Vorschlag zur innovativen Ergänzung des Landtagswahlrechts: Einführung einer „Ersatzstimme“

Nach dem Vorbild etablierter Verfahren in z.B. Irland und Australien sollte auch bei Landtagswahlen in Baden-Württemberg die Möglichkeit einer „Ersatzstimme“ eingeführt werden. Diese ermöglicht für den Fall, dass die primär gewählte Partei an der 5%-Klausel scheitert, die Stimme ersatzweise auf eine im Landtag vertretene Partei zu übertragen.



  1. Ausgangsproblem


Die auf Bundesebene wie auch im Landtagswahlgesetz festgelegte 5%-Sperrklausel hat die Hauptwirkung, eine unerwünschte Zersplitterung des Parlaments zu vermeiden. Mit ihr sind aber auch unglückliche Nebenwirkungen verbunden:


    • Anhänger derjenigen Parteien, die an der 5%-Klausel scheitern, sehen sich nicht im Landtag repräsentiert, fühlen sich ausgeschlossen und beteiligen sich deshalb nicht mehr an der Wahl. Das mindert die Integrationskraft des politischen Systems. Tendenziell steigt der Anteil der Stimmen, die aufgrund der 5%-Klausel unberücksichtigt bleiben.


    • Andere Wähler reagieren mit rein taktischem Stimmverhalten, indem sie die aus ihrer Sicht „zweitbeste“ Partei wählen, damit ihre Stimme nicht verloren geht. Dabei stellt es sich oft im Nachhinein heraus, dass die der taktischen Stimmabgabe zu Grunde gelegten Annahmen unzutreffend waren, so dass die Stimmabgabe schon am Wahlabend wieder bereut wird.


    • Die Sitzmehrheit im Landtag fällt oft nicht mehr mit der Stimmenmehrheit bei der Wahl zusammen. Oft hängt die Sitzmehrheit im Landtag davon ab, ob Wähler das Risiko eingehen, eine eventuell an der 5%-Hürde scheiternde Partei zu wählen, womit die Stimmen ggf. verloren sind, oder ob sie sich zu taktischem Wahlverhalten aufgrund ggf. falscher Prämissen entschließen.

 


  1. Lösungsansatz


Unter Beibehaltung der 5%-Hürde stellte die ergänzende Einführung einer „Ersatzstimme“ eine intelligente Fortentwicklung des Wahlrechts dar, die die genannten Probleme umgeht. Die eine Zersplitterung des Parlaments vermeidende Wirkung des 5%-Hürde bleibt erhalten, gleichzeitig steigt aber die Integrationskraft des politischen Systems und die demokratische Legitimation der letztlich Gewählten, indem sich fast alle Wähler nun zumindest über ihre Ersatzstimme im Parlament repräsentiert sehen können.


Die Ersatzstimme (auch Alternativ- oder Eventualstimme genannt) ermöglicht für den Fall, dass die primär gewählte Partei an der 5%-Klausel scheitert, zusätzlich eine andere Partei anzukreuzen. Zu diesem Zweck enthält der Stimmzettel in jeder Zeile zwei Kreise, auch wenn der zweite nur bei kleinen Parteien relevant wird.


Praktische Erfahrungen mit dem Instrument Ersatzstimme haben Irland, Nordirland, Malta und Australien. Sie erstmals in Deutschland einzuführen, wäre eine lohnende Aufgabe für Baden-Württemberg. Zu empfehlen ist eine einfache Version mit nur einer Ersatzstimme, also ohne Dritt- oder gar Viertpräferenz, wie es bei einer „integrierten Stichwahl“ von Bürgermeistern denkbar wäre.


Um die Sperrwirkung der 5 %-Klausel in voller Höhe zu erhalten, dürften Ersatzstimmen bei dieser Hürde (wie auch bei der Berechnung staatlicher Parteifinanzierung) nicht mitzählen.



  1. Politische Auswirkungen


    • Wenn durch die Ersatzstimme die Möglichkeit besteht, sich einerseits politisch klar zu verorten und sich andererseits doch an Hauptströmungen anzudocken, dürfte das die Wahlbeteiligung fördern und die legitimierende Kraft der Wahl erhöhen.

    • „Leihstimmen“-Aktionen würden entbehrlich, weil die Wähler eines gefährdeten Koalitionspartners durch die Ersatzstimme zugunsten des größeren ihr politisches Wollen ausreichend zur Geltung bringen können.

    • Auch bei gleichbleibender Wahlbeteiligung würden mehr Stimmabgaben als bisher bei der Sitzverteilung berücksichtigt und es müsste keine Stimme „verloren“ gehen.

    • Taktisches Wahlverhalten würde unnötig und deshalb entfallen, insbesondere das resignative Übergehen der eigentlich präferierten Partei, weil die Ersatzstimme sicherstellt, dass die Stimme nicht verloren geht. Die Ersatzstimme integriert auf diese Weise die politischen Ränder.



  1. Umsetzung


Für die Wähler wird die Entscheidung eher erleichtert als erschwert. Denn die Ersatzstimme betrifft überhaupt nur Anhänger kleiner Parteien und erlöst sie aus einem Dilemma, indem sie ihre schon bisher angestellten Überlegungen über Erst- und Zweitpräferenz nunmehr politisch wirksam dokumentieren können.


Die Auszählung wird zwar geringfügig aufwändiger, erreicht aber bei weitem nicht den Aufwand wie bei Bundestags- oder Kommunalwahlen. Denn Ersatzstimmen werden bei kaum mehr als einem Zehntel der Stimmzettel anfallen. Sobald auf Landesebene feststeht, welche Parteien die 5%-Hürde verfehlt haben, können die der Landeswahlleitung übermittelten Ersatzstimmen den jeweils zweitpräferierten Parteien zugerechnet werden, um die restlichen Sitze und ggf. Ausgleichsmandate zuzuteilen. Einer nachfolgenden Zweitauszählung in den Wahlkreisen bedürfte es nicht.


Weitere Informationen zum Wahlrecht und Refromvorschlägen, finden Sie unter:

www.wahlreform.de

 

Prof. Dr. Roland Geitmann (Kehl) / Dr. Edgar Wunder (Heidelberg)