Das Quorum in den Verfahren der direkten Demokratie

Inhaltsverzeichnis

 

I. Einleitung: Was sind Quoren?

Die direkte Demokratie besteht aus Verfahren, die es den BürgerInnen ermöglichen, in Sachfragen verbindlich Politik mitzugestalten. Die direkte Demokratie ergänzt die repräsentative Demokratie in Einzelfällen und ermittelt zwischen den Wahlen Mehrheiten zu einem spezifischen Thema. Durch die verstärkte Rückbindung von Politik an den Bürgerwillen wird die Demokratie demokratischer.

Was sind Quoren?

Bei volksinitiierten Verfahren gibt es in der Regel drei Stufen, die ein Anliegen erklimmen muss, um eine verbindliche Abstimmung zu erwirken. Jede der Stufen hat eine eigene Hürde. Da jede Stufe im Prozess eine eigene Funktion hat, müssen die dazugehörigen Hürden auf jeder Stufe gesondert bestimmt werden. Nur dann werden sie ihrer spezifischen Funktion gerecht. Quoren sind solche Hürden. Das Unterschriftenquorum beim Volksbegehren (= zweite Verfahrensstufe) zum Beispiel setzt die Zahl der zu sammelnden Unterschriften fest, um auf die Stufe des Volksentscheids (= dritte Verfahrensstufe) zu gelangen. Beim Volksentscheid unterscheidet man zwei Arten von Abstimmungsquoren, das Zustimmungsquorum und das Beteiligungsquorum: Ein Zustimmungsquorum bedeutet, dass bei einer Volksabstimmung ein bestimmter Anteil der Stimmberechtigten für das zur Abstimmung stehende Anliegen stimmen muss, um dem Abstimmungsergebnis Rechtswirkung zu verleihen. Ein Beteiligungsquorum hingegen schreibt als Bedingung für Rechtskräftigkeit eine Mindestbeteiligung an der Abstimmung vor.

Dieses Papier befasst sich mit der Funktion, den Konsequenzen und der angemessenen Höhe von Quoren. Da Quoren maßgeblich das Verhältnis von direkter und repräsentativer Demokratie bestimmen - also auch darüber, ob direkte Demokratie überhaupt stattfindet – sollte ihre Ausgestaltung nicht willkürlich, sondern anhand folgender konkreter Überlegungen erfolgen:

Welchen normativen Wert hat die direkte Demokratie für ein demokratisches Gemeinwesen?

Welche Funktion, welches Ziel soll das Quorum auf der jeweiligen Stufe erfüllen?

Ist ein Quorum das geeignete Mittel, um dieses Ziel zu erreichen?

Des Weiteren müssen die empirischen Erfahrungswerte über Quoren und ihre Auswirkungen in Deutschland und anderen Ländern als Basis der Quorenausgestaltung herangezogen werden.

II. Der Mehrwert der direkten Demokratie

Die Demokratie lebt vom Interesse und der Beteiligung der BürgerInnen und vom Wettbewerb der Ideen. Der Vertrauensverlust in die politischen Parteien und das steigende Desinteresse an der Politik als Ganzes sind deshalb eine Entwicklung, die für die Qualität der Demokratie gefährliche Folgen haben kann. Jede Möglichkeit, den BürgerInnen vielfältige Formen und Räume des politischen Engagements anzubieten und den Zugang für neue Ideen in den politischen Prozess zu erleichtern, sollte genutzt werden.

Mit Hilfe der direkten Demokratie können die Menschen auch zwischen den Wahlen Sachthemen entscheiden. Die Bürgerschaft bewahrt sich somit ein Stück Unabhängigkeit von ihren politischen VertreterInnen, die immer öfter von LobbyistInnen beeinflusst werden und Entscheidungsverantwortung an externe Expertengremien oder an supranationale Institutionen abgeben. Finden Volksabstimmungen statt, wird ein Sachthema, das die Menschen interessiert, in der Öffentlichkeit so breit diskutiert, dass sich jeder und jede eine Meinung bilden kann. Auf diese Weise kann Interesse an politischen Themen auch generell geweckt und es können Erfahrungen zur Bildung von eigenen Positionen gemacht werden.

Durch die Beteiligung an der Abstimmung werden die Menschen in ihrer Rolle als BürgerInnen und den dazugehörigen Rechten und Pflichten angesprochen. Die Identifikation des Einzelnen als Teil eines großen Ganzen wird gestärkt. Identifikation wird zusätzlich gestärkt, wenn der Einzelne die Möglichkeit hat, zusammen mit anderen Initiative zu ergreifen, um eine Entscheidung zu einer bestimmten Sachfrage herbeizuführen. Die Aussicht, die eigenen Lebendbedingungen mitgestalten zu können, fördert Engagement.

Allein schon die Existenz einer praktikablen Mitbestimmungsregelung entfaltet eine wertvolle Vorwirkung. Wenn die BürgerInnen bei Unzufriedenheit verbindliche Handlungsoptionen haben, müssen Politiker ihre Pläne und Entscheidungen besser kommunizieren. Sie müssen sensibel für die Stimmungen und Anliegen der Bevölkerung werden und deutlich machen, wie sie die Bedürfnisse der Menschen in ihrer Politik berücksichtigt haben. Die Kommunikation zwischen Wählern und Gewählten wird transparenter, umfassender und findet mehr auf Augenhöhe statt. Bei Reformstau in einzelnen Politikbereichen haben die BürgerInnen durch die direkte Demokratie die Möglichkeit, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Die direkte Demokratie hat also eine wichtige Kontroll-, Input- und Integrationsfunktion. Ihre Anwendung birgt großes Potenzial für die Weiterentwicklung und Revitalisierung unserer Demokratie. Es gilt sie so zu gestalten, dass dieses Potenzial gehoben werden kann und die Qualität der parlamentarischen Demokratie gestärkt wird, ohne ihre Stabilität zu gefährden.

Zunächst werfen wir einen genaueren Blick auf die Ausgestaltung der Quoren in den deutschen Bundesländern.

