Weil am Rhein scheitert am Quorum – Au glänzt mit hoher Wahlbeteiligung bei sensiblem Flüchtlingsthema und schafft Zustimmungshürde

Am Sonntag, den 19. Juli, kam es gleich zu zwei Bürgerentscheiden in Baden-Württemberg. In beiden Abstimmungen votierten die Bürger/innen im Sinne des Begehrens. Sie stimmten also der ursprünglichen Sachfrage zu. In Weil am Rhein scheiterte die Zustimmung der Bürger/innen jedoch am noch geltenden Quorum.

von Daniel Davis

 

Weil am Rhein - Umsetzung des Projekts trotz nicht-Erreichens des Quorums

Enttäuschung in Weil am Rhein? - Einerseits ja, doch hat das Anliegen Glück im Unglück. Im Rathaus ist man enttäuscht ob der niedrigen Wahlbeteiligung. Gerade einmal 7.750 von 22.941 Bürger/innen nahmen an der Abstimmung teil. Das entspricht lediglich einem Drittel der Wahlberechtigten. Mit so einer niedrigen Beteiligung ist es schwer, das relativ hohe derzeit geltende Quorum von 25% zu bezwingen. Bereits 2011 hatte die Bürgerschaft über ein Einkaufszentrum an der „Hangkante“ abgestimmt und sich mit 60% dagegen ausgesprochen. Damals betrug die Wahlbeteiligung 44,1% und das Quorum wurde erreicht.

Bei der aktuellen Abstimmung zeigte sich ein diametral entgegengesetztes Meinungsbild im Vergleich zu damals: es sprachen sich dieses Mal 59,9% für den Bau der „Dreiländergalerie“ aus. Diese Stimmen entsprachen jedoch lediglich 20,3% der Wahlberechtigten und scheiterten somit am Zustimmungsquorum. Dennoch gilt es als sicher, dass das Anliegen realisiert wird. Der Gemeinderat hat sich klar für die Ansiedlung der CEMAG GmbH entschieden. Das ebenfalls klare Ergebnis der Bürgerabstimmung kann als positives Stimmungsbild gewertet werden und daher steht der Realisierung nichts entgegen. Zugleich wird hier aber ersichtlich, dass man in der Regel eine sehr hohe und für Bürgerentscheide unübliche Beteiligung benötigt, um das 25%-Quorum zu knacken. Scheitert eine Abstimmung am Quorum hat sie keine rechtliche Gültigkeit. In diesem Fall hat das nicht zu Problemen geführt. Hätte sich jedoch eine Mehrheit der Bürger gegen das Einkaufszentrum ausgesprochen und das Quorum wäre ebenfalls nicht erreicht worden, hätte der Gemeinerat freie Hand gehabt, das Einkaufszentrum zu bauen auch gegen eine Mehrheit der Abstimmenden an der Urne.

Bei steigender Politikverdrossenheit haben solche Quoren das Potenzial immer mehr Abstimmungen der Bevölkerung ungültig werden zu lassen. Es muss Ziel sein, so viele Bürger wie möglich vor einer Abstimmung durch aktives Mobilisieren und Diskutieren an die Wahlurne zu holen - ein Quorum ist dann unnötig. Und auch wenn nicht alle teilnehmen: das aufwendig eingeholte Votum von hunderten oder gar tausenden Büger/innen, die sich in einer Sachfrage positioniert haben, sollte nicht übergangen werden können. Mehr Demokratie setzt sich deswegen für eine weitere Senkung des Quorums ein.

 

Tolles Beispiel aus Au - Rationale und sachliche Debatte bei herausforderdem Thema Flüchtlinge, hohe Wahlbeteiligung & Überwindung des Quorums

In Au stellt sich der Fall deutlich positiver da, was nicht zuletzt an der hohen Wahlbeteiligung lag, die leider nicht der Norm entspricht. Unser Artikel über Steinach, wo sich 62,6% bei der Abstimmung engagierten, geht auf diese Problematik ein. Die Beteiligung liegt in der Regel bei ca. 40%, da es sich um Einzelthemen handelt, die nicht von allen Bürger/innen als wichtig erachtet werden. In Au nahmen 56,1% der Wahlberechtigten an der Abstimmung teil. Somit konnte das Quorum mit 35,4% der Ja-Stimmen deutlich überschritten werden.

Der Fall Au zeigt, dass Bürgerbeteiligung und die direkte Demokratie auch bei sensiblen Themen wie Flüchtlingsunterbringung dazu beitragen können, gute Lösungen zu finden und vor allem breiten Rückhalt in der Bevölkerung auch für herausfordernde Projekte zu sichern. Die Auer Bürger/innen entschieden sich in der Abstimmung mit einer großen Mehrheit von 63 Prozent für den Bau eines Asylbewerberheims in der Ortsmitte. Zudem war positiv zu beobachten, dass der Entscheid im Vorfeld sachlich, unemotional und vor allem ohne ausländerfeindliche Ressentiments diskutiert wurde.

Kleinere Unstimmigkeiten gab es nur über die Formulierung der Fragestellung. Aufgrund der uneindeutigen Fragestellung der Bürgerinitiative hatte der Gemeinderat das Begehren für unzulässig befunden und per Ratsreferendum selbst einen Bürgerentscheid mit eindeutiger Fragestellung zur gleichen Angelegenheit beschlossen. Mehr Demokratie e.V. bietet allen Bürgerinitiativen die Möglichkeit ihre Fragestellung vorher überprüfen zu lassen, damit sie nicht Gefahr laufen, wegen ungünstiger Formulierung unzulässig zu werden.

Senkung der Quoren als Notwendigkeit für mehr (direkte) Demokratie

Es ist in beiden Fällen erneut offensichtlich geworden, dass das derzeit geltende 25%-Quorum sehr hoch angesetzt ist und viele Initiativen daran scheitern. Das Abstimmungsergebnis in Weil am Rhein wird vor allem umgesetzt, da der Gemeinderat und Bürger/innen der gleichen Ansicht sind. Wäre die Abstimmung anders ausgegangen, bestünde die Gefahr, dass der Gemeinderat entgegen dem Bürgerwillen das Projekt durchsetzt. Dies würde den Verdruss der Bürger/innen weiter verstärken und ihr Vertrauen in die Politik weiter erodieren. Die Reformen in BaWü, die Ende des Jahres in Kraft treten werden, stellen unter anderem wegen auch wegen der Senkung des Quorums auf 20 Prozent, enorme Erleichterungen für engagierte Bürger/innen dar, die lange überfällig sind.