aktionsmaterial, Infoflyer und Unterschriftenlisten und hat sich auf den Weg gemacht. In 10 Städten haben wir mit den Menschen auf der Straße diskutiert, Infomaterial verteilt und Unterschriften gesammelt. Wir waren überrascht, wie viele sich schon mit den Freihandelsabkommen auseinander gesetzt hatten und Punkte ansprachen, mit denen sie nicht einverstanden sind. Auf drei Abendveranstaltungen in Ravensburg (zusammen mit der Europaabgeordneten Maria Heubuch), Göppingen und Ulm haben wir die Wirkung vieler Aspekte von TTIP auf die Demokratie und den demokratischen Handlungsspielraum aufgezeigt. Weil es in vorangegangenen Abkommen vieles was jetzt bei TTIP geplant ist schon gibt, können wir teilweise sehr genau abschätzen, welche Konsequenzen auf uns zukommen können. Wir haben Europaabgeordnete und Mitglieder des Bundestags aus dem Handels- oder Europaausschuss an unseren Infostand eingeladen. In oft einstündigen Gesprächen hatten wir die Möglichkeit zu schildern, warum wir uns große Sorgen über die Folgen von TTIP, aber auch anderen Abkommen wie CETA und TiSA, für die Demokratie machen und warum deswegen für uns die einzige Konsequenz heißen kann: Stopp TTIP!

 

Wir müssen die Notbremse ziehen und hinter einem großen gemeinsamen STOPP so viele Gruppen, Verbände, Vereine, Gewerkschaften und Menschen wie möglich versammeln. Nur dann haben wir eine Chance, breite gesellschaftliche Diskussionen anzustoßen über Investor-Staats-Schiedsgerichte, Stilhalteklauseln, Negativlisten, die Sicherung von Standards und geschützte Bereiche, die eventuell nicht geeignet sind, für noch mehr Liberalisierung und Deregulierung. Auch einige Abgeordneten sehen diese Notwendigkeit. Viele von ihnen wollen zwar, dass die Verhandlungen zu TTIP weitergehen, sie finden es aber gut, dass es jetzt eine öffentliche Debatte gibt. Und die ist wichtig aus mehreren Gründen: Sie macht uns allen klar, welchen enormen Einfluss die Gesetze haben, die auf EU-Eben beschlossen werden. Gerade sprechen wir (endlich mal!) konkret darüber, was die Folgen für unser tägliches Leben sind, wenn Lebensmittelstandards und Kennzeichnungspflichten festgelegt werden und dadurch bestimmt wird, welche Produkte auf unsere Märkte gelangen. Oder was es bedeutet, wenn wichtige zentrale Infrastrukturbereiche liberalisiert werden, eventuell ohne die Möglichkeit der Rekommunalisierung, wenn sie mit Stillhalteklauseln versehen werden.

 

Die jetzige öffentliche Debatte macht auch deutlich, welche riesigen Gesetzesvorhaben bei Abkommen wie TTIP, CETA und TiSA verhandelt werden. Fast alle Bereiche unseres Zusammenlebens sind davon betroffen und am Ende steht ein einfaches JA oder NEIN der Parlamente. In den Freihandelsabkommen geht es neben vielem weiteren um: Lebensmittel, Arzneimittel, Gesundheitsvorsorge, Wasserversorgung, Verkehr, Energie, die Vergabe öffentlicher Aufträge, die Regulierung der Finanzmärkte, den Umgang mit Daten und dem Datenschutz, Patent- und Urheberrechte, alle Arten von Dienstleistungsliberalisierung, Investitionsschutz, Regelungen für ausländische Arbeit/nehmerinnen, den Zugang zu Bildung, Verbraucherschutz - und Umweltsstandards, Kulturförderung und das Recht unserer Parlamente und gewählter Vertreter/innen zu subventionieren, was sie für allgemeinwohlförderlich halten. Und das ist einer der zentralsten Punkte. Mit Abkommen wie TTIP und TiSA werden Regelungen auf höchster Ebene festgeschrieben, die den demokratischen Handlungsspielraum auf den unteren Ebenen, also in unseren Bundesländern, Städten und Kommunen nachhaltig einschränken. Das wir das nicht zulassen, und wenn, dann nur an den Stellen wo es absolut notwendig und sinnvoll ist, dafür müssen wir unsere Abgeordneten sensibilisieren. Und genau das schaffen wir, wenn wir uns über Zeitungen, Radio und Fernsehen, in unserem Freundes- und Bekanntenkreis, auf gemeinsamen Veranstaltungen, an Infoständen, im direkten Gespräch mit unsere gewählten Parlamentarier/innen und in lokalen Bündnissen sachorientiert mit den Inhalten auseinander setzen.