III. Die dreistufigen Verfahren der direkten Demokratie auf Landesebene: Art, Höhe und Funktion der Quoren

    1. Der Antrag auf Volksbegehren

Auf der Ebene der Bundesländer existieren dreistufige Verfahren der direkten Demokratie. Auf der ersten Stufe existiert entweder ein bloßer Zulassungsantrag an das Innenministerium (so in Baden-Württemberg) oder eine „Volksinitiative“, die sich bereits an den Landtag richtet. In beiden Fällen muss ein bestimmtes Unterschriftenquorum, manchmal in einer festgelegten Frist, erfüllt werden. Von 3.000 (0,02 Prozent der Wahlberechtigten) Unterschriften in Nordrhein-Westfalen bis 87.000 (2 Prozent) in Hessen, erstreckt sich die Bandbreite in den Bundesländern. In Baden-Württemberg müssen auf der ersten Stufe ohne Frist 10.000 Unterschriften für einen Zulassungsantrag auf Volksbegehren gesammelt werden. Dieses Unterschriftenquorum hat in erster Linie eine Filter- und Kostenschutzfunktion, denn im Falle eines Volksbegehrens entstehen Verwaltungsaufwand und -kosten. Durch die 10.000 Unterschriften findet eine erste Relevanz- und Ernsthaftigkeitsprüfung des Anliegens statt, vor allem aber eine rechtliche Prüfung der Zulässigkeit. Das Innenministerium prüft neben den formalen Anforderungen, ob der vorgelegte Gesetzentwurf der Landesverfassung entspricht und den darin festgelegten Themenausschluss (Abgaben- und Besoldungsgesetze sowie Staatshaushaltsgesetz) beachtet.

Der Landtag wird über den Antrag informiert und hat dadurch die Möglichkeit, das Anliegen aufzunehmen. Er ist zu einer solcher Befassung aber nicht verpflichtet. Würde die erste Stufe zu einer Volksinitiative aufgewertet, wäre das Parlament befassungspflichtig. Auf diese Weise könnten neue Ideen und Anliegen sehr schnell politische Beachtung finden und eine erste Diskussions- und Positionierungsphase im Parlament anstoßen. In der Praxis kennen Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein das Instrument Volksinitiative mit Anhörungsrecht der Initiatoren. So können schon oft zu einem frühen Zeitpunkt Kompromisse erreicht werden. Findet das Anliegen im Landtag keine Mehrheit, kann der Prozess der Volksgesetzgebung mit der zweiten Stufe, dem Volksbegehren, fortgeführt werden.

    1. Das Volksbegehren

Die zweite Stufe, das Volksbegehren, ist der eigentliche Qualifizierungstest für ein Anliegen. Hier wird ermittelt, ob ein Thema für genügend viele BürgerInnen wichtig ist, um den Aufwand und die Notwendigkeit eines Volksentscheids zu rechtfertigen. Das Recht, ein Anliegen zur Abstimmung zu bringen, muss nicht mehrheitsdemokratisch legitimiert sein - genauso wie es keine parlamentarische Mehrheit braucht, um im Landtag eine Abstimmung zu initiieren. Auch stellt das Begehren noch keinen in irgendeiner Weise legitimierten Volkswillen dar. Die Hürdenhöhe sollte deswegen nicht als Vorstufe demokratischer Legitimierung gesehen werden, sondern ausschließlich als Indikator, dass ein Thema aus Sicht einer erheblichen Anzahl von BürgerInnen relevant ist. Auf dieser Stufe der Volksgesetzgebung geht es schlicht um das Recht, Gesetzesvorlagen einzubringen und sie damit auf die politische Entscheidungsagenda zu setzen. Mit anderen Worten: Eine Minderheit hat das Recht, der Mehrheit eine Frage zur Abstimmung vorzulegen. Die Hürde auf dieser Stufe ist entscheidend für die Häufigkeit von Volksentscheiden. Sie muss einerseits hoch genug sein, um die Stabilität und Funktionsfähigkeit der repräsentativen Demokratie nicht zu gefährden. Sie muss andererseits auch niedrig genug sein, um Engagement aus der Bürgerschaft zu fördern und sogar herauszufordern.

Die Chance, die Hürde auf der Stufe des Volksbegehrens zu überwinden, ergibt sich aus der Kombination von drei Stellschrauben: Anzahl der benötigten Unterschriften, Dauer der Sammelfrist und Art der Unterschriftensammlung. Zum Vergleich: In den US-Bundesstaaten betragen die Unterschriftenquoren durchschnittlich 3-4 Prozent der Wahlberechtigten, in den Schweizer Kantonen 2-3 Prozent, die Sammelfrist erstreckt sich über mehrere Monate und die Unterschriften müssen nicht auf den Ämtern geleistet werden, sondern dürfen frei gesammelt werden. In Deutschland sieht die Situation anders aus. Brandenburg hat mit 4 Prozent der Wahlberechtigten das anwendungsfreundlichste Unterschriftenquorum. Die Sammelfrist beträgt 4 Monate. Jedoch beeinträchtigt die Amtseintragung im Flächenland Brandenburg die Erfolgsaussichten massiv. Das Saarland hingegen blockiert mit 20 Prozent Unterschriftenquorum, 2 Wochen Sammelzeit und Amtseintragung den Weg zur Volksabstimmung vollständig. Auch in Baden-Württemberg existiert ein sehr hohes Unterschriftenquorum: 16,7 Prozent der Wahlberechtigten (derzeit ca. 1,3 Millionen Menschen) müssen ein Anliegen innerhalb von 2 Wochen auf den Rathäusern unterstützen, um ein Volksbegehren abzuschließen. In der Praxis hat diese Regelung bisher zur Verhinderung bürgerinitiierter Volksentscheide geführt. Der Abschreckungseffekt dieser Hürde ist so groß, dass noch keine Initiative gewagt hat ein Volksbegehren zu versuchen.

    1. DerVolksentscheid / die Volksabstimmung

Der Volksentscheid ist die dritte und letzte Stufe. Hier entscheiden die BürgerInnen, wie sie zu einer Sachfrage stehen. In allen Bundesländern außer in Bayern, Sachsen und Hessen existieren auf dieser Stufe Zustimmungsquoren. Bei einfachen Gesetzen reicht die Varianz von 15 Prozent in NRW bis zu 50 Prozent im Saarland. Wird durch den Volksentscheid die Verfassung geändert, gelten höhere Zustimmungsquoren, am häufigsten 50 Prozent. Die Höhe dieser Quoren steht in krassem Gegensatz zu der Praxis in den USA und der Schweiz: dort sind Quoren auf der Ebene der Volksabstimmung nahezu unbekannt.

