Politische Kultur im Umbruch? Die Medien von morgen!

In unserer vierten Veranstaltung in der Reihe "Politische Kultur im Umbruch" standen die Medien in ihrer Funktion als Grundlage jeder produktiven Bürgerbeteiligung im Fokus. Welche Voraussetzungen müssen wir schaffen, um den notwendigen Qualitätsjournalismus nachhaltig zu finanzieren? Die ganze Debatte kann auch bei flügel.tv nachgeschaut werden (Link am Ende).

Von Sarah Händel

Wie verändern sich die politische Kultur und die Medienkultur durch die neuen Medien und das Internet? Prof. Dr. Pörksen von der Universität Tübingen spricht von einer neuen Demokratisierung der Skandalisierung dadurch, dass heute jede/r einzelne Bürger/in die Möglichkeit hat, jede politische Äußerung aufzugreifen und das Potenzial besteht, dass diese Äußerung zu einem Skandal wird, der sich maßgeblich auf politische Ereignisse auswirkt. So hatte ein Tübinger Student dafür gesorgt, dass ein Satz Horst Köhlers über die Notwendigkeit militärischer Mittel zum Schutz deutscher Wirtschaftsinteressen1, der wohl sonst nicht weiter beachtet worden wäre, von allen großen Medien aufgegriffen wurde. Zusammen mit den dann angestoßenen Reaktionen war der Satz maßgeblicher Auslöser für Köhlers Rücktritt. Viele von uns tragen die neuen Instrumente der Skandalisierung -Smartphones, die Dauerzugang zum Internet bieten, filmen und aufnehmen können- mit uns herum und die Unsicherheit steigt, wer wohl das nächste „Opfer“ einer solchen Skandalisierung werden wird. Denn in Zeiten des Internets besteht große Ungewissheit darüber, wer wie an Wissen über wen gelangt, und warum und wann dieses Wissen ganz plötzlich ins Zentrum vielleicht weltweiter Aufmerksamkeit rückt. Durch das Internet und Portale wie Youtube, Facebook oder Twitter, die ein Video innerhalb von Stunden und Tagen berühmt machen können, entscheidet nicht mehr das Kriterium der Relevanz über den Nachrichtenwert, sondern die volksnähere Interessantheit. Was verfängt? Was zieht? Was wollen die Menschen sehen? Die Folgen dieser Entwicklung sind nach Pörksen eine neue Verzagtheit, eine neue Ängstlichkeit bei Politiker/innen und anderen Verantwortungsträger/innen sich nach vorne zu wagen und provozierende und mutige Thesen zu äußern. Zudem haben wir es mit einem neuen Geschwindigkeitswettbewerb der Nachrichten zu tun, die sich immer schneller jagen und sich nicht mehr genug Raum lassen. Mit den Worten Sascha Lobos beschreibt Pörksen, dass wir uns bei diesen Entwicklungen in einem „Zustand innerer 13-jährigkeit“ befinden, einem gewissen jugendlichen Übermut also, den es durch Bildung und Internetkompetenz zu überwinden gilt.

 

Ulrike Winkelmann von der taz beschreibt ebenfalls die Überforderung der Journaliste/innen durch den Headliner-Wulst, der immer schneller wird. Spiegel Online etwa hat alle 90 Minuten einen neuen Aufhänger. Für Journalist/innen wird es immer schwieriger zu entscheiden: Welche Debatte kann ich dann noch mit einem vertieften Beitrag bereichern? Wo kann ich als Journalist/in den entscheidenden Differenzgewinn erwirtschaften, was bedeutet: Wo führt die Mehrinformation dazu, dass nach der Internetpräsenz der Nachricht noch das Printmedium gekauft wird? Die Geschwindigkeit führt nach Winkelmann auch dazu, dass es immer mehr Allround-Redaktionen gibt, zulasten von Spezialist/innen, die sich wirklich mit einem Politikfeld auskennen. Das Geld für die Spezialist/innen fehle, und die entstehenden Lücken würden dann am Ende von Lobbygruppen genutzt, um ihre Vorschläge zu präsentieren. Die Unterfinanzierung, die aus dem Konkurrenzkampf mit den kostenlosen Onlinesparten der Redaktionen entsteht, tue das Ihrige dazu.

 

Ulla Fiebig vom SWR fordert dann auch mehr Mut der Redaktionen nicht auf alle Themen aufzuspringen und sich um weniger Themen dafür aber intensiver, mit mehr Hintergrundinformation zu kümmern. Man müsse Themen über einen längeren Zeitraum hinweg begleiten, aber auch versuchen mehr an die Lebenswirklichkeiten der Menschen anzuschließen. Die Bürger/innen würden diese tieferen Informationen durchaus nachfragen und beim SWR habe man darauf reagiert, indem zum Beispiel die allabendliche Landesschau bald 30 anstatt 15 Minuten dauern wird. Allerdings müsse auch das Öffentlich-rechtliche darauf achten, nicht nur für eine Wissenselite zu produzieren, man wolle mehr Menschen erreichen, denn schließlich zahlen ja auch alle mit.

