Quorum bringt immer wieder Bürgerentscheide trotz Mehrheiten zu Fall

Mehr Demokratie stellt die weit verbreitete deutsche Praxis infrage, einen Bürgerentscheid mit einem Quorum unter Vorbehalt zu stellen. Wodurch ist dieser Eingriff in demokratische Bürgerrechte gerechtfertigt?

Von Sarah Händel

Pforzheim. Nun ist es doch so gekommen wie befürchtet. Nachdem der Gemeinderat erst eine Abstimmung am Tag der Bundestagswahl und dann die Abstimmung am Tag der nächsten Landtagswahl im Mai 2014 abgewehrt hatte, ist der Bürgerentscheid zur Initiative „Busse in Bürgerhand“ nun an der zu geringen Wahlbeteiligung gescheitert.  Ein Schicksal, das die Initiative nach einem vorherigen Entscheid 2006 nun zum zweiten Mal ereilt.

Zwar hatten sich diejenigen, die an der Abstimmung teilgenommen haben, mit überdeutlichen 86 Prozent für eine Rekommunalisierung der Busbetriebe ausgesprochen, doch die Mehrheit reicht nicht aus, um in Baden-Württemberg einen gültigen Bürgerentscheid zu erreichen. Das derzeit noch geltende Quorum beträgt 25 Prozent und bedeutet, dass sich nicht nur die Mehrheit für einen Vorschlag aussprechen muss, sondern dass diese Mehrheit zugleich auch 25 Prozent der Wahlberechtigten (nicht der Abstimmenden) umfassen muss. Ist das Quorum nicht erreicht, ist die Abstimmung ungültig und die Entscheidung fällt zurück an den Gemeinderat.

Ein solches Quorum soll sicherstellen, dass nicht eine Minderheit über die schweigende Mehrheit bestimmt, die aus welchen Gründen auch immer, ihre Chance abzustimmen nicht genutzt hat. Sie soll eine angemessene Beteiligung sicherstellen. Eine heere Absicht, doch muss diese Begründung genauer unter die Lupe genommen werden.

Zunächst zeigt die Empirie, dass Quoren unerwünschte Effekte haben und daher eben nicht erreichen, was sie anstreben: Ein Quorum erhöht nicht die Beteiligung, sondern hemmt und verringert sie, weil die Gegenseite darauf spekulieren kann, dass die Abstimmung ungültig wird.  Sich aus der Debatte vor dem Entscheid herauszuhalten und nicht die sachlich- inhaltliche Auseinandersetzung zu suchen, wird damit zur Strategie, um die Abstimmungsbeteiligung niedrig zu halten. Das kann nicht im Interesse einer lebendigen Demokratie sein.

Des Weiteren bleibt zu fragen, ob ein Bürgerentscheid, an dem jeder Bürger und jede Bürgerin teilnehmen konnte, ein undemokratisches Ergebnis erzeugt, wenn weniger Menschen teilnehmen oder mit JA stimmen, als das Quorum erfordert. Die zugrunde liegende Annahme ist: Je weniger Menschen an einer Abstimmung teilnehmen desto undemokratischer ist das Ergebnis. Sind die Europawahlen also die undemokratischsten? Oder die Bürgermeisterwahlen, bei denen die Beteiligung des Öfteren sogar bei unter 30 Prozent liegt?

Die Antwort lautet: Nein. Eine Wahl oder Abstimmung ist so lange als demokratisch zu bezeichnen, wie gewährleistet ist, dass alle Wahlberechtigten teilnehmen konnten und ihre Stimmen ordnungsgemäß ausgezählt wurden.  Zusätzliche Hürden festzulegen und sich damit das Recht zu nehmen zu definieren, ab wann Demokratie anfängt, ist schädlich für die Demokratie an sich. In der Schweiz wäre ein solcher Eingriff in die Bürgerrechte undenkbar.

Bei Wahlen ist dieser Grundsatz „Demokratie herrscht, so lange Beteiligungschancen gewährleistet sind“ unangefochten akzeptiert. Eine Wahl gilt, egal wie viele teilgenommen haben. Bei Abstimmungen wird er völlig zu Unrecht infrage gestellt. Dabei ist die Folge bei Wahlen und Abstimmungen exakt dieselbe: Diejenigen, die sich nicht beteiligt haben, müssen akzeptieren, was die anderen durch ihre Stimmen entschieden haben.

Wo kommen wir also hin, wenn die Quoren weiterhin hoch bleiben und die Politikverdrossenheit weiterhin wächst? Die Bemühungen und Voten, derjenigen, die sich an der Gesellschaft beteiligen und mit der direkten Demokratie den demokratischen Diskurs beleben wollen, laufen ins Leere, da die Abstimmungen ungültig werden. Auch die Abstimmung im November zur Energieversorgung in Berlin ist ein solches Beispiel.

Diese Argumente sollen nicht davon ablenken, dass eine hohe Beteiligung anzustreben ist, bei Wahlen und wie auch bei Abstimmungen. Dazu sind viele Maßnahmen denkbar. Sie sollten allesamt darauf ausgerichtet sein, den demokratischen Diskurs und das Streiten um Lösungen gesellschaftlicher Probleme in der Gesellschaft besser zu verankern und ihn zu üben: Demokratieerziehung an den Schulen, verständliche Vermittlung politischer Inhalte, Transparenz und Informationsfreiheit, sowie der ganze Koffer an Bürgerbeteiligungsverfahren inklusive der direkten Demokratie.

Die direkte Demokratie kann ihren Beitrag leisten zu einer inklusiven Gesellschaft, in der viele Menschen sich für Politik interessieren und sich direkt beteiligen. Sie kann die politischen Diskussionen wieder zu den Menschen zu bringen und mit unkonventionellen Vorschlägen die demokratische Debatte inhaltlich beleben, doch dazu muss sie fair gestaltet sein.

 

Ob ein Thema relevant genug für eine Abstimmung ist, muss sich auf der Stufe zuvor, dem Bürgerbegehren entscheiden. Sind dort eine genügend große Zahl an Unterstützungsunterschriften gesammelt, ist ein Quorum bei der Abstimmung überflüssig. Mehr Demokratie fordert daher die Abschaffung der Quoren bei Bürgerentscheiden und Volksentscheiden, wie es in der Schweiz schon immer Praxis war. Eine Absenkung auf 20 Prozent, wie derzeit von der Reformgruppe im Landtag vorgesehen, ist unzureichend.