In Baden-Württemberg müssen 33,3 Prozent der Stimmberechtigten einer Vorlage zustimmen, damit sie als angenommen gilt. Ist diese Bedingung nicht erfüllt ist es irrelevant, ob eine Mehrheit für die Vorlage gestimmt hat, die Abstimmung gilt als ungültig und die Vorlage wird nicht umgesetzt. Das Zustimmungsquorum von 33,3 Prozent soll garantieren, dass sich möglichst viele Menschen an der Abstimmung beteiligen und ein (willkürlich hoch) festgelegter Prozentsatz der Bürger eine Entscheidung unterstützt, bevor sie rechtskräftig wird. Es geht also um eine möglichst hohe demokratische Legitimation der Entscheidung. Dieses Ziel ist ehrenwert. Die Fragen, die sich stellen, sind:

Erfüllt ein Quorum von 33 Prozent dieses Ziel?

Gibt es überhaupt ein Legitimationsproblem oder berechtigte gesonderte Legitimationsanforderungen?

Und vor allem: welche ungewollten Nebenwirkungen hat ein solches Zustimmungsquorum?

Das Ziel dieser Stufe ist es, eine Mehrheitsentscheidung zu einem konkreten Gegenstand herbeizuführen. Um die Qualität der Entscheidung zu maximieren, sollte ein autonomer Willensbildungsprozess der Bevölkerung der Entscheidung vorangehen. Diesen gewährleistet eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte, an welcher möglichst viele Akteure gleichberechtigt teilnehmen. Nur so kann die Informations-, Perspektiven- und Meinungsvielfalt maximiert werden und ein Entscheidungsprozess entstehen, der es jedem Bürger ermöglicht, alle Vor- und Nachteile einer Entscheidung in seinem Sinne zu gewichten. Dafür bedarf es konkreter Regelungen, wie zum Beispiel einer Kostenerstattung der Initiatoren eines Volksentscheids, um über Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit zu verfügen. Von der Regierung sollte eine Informationsbroschüre zum Abstimmungsthema an alle Haushalte verschickt werden, die alle relevanten Fakten erfasst. Eventuell bedarf es einer Spendenbegrenzung oder zumindest der Spendentransparenz. Ein gleichberechtigter Zugang zu den Medien und öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern ist anzustreben. Vor allem aber bedarf es einer aktiven Zivilgesellschaft, die sich in ihren Zusammenschlüssen, wie Vereinen, Verbänden und gemeinnützigen Organisationen, positioniert und ihre Mobilisierungskraft und Argumente einbringt.

Ist durch diese Maßnahmen ein auf die Bevölkerung ausgerichteter Wettbewerb von Gegnern und Befürwortern der Initiative um die besseren Argumente gesichert, wird ein Quorum überflüssig. Warum hohe Quoren zudem oft nicht zielferfüllend sind und zudem vielfältige negative Nebeneffekte hervorrufen wird im nächsten Kapital erklärt.

Ganz grundsätzlich stellt sich an dieser Stelle die Frage aufgrund welcher Argumente Verfahrenshürden, die verbindliche Mitbestimmung der BürgerInnen in der Praxis erheblich einschränken oder gar verhindern, überhaupt zu rechtfertigen sind. Wird der Wert der direkten Demokratie anerkannt, müssen die Verfahren so gestaltet werden, dass sie in der Praxis anwendbar sind. Nur gelebte direkte Demokratie kann ihre positive Wirkung entfalten.

IV. Probleme und Gefahren zu hoher Hürden

    1. Negative Auswirkung von Abstimmungsquoren

Überhöhte Hürden führen oft dazu, dass direkte Mitbestimmung schon auf den Verfahrensstufen eins und zwei scheitert. Kommt es jedoch zu einer Volksabstimmung, zeigen sich viele Nebeneffekte von Abstimmungsquoren im Allgemeinen und Zustimmungsquoren im Besonderen, die sich auf die Funktionsfähigkeit der direkten Demokratie negativ auswirken und verhindern, dass ihre Effekte positiv auf das Gemeinwesen zurückwirken.

Formales Scheitern/unechtes Scheitern: Eine Abstimmung findet statt, aber die Mehrheitsentscheidung für eine Vorlage hat keine Konsequenz, weil das Abstimmungsquorum nicht erreicht wurde. In diesem Fall sind die finanziellen Mittel und der personelle Aufwand für das Verfahren umsonst gewesen; denn es wurde keine auf der Abstimmungsmehrheit beruhende Entscheidung herbeigeführt. Schlimmer noch: Die BürgerInnen, die das Verfahren initiiert haben, und alle BürgerInnen, die sich in einer demokratisch ermittelten Mehrheit für das Anliegen ausgesprochen haben, werden sich ungerecht behandelt fühlen und das Instrument direkte Demokratie als zahnlos empfinden. Kommt ein formales Scheitern häufig vor, ist es wahrscheinlich, dass die BürgerInnen sich gänzlich von der direkten Demokratie abwenden.

Ungleichgewichtung der Stimmen: Durch ein Zustimmungsquorum haben Ja- Stimmen nicht dasselbe Gewicht wie Nein-Stimmen. In der Tat bekommen Ja-Stimmen überhaupt erst Stimmgewicht, wenn das Zustimmungsquorum überwunden ist. Unter der Quorumshürde haben sie nicht die Macht, die Nein-Stimmen aufzuwiegen. Eine Nein-Stimmen-Minderheit kann sich unterhalb des Zustimmungsquorums gegenüber der Ja-Abstimmungsmehrheit durchsetzen. Die Gleichwertigkeit der Stimmen wird hier erheblich verletzt.