 

Wir können nicht erwarten, dass jede und jeder zum Experten in Handelspolitik wird, aber wir sehen immer mehr: Wir können die Gestaltung der Regeln unserer Zusammenlebens und Wirtschaftens nicht in die Hände von so wenigen legen, die hinter verschlossenen Türen aushandeln, was für Millionen von Menschen das Richtige ist. Wir müssen uns auseinander setzen, Position beziehen, eigene Standpunkte entwickeln und kommunizieren, welche Bereiche wir geschützt haben wollen. Und die Parlamentarier/innen brauchen diese Unterstützung, diesen Sachverstand aus der Zivilgesellschaft, sonst wird sich Politik immer einseitiger ausrichten, an den Interessen derer, die sich auf verborgenen Wegen zu Wort melden können. Die Debatte zum TTIP steht daher symbolisch für ein gemeinsames Aufwachen: Wir müssen Mittel und Wege finden, Politik im großen Stil miteinander zu diskutieren und dafür braucht es natürlich auch Instrumente der Mitbestimmung. Ein bundesweiter Volksentscheid zum TTIP wäre nicht nur der Tragweite der dort verhandelten Regelungen angemessen, sondern würde auch dafür sorgen, dass jeder und jeder vor der Verantwortung steht sich zu entscheiden und damit auch: sich zu beschäftigen.

 

TTIP und TiSA machen mal wieder deutlich, wie dringend die Einführung bundesweiter Volksentscheide in Deutschland, aber auch struktureller Beteiligungsprozessen auf EU-Ebene sind. Deswegen ist Mehr Demokratie e.V. eines der aktivsten Rädchen, in der rasch wachsenden Bewegung gegen das TTIP. Und so lange wir den Volksentscheid nicht haben und es auf EU- Ebene keinen Konvent gibt, der Beteiligungsinstrumente und Mitbestimmungsverfahren für die EU entwickelt, werden wir die Mittel und Wege nutzen, die wir uns schon erkämpft haben: Ab Herbst werden wir mit voller Kraft in die europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen TTIP/CETA starten.

Helfen Sie uns dabei: Gründen Sie z.B. ein lokales Bündnis vor Ort mit anderen Gruppen und Verbänden, wie schon in Tübingen, Göppingen und Ulm geschehen. Organisieren Sie eine Infoveranstaltung zum TTIP, wir kommen gerne als Referent zu Ihnen und unterstützen auch bei der Organisation. Sammeln Sie ab Herbst (der genaue Start der EBI steht noch nicht fest, weil wir auf den Bescheid der Kommission warten) Unterschriften in Ihrem Freundes-und Bekanntenkreis oder in Ihrer Fußgängerzone. Sprechen Sie mit vielen Menschen über das Thema, und informieren Sie sich weiterhin inhaltlich zu allen Aspekten des Abkommens.

 

Informationen, Infomaterial und Unterschriftenlisten zum kostenlosen Bestellen gibt es auf: https://www.mehr-demokratie.de/stoppttip.html, neuste Berichte, Artikel und News zum Thema auf der Mehr Demokratie Facebookseite: https://www.facebook.com/mehrdemokratie, und ab Herbst natürlich auch auf der offiziellen EBI-Website: www.stop-ttip.org. Ansprechpartnerin für Veranstaltungen zu TTIP hier in Baden-Württemberg: sarah.haendelkein spam@mehr-demokratie.de