Demokratischer Neuanfang für die EU: Wir brauchen einen europäischen Bürgerkonvent!

Festung EU oder solidarisches Europa? Woran müssen wir festhalten in Europa? Was funktioniert und was nicht? Was müssen wir ändern an Europa? Der Open Fair Kongress findet jedes Jahr in Stuttgart statt und nimmt sich drei Tage Zeit, wichtige gesellschaftliche Themen näher zu beleuchten. Dabei bietet er den verschiedensten Initiativen und Menschen Raum sich auszutauschen. Dieses Jahr stand die EU im Mittelpunkt und Mehr Demokratie e.V. stellte in einem Workshop die Idee eines Bürger-Verfassungskonvents vor, der die demokratischen Grundlagen der EU neu aushandeln soll.

Die EU steht dieses Jahr im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit, weil im Mai das Europaparlament gewählt wird. Doch unserer Aufmerksamkeit verdient die EU nicht nur alle 5 Jahre zu Wahl: Europapolitik bestimmt maßgeblich mit, wie wir leben, wie wir als Staaten miteinander umgehen und auf welche Ziele wir gemeinsam hinarbeiten. Europapolitik müsste deswegen genau so stark im Fokus stehen wie die nationale Politik, es müsste in den Medien genau so intensiv über sie berichtet und zu den aktuellen Geschehnissen aufgeklärt werden und es müsste intensive politische Bildung zu den Institution EU, ihrer Arbeitsweise und ihren inhaltlichen Ergebnissen betrieben werden. Und da sind wir schon mittendrin im Demokratiedefizit der EU: es fehlt eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit, es fehlt eine informierte, interessierte Zivilgesellschaft, die sich inhaltlich äußern und einbringen kann, die Kontrolle durch die 4. Gewalt, die Medien ist unzureichend und der Einfluss von gut organisierten Wirtschafts-, Industrie- und Bankenlobbyisten ist um ein vielfaches größer als auf nationaler Ebene.

Doch darüber hinaus scheint die EU, die ja nichts anderes ist, als unsere nationalen Regierungen und gewählte und abgesandte VertreterInnen, nicht gewillt demokratische Prinzipien in ihrer Arbeitsweise zu achten. Die Art und Weise, wie der Fiskalpakt und der ESM zustande kamen, hat das mehr als deutlich gemacht: Hinter verschlossenen Türen wurden die Maßnahmen von einer kleinen Exekutivgruppe abgestimmt und das Parlament wurde nicht weiter beteiligt, obwohl neue Finanzinstitutionen geschaffen wurden, die außerhalb der EU-Struktur liegen, deren Arbeitsweise intransparent und deren Rechenschaftspflicht unklar ist. Die Mitgliedsländer hatten dann wenige Wochen Zeit das Vertragswerk von mehreren 100 Seiten zu ratifizieren, das als völlig alternativlos dargestellt wurde und weitreichende Eingriffsrechte in die Haushaltssouveränität, aber auch in die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten, über die Defizitprogramme implementierte. Sieht so ein fairer demokratischer Prozess aus, an dessen Ende ein nicht kündbarer Vertragsabschluss steht?

Auch die Art und Weise, wie die aktuellen Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen EU und USA geheim gehalten werden, ist ein Offenbarungsakt. Ein Abkommen, dass die Lebensbedingungen von so vielen Menschen nachhaltig verändern kann, sollte mit maximaler Offenheit verhandelt und kommuniziert werden, um Vor- und Nachteile zu diskutieren und zu sehen wo Unterstützung und wo Widerstand ist. Nichts dergleichen; einbezogen und um Rat gefragt werden nur die üblichen Lobbyvertreter.

 

Die EU, so wie so momentan gestaltet ist, schafft es nicht die Interessen der europäischen Bevölkerung zu hören und sie in Politik umzusetzen. Stattdessen wird allzu oft die überlebte Politik der Liberalisierung und die Mär vom damit erreichbaren Wirtschaftswachstum von den vergleichsweise wenigen Akteuren vorangetrieben, die davon immer noch profitieren.

Wenn wir wollen, dass die Interessen der Menschen gehört werden, müssten wir ehrlich sein und sagen: STOPP! Wir müssen uns endlich die notwendige Zeit und den notwendigen Raum nehmen, umfassende demokratische Grundstrukturen der EU miteinander auszuhandeln. Dazu braucht es einen großen Bürger-Verfassungskonvent, der nicht nur aus der politischen Exekutive besteht, sondern auch die Bevölkerung in ihrer Vielfältigkeit repräsentiert. Während des ganzen Konvents muss es möglich sein, Vorschläge von außen zu machen, die mit genügend Unterstützungsunterschriften ihre Relevanz bewiesen haben. Es muss am Ende nicht ein einheitlicher Verfassungsentwurf herauskommen, sondern es können in verschiedenen Bereichen Alternativen angeboten werden, die am Ende ein Europa der unterschiedlichen Regionen und Geschwindigkeiten entstehen lassen. Selbstverständlich stimmen nach einer angemessenen Phase der öffentlichen Diskussion alle Mitgliedsländer in einer Volksabstimmung am gleichen Tag über den Verfassungsentwurf ab.

Weitere Informationen zu der Idee eines Bürger-Verfassungskonvents finden Sie hier.

 

Vorbild für einen solchen Prozess könnte ein Experiment der Isländer sein, das fast geglückt wäre. Nach dem das Land in der Finanzkrise bankrott ging, wurde in einem einzigartigen gemeinsam eine neue Verfassung ausgearbeitet. 2 Berichte dazu von einem informativen Blog:

Isländisches Verfassungs-Experiment 1.

Isländisches Verfassungs-Experiment 2.