Einschränkung des engagierten Bürgers und Fehldeutung der Stimmenthaltung: Durch ein Abstimmungsquorum werden die Stimmen derer, die nicht an der Abstimmung teilnehmen, automatisch dem Nein-Lager zugeordnet, solange das Quorum nicht erreicht ist. Die Initiatoren müssen nicht nur die Mehrheit der Abstimmenden, also der politisch aktiven Bürgerschaft überzeugen, sondern – im Falle Baden-Württembergs – 33,3 Prozent der Stimmberechtigten. Reicht es jedoch nicht aus die einfache Mehrheit der Abstimmenden für ein Anliegen zu gewinnen, dann wird das Schicksal einer Idee und die Wirkung bürgerschaftlichen Engagements abhängig gemacht von denen, die sich nicht an der Abstimmung beteiligen. Passivität und Desinteresse können so das Engagement der aktiven BürgerInnen ins Leere laufen lassen.

Auch wird nicht berücksichtigt, dass sich BürgerInnen aus sehr unterschiedlichen Gründen nicht an einer Abstimmung beteiligen (wollen). Eine Stimmenthaltung aufgrund einer neutralen Position zur Abstimmungsthematik wird faktisch unmöglich gemacht und der aktive Bürger und die aktive Bürgerin müssen ungerechtfertigter Weise die Konsequenzen tragen. Eine positive Anreizstruktur des heute vielfach geforderten bürgerschaftlichen Engagements sieht anders aus.

Boykottverhalten als lohnenswerte Strategie: Zustimmungsquoren (und noch viel stärker Beteiligungsquoren) laden zu taktischen Manövern und Boykottverhalten ein. Ist das Abstimmungsquorum hoch, lohnt es sich für die Gegner der Vorlage, den Abstimmungskampf zu boykottieren. Je weniger öffentliche und mediale Aufmerksamkeit und Diskussion zur Thematik der bevorstehenden Abstimmung generiert werden, desto wahrscheinlicher wird es, dass die Befürworterseite das Quorum nicht erreicht, weil Reibungsfläche und öffentliche Aktivierung fehlen. Boykottverhalten und Diskussionsverweigerung werden zur rationalen und mehrfach lohnenswerten Strategie. Zum einen können Kosten gespart werden; denn wenn die Befürworter höchstwahrscheinlich am hohen Quorum scheitern, warum Ressourcen in einen Abstimmungskampf investieren? Außerdem kann durch Boykott auch das Risiko der offenen Stimmniederlage vermieden werden, die immer eine Möglichkeit ist, wenn die argumentative Auseinandersetzung nicht gescheut wird (Jung 2009: 54). Unter den Konsequenzen leidet nicht nur die Repräsentativität des Ergebnisses, die ihren Feedback-Charakter verliert, sondern auch der wünschenswerte Bildungseffekt durch eine intensive gesellschaftliche Debatte zu der betreffenden Sachfrage.

Demokratie setzt Beteiligung, Aktivität und Engagement voraus. Es ist eine Fehlsteuerung, wenn der passive Sachgegner, der zu Hause bleibt und die Kommunikation verweigert, mit dem Scheitern des ungeliebten Projekts belohnt wird.

Gefahr der Aufhebung des Abstimmungsgeheimnisses: Bei einem hohen Zustimmungsquorum lohnt es sich für die Gegner auf Boykott zu setzen, so dass nur die Befürworter einen Anreiz haben zur Abstimmung zu kommen. In diesem Fall ist das Recht auf geheime Abstimmung gefährdet und die Abstimmenden sehen sich möglicher Weise dem Einsatz sozialen Drucks ausgesetzt (Jung 2009: 55).

Hohe Quoren können zu einer niedrigeren Abstimmungsbeteiligung führen: Hohe Abstimmungsquoren können zu einer niedrigeren Abstimmungsbeteiligung führen, da sich Boykottstrategien aus beschriebenen Gründen für die Gegner der Vorlage lohnen. Außerdem können auch die Befürworter einer Initiative von einem hohen Quorum aufgrund der vielfachen Erwähnung der schieren Unmöglichkeit seiner Überwindung zum Beispiel in Presse, Fernsehen und durch Experten, einen Entmutigungseffekt verspüren, der zur Nichtteilnahme an der Abstimmung führen kann. Allgemein fördert die hohe Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns der Abstimmung am Quorum nicht den Willen, Informationen zum Abstimmungsthema einzuholen, sich eine Meinung zu bilden und dann auch zur Abstimmung zu gehen. In diesen Fällen bewirkt das Abstimmungsquorum das Gegenteil von seinem erhofften Effekt, demokratische Legitimation durch eine hohe Wahlbeteiligung herbeizuführen.

  1. Negative Auswirkungen hoher Hürden auf den 3 Stufen der direktdemokratischen Verfahren

Missachtung des Grundsatzes der Kompetenzeffektivität: Dieser (ungeschriebene) Verfassungsgrundsatz besagt, dass eingeräumten Rechten auch Verwirklichungschancen gegenüber stehen müssen. Wenn es dem Volk in der Verfassung zugesagt wird, dass es das Recht hat, über den Weg der direkten Demokratie an der Gesetzgebung mitzuwirken, müssen die Spielregeln der direkten Demokratie so gestaltet sein, dass diesem Recht auch Chancen auf Umsetzung gegenüberstehen. In Baden-Württemberg hat es noch nie eine von unten initiierte Volksabstimmung oder auch nur ein Volksbegehren gegeben. Diese Tatsache und der Vergleich mit anderen Bundesländern, in denen weit geringere Hürden als die Baden-Württembergs ebenfalls zur fast vollständigen Blockade der direkten Demokratie führen, sprechen dafür, dass die Konditionen der Volksgesetzgebung in Baden-Württemberg so nutzungsfeindlich sind, dass der Grundsatz der Kompetenzeffektivität verletzt ist.

Positive Vorwirkung entfällt: Wenn die direktdemokratischen Verfahrensregeln fair gestaltet sind, müssen sie gar nicht oft praktiziert werden. Allein die Möglichkeit ihrer Inanspruchnahme wird die Haltung der PolitikerInnen gegenüber dem Souverän verändern. Bei zu hohen Hürden stellen die direktdemokratischen Verfahren jedoch keine Konkurrenz zu parlamentarischen Entscheidungsprozessen mehr dar. PolitikerInnen sehen sich nicht dazu angehalten, durch eine andere Haltung, transparente Kommunikation und Sensibilität für die Anliegen und Stimmungen in der Bevölkerung der Anwendung von direkter Demokratie vorzubeugen. Wenn den BürgerInnen die Druck- und Kontrollfunktion der direkten Demokratie vorenthalten werden, findet kein Dialog auf Augenhöhe statt. Die positive Vorwirkung, bestehend aus einer wünschenswerten besseren Kommunikation zwischen Politik und den BürgerInnen, entfällt.