 

Gerd Manthey, Gewerkschaftssekretär bei Ver.di für Medien, Kunst und Industrie, kritisiert sehr viel grundsätzlicher den schon im Kalten Krieg festgeschriebenen Übergang zu Medien als Dienstleistung und Ware. Was es bräuchte, sei ein schon von Willy Brandt versprochenes Presserechtsrahmengesetz, in welchem Kriterien für Journalismus, wie zum Beispiel das Verbot der Vermischung mit werblichen Inhalten, festlegt sind. Es brauche Zeitungen, die sich Redaktionsstatute geben und Verleger/innen, die den Journalist/innen erlauben bei ihrer Arbeit auch nach diesen zu handeln. Außerdem müsse die 1969 außer Kraft gesetzte Pressestatistik wieder eingeführt werden. Sie gibt Auskunft darüber, wer im Land welche Medien besitzt oder Anteile hat und legt bestehende Verflechtungen offen. Dringlich mahnt er an, dass Kultur und Medien unbedingt aus den derzeit laufenden EU-US-Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen (TTIP) heraus zu halten sind, um einer weiteren Liberalisierung in diesen Bereichen vorzubeugen und sich die Möglichkeiten zu erhalten, geeignete Finanzierungsmodelle umzusetzen. Eine öffentliche Förderung von Print-Journalismus, ähnlich dem öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Fernsehen, ist seiner Meinung nach durchaus in Erwägung zu ziehen, wenn dadurch keine Abhängigkeiten entstehen (wie bei den Rundfunkräten auch, sollten zum Beispiel Parteien nicht so stark dominieren).

 

In der anschließenden Diskussion hakt Moderator Thorsten Faas von der Uni Mainz noch mal nach: ist die Radikalität eines einzigen Tweets wirklich etwas ganz neues? Mussten Politiker/innen nicht schon immer höllisch aufpassen, was sie sagen, wenn ein/e Journalist/in im Raum ist?

 

Pörksen betont noch einmal die Besonderheit der Potenzialität. Sicher seien 99 Prozent aller Twitternachrichten (Tweets) nur weißes Hintergrundrauschen: Aber es sei eben völlig unsicher, welche Nachricht wann öffentliche Relevanz bekommt. Diese Potenzialität mache die Neuartigkeit des Phänomens aus. Ulrike Winkelmann fügt hinzu, dass die Brisanz von Tweets auch an ihre Form gebunden ist: bei 140 erlaubten Zeichen sei eben kein Platz für Relativierung, Erklärung oder einen Rahmen, der die Dinge ins Verhältnis setzt. Der Nachrichtenschnipsel gehe in Echtzeit raus und könne von jedem aufgegriffen, in seinem Sinne weiterverarbeitet und damit zur Gefahr für die Karriere des Betroffenen werden. Da halten sich viele in ihren Äußerungen lieber zurück.

 

Ein weiteres von Thorsten Faas ins Gespräch gebrachte Phänomen ist die Separierung der Gesprächszirkel: Reden linksorientierte genauso wie rechtsorientierte Bürger/innen im Netz nur noch mit jeweils Gleichgesinnten? Tauscht man sich also nur noch mit denjenigen aus, die sowieso schon ähnlich denken? Pörksen stimmt zu und verweist darauf, wie die großen Zeitungen immer mehr ihre Funktion als Diskurs-Motoren und als gesellschaftlicher Diskurs-Bestimmer, verlieren, was natürlich auch zu einer wenig produktiven Spaltung der Öffentlichkeiten führe. Kritisch zu sehen ist hier seiner Meinung nach auch die Rolle des akademischen Milieus: Es komme kein Statement aus dieser Richtung zum Zustand der Printmedien, die sich vor diesen großen Herausforderungen sehen und Schwierigkeiten haben sich anzupassen. Er wünscht sich einen sehr viel stärkeren Zusammenschluss des Zeitungsmilieus mit den Akademikern, um das Bewusstsein für die aktuelle Problemlage zu schärfen und Lösungsentwicklungen voranzutreiben.

 

Aus dem Publikum kommt noch mal die Frage nach der Finanzierung und neuen Bezahlmodellen auf. Ulrike Winkelmann sieht vor allem die Printmedien durch das Internet bedroht. Sie wünscht sich, dass Marktführer wie Spiegel Online mit Bezahlmodellen vorangehen, damit der Unterbietungs- und Schnelligkeitswettbewerb beendet wird und genug Einnahmen generiert werden können, um Qualitätsjournalismus online und im Print zu finanzieren. Auch Pörksen sieht keine Krise der Qualität, sondern eine Krise der Refinanzierung von Qualitätsjournalismus. Gerd Manthey weist an dieser Stelle darauf hin, dass viele Verlage sehr wohl noch ordentliche Gewinne zu verzeichnen haben, die Gelder aber nicht in die Zeitungen reinvestiert würden. Dringend müssten jetzt neue Finanzierungsmodelle, wie zum Beispiel das Zwei-Zeitungsmodell in Schweden, diskutiert werden. Alle Podiumsgäste sind sich einig, dass die Medien mit sicheren Ressourcen, sprich das Öffentlich-rechtliche, ganz besondere Verantwortung tragen, solchen Qualitätsjournalismus noch mehr als bisher zu betreiben.

 

Es bleibt zu hoffen, dass auch die Politik die Debatte vorantreibt und die Zeitungsbranche mit den aktuellen Herausforderungen nicht alleine lässt. Eine qualitativ hochwertige und unabhängige Medienwelt ist für eine Weiterentwicklung der Demokratie zu einer Bürger-Demokratie mit dauerhafter Mitsprache und Engagement der Bürger/innen schlicht unverzichtbar. Heute geht es darum, dafür die notwendige Basis zu legen.

 

1) „Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen….[]. Horst Köhler, in einem Interview mit dem Deutschlandradio, 22.Mai 2010.

 

Die gesamte Veranstaltung können Sie sich hier als Videomitschnitt ansehen

 

Die nächste Veranstaltung in der Reihe politische Kultur im Umbruch findet statt am 23. September zur "Politischen Bildung von morgen", in Stuttgart. Nähere Infos folgen auf dieser Homepage unter TERMINE.