Bei hohen Hürden geraten unverbindliche Beteiligungsverfahren in Gefahr, zur Spielwiese zu werden: Sind die Hürden für die Verfahren der direkten Demokratie so hoch, dass sie in der Praxis nicht nutzbar sind, geraten auch die Verfahren der unverbindlichen Beteiligung - etwa runde Tische oder Planungszellen- in Gefahr, als pure Ruhigstellungsmaßnahmen und Partizipationsplacebos seitens der Politik wahrgenommen zu werden. Denn wenn ein unverbindlicher Beteiligungsprozess nicht im Sinn der Beteiligten ausgeht, also kein allseits akzeptierter Kompromiss gefunden werden konnte, muss die Möglichkeit bestehen, auf Verfahren der verbindlichen Mitbestimmung zuzugreifen. Wissen alle Beteiligten, dass dies der Fall ist, findet ein Dialog auf Augenhöhe statt, und alle Verhandelnden haben die größtmögliche Motivation zu einer akzeptablen Lösung zu kommen.

Verengung des politischen Wettbewerbs: Die Legitimation politischer Herrschaft erwächst aus fairem politischem Wettbewerb. Quoren verengen in diesem Wettbewerb den Zugangskanal für neue Ideen und fördern Oligopole der mitglieder- und kapitalstarken Organisationen und Verbänden mit guten Zugängen zur politischen Elite (Lobbyismus). Wenn ein Quorum so hoch ist, dass die Erfolgschancen eines Begehrens gering sind, wer nimmt dann noch den erheblichen finanziellen und personellen Aufwand, eines zu starten? Organisationsschwächere Interessen und Gruppen werden bei zu hohen Hürden benachteiligt bzw. vom Zugang zu den Instrumenten der direkten Demokratie ausgeschlossen.

Dass es trotzdem (noch) so viele Bundesländer mit überhohen Hürden gibt, liegt an tiefsitzenden Ängsten und Vorurteilen bei vielen Politikern, Richtern, aber auch BürgerInnen und Bürgern gegenüber der direkten Demokratie. Diese zeigen sich resistent gegenüber zahlreichen Forschungsergebnissen und den positiven Erfahrungen, die in anderen Ländern seit mehreren Jahrzehnten mit der direkten Demokratie gemacht werden. Speziell die Verfassungsgerichte zeigen sich in ihrer Rechtsprechung übervorsichtig und ungerechtfertigt systemprotektionistisch, wenn es um überfällige Reformen der direkten Demokratie geht. Die Ängste und Unsicherheiten drehen sich größtenteils um die Frage der Legitimation eines Abstimmungsergebnisses und die Durchsetzungskraft extremer Minderheiten. Diese beiden Themenkomplexe werden in den folgenden Abschnitten näher erörtert.

V. Die Legitimation des Abstimmungsergebnisses

Im Grundgesetz, Art. 20 (2) heißt es: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Das Volk ist also im Grundgesetz als oberste Legitimationsquelle definiert. Legitimationsprobleme in der Volksgesetzgebung können daher nur bezüglich der Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips und der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems auftreten.

Die Abstimmungsbeteiligung

Auch Volksentscheide und daraus hervorgehende Gesetze basieren immer auf Mehrheitsentscheidungen, potenziell nur auf anderen als bei der letzten Wahl ermittelt. Bezugsgröße dieser Mehrheit ist die Zahl der Abstimmenden wie bei Wahlen auch. Erstaunlicher Weise ist bei Wahlen selten von einem Legitimationsdefizit die Rede, selbst dann, wenn, wie zum Beispiel bei Bürgermeisterwahlen oft der Fall, Repräsentanten für die Dauer von 8 Jahren mit geringen Wahlbeteiligungen von um die 30 Prozent gewählt werden.

Zwar liegt der parlamentarischen Gesetzgebung der Gedanke eines Konsenses der Mehrheit der Stimmberechtigten zugrunde (Engelken 2000: 882), da bei keiner Wahl 100 Prozent der Stimmberechtigten teilnehmen, ist dies in der Praxis jedoch nie der Fall. Unsere parlamentarischen VertreterInnen werden von der Aktivbürgerschaft (diejenigen, die zur Wahl gehen) gewählt und verfügen dann über Gesetzgebungskompetenzen, die das gesamte Volk binden, eingeschlossen die BürgerInnen, die nicht an der Wahl teilnahmen, die Nichtstimmberechtigten und die zukünftigen Generationen. Nach Meerkamp (2011: 473) ist es zumindest fraglich, ob Abgeordnete mit voller Gesetzgebungskompetenz, die ihnen durch das Volk ohne eine Mindestbeteiligung bei einer Wahl zugestanden wurde, das Volk beschränken sollten, mit einfacher Mehrheit abzustimmen.

Zudem zeigt die Erfahrung: Die Beteiligung bei Volksabstimmungen – ohne Zusammenlegung mit einer Wahl – liegt in den deutschen Bundesländern im Durchschnitt bei 38 Prozent (auf kommunaler Ebene bei 50 Prozent). Auch die Abstimmungsbeteiligung in der Schweiz auf Bundesebene liegt, trotz der großen Häufigkeit der Abstimmungen und seit vielen Jahrzehnten praktizierter direkter Demokratie, bei durchschnittlich 40 Prozent. Die Unterschiede in der Höhe der Beteiligung hängen in der Regel davon ab, ob die BürgerInnen die Abstimmung persönlich für wichtig halten, ob sie den Sachverhalt verstehen und ob es sich um ein kontroverses Thema handelt.

Es stimmt, bei Wahlen ist die Beteiligung in der Tat höher, denn von der Konsequenz einer Volksabstimmung zu einer einzelnen Sachfrage sind weniger Menschen in weniger großem Ausmaß betroffen als von einer Wahlentscheidung, welche eine Regierung für die nächsten vier Jahre begründet. Doch auch bei Volksabstimmungen wird die Beteiligung in den allermeisten Fällen nicht unter einen bestimmten Schwellenwert sinken; denn pluralistische Demokratien lassen schlichtweg kein Machtvakuum zu. Wenn eine Sachfrage zur Abstimmung steht, positionieren sich die Parteien, wirtschaftliche Interessengruppen, zivilgesellschaftliche Interessenvertreter und viele Bürgerinnen und Bürger, die ein allgemeines politisches Interesse haben und /oder konkret betroffen sind. Wer als politischer Akteur wahrgenommen werden will, wird diese Chance nutzen, in der Bevölkerung Anhänger zu finden. Lobbygruppen, die sich bestimmten Sachthemen verschrieben haben, werden die Möglichkeit wahrnehmen, die plötzliche Aufmerksamkeit für ihr Thema zu nutzen, um gesellschaftliche Unterstützung zu gewinnen. Die Struktur, Akteursvielfalt und Funktionsweise einer gesunden pluralistischen Demokratie werden immer dafür sorgen, dass verschiedenste Argumente und Sichtweisen auf ein Thema diskutiert werden und ein ohne Quorum belasteter Abstimmungskampf wird die BürgerInnen entscheidungsfähig machen. Danach wird aufgrund der Mehrheit der abgegebenen Stimmen ein Mehrheitsbschluss umgesetzt. Dass die Beteiligung aufgrund der eingeschränkteren Auswirkung einer Sachentscheidung nicht so groß ist wie bei Wahlen, ist dabei kein Manko per se; es stimmen tendenziell die ab, die betroffen und/oder interessiert und daher auch informierter sind.

Die Akzeptanz direktdemokratischer Entscheidungen

Weiter macht es Sinn, die Legitimation einer Abstimmungsentscheidung im Zusammenhang mit der tatsächlichen Akzeptanz des Ergebnisses in der Bevölkerung zu erörtern. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Ergebnisse der direkten Demokratie ist in der Regel höher als beim repräsentativen Gesetzgebungsprozess. Denn die BürgerInnen hatten die Möglichkeit, das Ergebnis durch ihre eigene Stimme direkt zu beeinflussen, und akzeptieren bei einer Nichtteilnahme, dass die Teilnehmenden für sie mitentscheiden. Das bedeutet: In der Praxis besteht keinerlei Legitimations- noch Akzeptanzproblem direktdemokratischer Entscheidungen.

Die gesellschaftliche Akzeptanz und damit auch die befriedende Wirkung der Ergebnisse der direkten Demokratie hängen vielmehr maßgeblich davon ab, ob die Verfahren der direkten Demokratie fair ausgestaltet sind. Das betrifft die Höhe der Quoren, die Auswahlmöglichkeiten bei der Fragestellung, die Komplexität der Fragestellung usw. Weiter ist maßgeblich, ob die vorangegangene Phase der Willensbildung sich unter fairen Konditionen vollziehen konnte. Hier geht es um Fragen der Kostenerstattung der Akteure, eine Budgetbegrenzung, faire Medienberichterstattung und Medianzugang, fairer Mitteleinsatz, Bereitstellung aller relevanten Informationen und solcherlei mehr.

Speziell Legitimationsanforderungen

Bleibt nur noch der Einwand, dass es verfassungsrechtlich begründete Legitmationsanforderungen an die Volksgesetzgebung gibt. Solche gehen aus den demokratischen Grundsätzen des Grundgesetzes (Art. 20) oder auch aus den Landesverfassungen nicht hervor. Solange die Stabilität der parlamentarischen Gesetzgebung, welche zu den unantastbaren demokratischen Grundgedanken gehört (BayVerfGH v. 13.4.2000 (Anm. 2), nicht gefährdet wird, ist direkte Demokratie von Verfassungswegen nicht notwendig mit zusätzlichen Legitimationsanforderungen verknüpft. Dass eine solche Destabilisierung nicht eintritt, ist durch die Kombination angemessener Antrags- und Begehrenshürden mit einer quorumslosen Abstimmung in anderen Ländern erwiesen. In die entgegengesetzte Richtung kann man jedoch argumentieren, dass hohe Hürden, die in der Praxis die direkte Demokratie verhindern, sehr wohl einer Landesverfassung entgegen stehen können, die direktdemokratische Instrumente vorsieht (genauer: die den verfassungsrechtlichen Rang, Wertschätzung oder sogar Gleichwertigkeit der direktdemokratischen Instrumenten enthält, BayVerfGH 17.09.1999 [Anm.2] unter II. 2c).

VI. Die Angst vor der Herrschaft extremer Minderheiten über die schweigende Mehrheit

Immer wieder wird von Gegnern direkter Demokratie das Worst-Case-Szenario angeführt, dass ohne ein Abstimmungsquorum eine kleine, leicht zu mobilisierende Minderheit sich gegen die schweigende, desinteressierte Mehrheit durchsetzt. Oder in einer anderen Version: dass ein Abnutzungseffekt einsetzen würde, der dazu führt, dass nur noch die Unterstützer eines Antrags sich die Mühe machen werden, überhaupt zur Abstimmung zu gehen. In der Schweiz wurde diese These 1993 von Kris Kobach untersucht. An ca. 900 Fällen mehreren 100 Fällen hat er getestet, ob die Abstimmungsergebnisse der Volksabstimmungen mit der tatsächlichen durch direkte Befragung ermittelten Mehrheitsmeinung der Bevölkerung übereinstimmten. In nur insgesamt 19 Fällen gab es stärkere Abweichungen. Jedoch hat nur in einem einzigen Fall eine Volksabstimmung eine Abstimmungsmehrheit für den Antrag erbracht, obwohl die Mehrheit in der Bevölkerung laut einer repräsentativen Umfrage dagegen war.

Außerdem zeigen Erfahrungswerte eine andere Realität: In Bayern hat die CSU die Mehrzahl der Volksentscheide gegen die Initiatoren gewonnen. In der Schweiz kommt sogar nur jede zehnte Volksinitiative zum Erfolg und in den US-Staaten werden drei von fünf Volksinitiativen abgelehnt (Tiefenbach 200?: 3). Eine weitere Studie von Wolf Linder 2005 ergab, dass Vorlagen bei 30 und 60 Prozent Beteiligung etwa gleich oft angenommen und verworfen wurden. Das bedeutet, dass es bei einer durchschnittlichen und sehr konstanten Abstimmungsbeteiligung von 40 Prozent nicht von der Abstimmungsbeteiligung abhängt, welche Seite sich in einer Volksabstimmung eher durchsetzen kann.

Abstimmungsquoren wollen auch an dieser Stelle mit inadäquaten Mitteln ein Scheinproblem lösen und bringen doch die weiter oben bereitsaufgezählten negativen Aspekte mit sich. Die empirische Forschung widerlegt mit diesen klaren Ergebnissen die Befürchtung der direktdemokratischen Bevorzugung extremer Minderheitenpositionen. Ganz generell ist an dieser Stelle nochmals darauf zu verweisen, dass Vorlagen, die Grundrechte verletzen, in Deutschland unzulässig sind und daher nicht zur Abstimmung gestellt werden können, genauso wie die Menschenrechte auch durch das Parlament nicht geschwächt werden können.

VII. Konkrete Forderungen für eine Reform in Baden-Württemberg

    1. Unterschriftenquorum für den Antrag auf Volksbegehren/die Volksinitiative (erste Verfahrensstufe)

10. 000 Unterschriften können als angemessen gelten für den Zweck einer ersten Relevanz- und Ernsthaftigkeitsprüfung eines Anliegens. Viel höher sollte das Antragsunterschriftenquorum jedoch nicht sein, denn auf dieser Stufe geht es noch um eine Formalie und nicht um die generelle Relevanz der Idee für einen großen Teil der Bevölkerung. Wird diese Stufe zur Volksinitiative aufgewertet, soll diese dazu beitragen, neue Ideen schnell in den politischen Prozess einfließen zu lassen. Durch 10.000 Unterschriften ist eine Befassungspflicht des Landtages rechtfertigbar.

    1. Unterschriftenquorum beim Volksbegehren (zweite Verfahrensstufe)

Festzuhalten bleibt: Es ist nicht Aufgabe des Unterschriftenquorums beim Volksbegehren, Minderheitenregimen vorzubeugen; das müssen und werden die entsprechenden Mehrheiten beim Volksentscheid tun. Das Quorum auf dieser Stufe muss die Relevanz des Anliegens testen und dafür sorgen, dass neue Ideen und spezifische Anliegen eine Chance haben, auf die politische Agenda zu kommen. Im Parlament braucht es 5 Prozent der Abgeordneten, um eine Abstimmung zu einem Antrag zu initiieren. Diese fünf Prozent repräsentieren unter Umständen weit weniger als fünf Prozent der Bevölkerung, da an einer Wahl stets weniger als alle Wahlberechtigten teilnehmen.

Im Grundgesetz sind parlamentarische Gesetzgebung und Abstimmungen durch den Souverän gleichgestellt: Warum also sollen unterschiedliche Hürden für die Initiierung eines Verfahrens gelten? Wenn 5 Prozent der Wahlberechtigten ein Anliegen für wichtig halten, sollte dies ausreichen, um eine Abstimmung herbeizuführen. Statt „aller Wahlberechtigten“ wäre die sinnvollere Bezugsgröße „die Zahl der Teilnehmer der letzten Wahl“, also die Anzahl der politisch aktiven BürgerInnen. Und selbst dann ist es noch ungleich schwieriger für die BürgerInnen diese Hürde zu überwinden; denn im Parlament sind die Abgeordneten schon in Fraktionen organisiert und haben es deshalb viel leichter entsprechende Bündnisse zu schließen. Fünf Prozent der Wahlberechtigten in Baden-Württemberg sind knapp 400.000 Menschen. Wenn 400.000 Menschen von einer Idee überzeugt sind, Ist diese Idee es dann nicht wert über sie abzustimmen? Empirische Erfahrungswerte aus anderen Ländern zeigen, dass ein 5 Prozent-Unterschriftenquorum (wie auch 4 Prozent oder 3 Prozent) nicht zu einer übermäßigen Nutzung des Instruments Volksentscheid und damit verbundenem Aufwand führt. Auch andere Erleichterungen wie eine Verlängerung der Sammelfrist, die Ausweitung der Amtseintragung und die Reduzierung von Themenausschlüssen, lösen keinen inflationären Gebrauch aus: Die repräsentative Demokratie wird in diesen Ländern in angemessener Häufigkeit, das heißt nicht stabilitätsgefährdend, durch die direkte ergänzt.

    1. Zustimmungsquorum beim Volksentscheid (dritte Verfahrensstufe)

Um den Rückhalt einer Idee in der Bevölkerung zu ermitteln, bedarf es keines Zustimmungsquorums. Wie bei Wahlen auch gibt es eine Phase der intensiven öffentlichen Diskussion und des Austausches von Argumenten. Diese dient dazu, Informationen zu verbreiten und die BürgerInnen in die Lage zu versetzen sich eine Meinung zu bilden. Dann kommt der Tag der Abstimmung. Danach werden die Ja- und Nein-Stimmen gezählt und die Mehrheit entscheidet, ob die Vorlage angenommen oder verworfen wird. Diesen Prozess durch ein Quorum zu belasten ist unnötig und kontraproduktiv. Denn wie oben erwähnt ist das Quorum ungeeignet, eine hohe Abstimmungsbeteiligung zu garantieren; das Gegenteil ist sogar der Fall, da der öffentliche Dialog gehemmt wird. Es sind vielmehr der politische Wettbewerb und die Intensität und Diversität der im Vorfeld geführten gesellschaftlichen Debatte, die die Menschen für die Abstimmung mobilisieren kann und dadurch das Mehrheitsprinzip wirklich zur Geltung bringt.

Das Zustimmungsquorum beim Volksentscheid ist eine Pseudolösung für ein Scheinproblem und daher überflüssig, wie auch an den Erfahrungen der Bundesländer in Deutschland, der Staaten der USA und in der gesamten Schweiz ohne Abstimmungsquorum ersichtlich wird: Dort ist man weit entfernt von Akzeptanzproblemen der vom Volk getroffenen Entscheidungen und einer Dominanz von extremen Minderheiten über die „eigentliche“ Mehrheit.

VIII. Exkurs: Maßnahmen zur Erhöhung der Abstimmungsbeteiligung

Interessant, aber leider an dieser Stelle zu weit führend, sind Überlegungen zu möglichen Maßnahmen, welche tatsächlich die wünschenswerte Beteiligung an Volksabstimmungen und das politisches Engagement der BürgerInnen erhöhen.

In diesem Zusammenhang müssten komplexe gesellschaftliche Thematiken, wie die mangelnden zeitlichen Ressourcen sich politisch zu engagieren, fehlende Gemeinwesensbindung, Zerrüttung der Solidaritätsstrukturen und fehlende Bildungschancen näher betrachtet werden.

Konkrete direktdemokratische Verfahrensausgestaltungen, an denen direkt angesetzt werden könnte, um die Beteiligung an Abstimmungen ganz generell zu erhöhen, sind folgende:

  • Aufwertung des Zulassungsantrags zur Volksinitiative,

  • Erleichterung des Volksbegehrens durch deutliche Senkung des Quorums sowie freie Sammlung und wesentlich längere Frist,

  • Abschaffung des Zustimmungsquorums bei Volksentscheiden,

  • Zusammenlegung der Abstimmung mit Wahlen, sofern möglich,

  • Reduzierung der Themenausschlüsse,

  • parlamentarische Alternativvorlage (schon jetzt möglich, aber erst noch fair zu regeln durch Stichfrage, § 20 Volksabstimmungsgesetz),

  • Sicherstellung gleichberechtigter Information durch Abstimmungsbroschüre an alle Haushalte, Internet und in öffentlich-rechtlichen Medien,

  • Kostenerstattung für die Öffentlichkeitsarbeit von Initiativen

IX. Anhang:

Graphische Darstellung der Wirkung von Zustimmungsquoren:

Zustimmungsquoren reduzieren die Erfolgschancen einer Initiative erheblich, indem sie aus dem oberen Feld der Abstimmungsmehrheit den linken Teil mäßiger Beteiligung (für das 33 Prozent Zustimmungsquorum grau eingefärbt) herausschneiden.

Im blauen Kreis liegen die wahrscheinlichen Ergebnisse einer Abstimmung. Er umfasst die Spannbreite üblicher Abstimmungsbeteiligung in Kombination mit der Spannbreite wahrscheinlicher Zustimmungsanteile. Im Durchschnitt beteiligen sich in Deutschland 40 Prozent der Stimmberechtigten an einer Abstimmung, wenn sie nicht mit einer anderen Wahl zusammengelegt wurde. Und im Durchschnitt liegt der Zustimmungsanteil der teilnehmenden BürgerInnen bei 50 Prozent.

Anhand der verschiedenen farbigen Kurven wird sichtbar, wie Zustimmungsquoren wirken: Das heute in Baden-Württemberg geltende 33,3 Prozent-Zustimmungsquorum bei einfachen Gesetzen hat zur Folge, dass beispielsweise bei einer Abstimmungsbeteiligung von 50 Prozent 67 Prozent der Abstimmenden für die Vorlage stimmen müssten, damit die Vorlage als beschlossen gilt. Bei einer Beteiligung von 40 Prozent müssten schon 83 Prozent der Abstimmenden für die Vorlage stimmen, um das Quorum zu erreichen. Da der Zustimmungsanteil aber nur in Fällen sehr unwahrscheinlicher Einigkeit über 65 Prozent der Abstimmenden steigt (der oberste Punkt des blauen Kreises) und die Abstimmungsbeteiligung nur äußerst selten über 55 Prozent (rechtester Punkt des blauen Kreises) hinausgeht, macht die Grafik deutlich, dass die Chancen, ein 33,3 Prozent Zustimmungsquorum zu erfüllen, gegen Null gehen. Der Menge der wahrscheinlichen Ergebnisse im blauen Kreis schneidet sich nicht mit dem grün eingefärbten Bereich einer erfolgreichen Abstimmung im Sinne des Begehrens.

Auch bei einem 25-prozentigen Zustimmungsquorum sind die Chancen noch gering, während 20 Prozent die Erfolgschancen zwar noch einschränken, aber bei erreichter Abstimmungsmehrheit nicht mehr zur Ausnahme machen. Erst bei 15 Prozent würden die negativen Auswirkungen des Quorums nahezu schwinden. Das Quorum auf dieses Niveau herunter zu setzen, wäre daher ein erheblicher Fortschritt, überflüssig bleibt es aus allen oben genannten Gründen trotzdem.



X.Quellen:

Meerkamp, Frank (2011): Die Quorenfrage im Volksgesetzgebungsverfahren. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Springer Fachmedien GmbH 2011: Wiesbaden.

Tiefenbach, Paul (200?): Sinn oder Unsinn von Abstimmungsquoren. Positionen zur direkten Demokratie. Mehr Demokratie e. V. Zugriff unter:

Engelken, Klaas (2000): Demokratische Legitimation bei Plebisziten auf staatlicher und kommunaler Ebene. In: Die Öffentliche Verwaltung DÖV, Jahrgang 53 (Heft 21), S. 881-895.

Lars P. Feld / Gebhard Kirchgässner (2009): Wirkungen direkter Demokratie – Was sagt die moderne politische Ökonomie? In: Mehr direkte Demokratie wagen, hrsg. von Hermann K. Heußner und Otmar Jung, 2. Aufl., München, S. 417-430.

Funk Patricia / Gathmann Christina (2009): Does Direct Democracy reduce the size of government? New evidence from historical Data, 1890-2000

; CES Ifo Working Paper No 2693, Zugriff unter: bitly.com/bundles/handelsblatt/2

Kobach, Kris (1993): Direct Democracy in Switzerland. Dartmouth Publishing Co Ltd.

Linder, Wolf (2005): Schweizerische Demokratie. Institutionen, Prozesse, Perspektiven, Bern.



Weitere Informationen zu den Hürden der direkten Demokratie in den Bundesländer im Vergleich (Volksentscheidsraning) und jährliche Berichte (Volksbegehrensberichte) zu den stattfindenden Verfahren finden Sie auf der Homepage von Mehr Demokratie e.V.:

http://www.mehr-demokratie.de/rankings-berichte.html

http://www.mehr-demokratie.de/



Papier zum Quorum

Hier finden Sie das vollständige Quorumspapier.

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Tabelle mit Pro- und Contraargumenten zum Quorum

Hier finden Sie die Tabelle mit Pro- und Contraargumenten.

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