Gesetzentwurf für mitgestaltende Bürgerbeteiligung

 Der Gesetzentwurf auf einen Blick:

 

  • Die Einwohner einer Gemeinde (ab dem 14. Lebensjahr) sollen die Möglichkeit erhalten, zu einem bestimmten Gegenstand ein bestimmtes Bürgerbeteiligungsverfahren zu beantragen (Mitspracheantrag). Dazu sind Unterschriften von 2 % der Einwohner notwendig (mind. 30, höchstens 1000). Die Durchführung des Beteiligungsverfahrens ist verbindlich, die letztendliche Entscheidung in der Sache verbleibt beim Gemeinderat (ggf. auch beim Bürgermeister).

  • Neben „Einwohnerversammlung“ und „Einrichtung eines Beirats“ bietet jede Gemeinde kraft Satzung nach eigener Wahl mindestens drei weitere Beteiligungsverfahren an, die beantragt werden können.

  • Mit Einverständnis der Vertrauensleute kann statt des ursprünglich beantragten Verfahrens auch ein anderes Beteiligungsverfahren durchgeführt werden.

  • Regelungen zur Bürger- bzw. Einwohnerversammlung (als einem der Beteiligungsverfahren) werden entweder den Gemeinden selbst überlassen und somit aus der Gemeindeordnung gestrichen, oder die Regelungen zur Bürger/Einwohnerversammlung werden nach bayerischem Vorbild in der Gemeindeordnung beteiligungsfreundlicher gestaltet. In diesem Rahmen würde die jährliche Durchführung einer Einwohnerversammlung auch verpflichtend (bisher lediglich „soll“).

 

Zusammenfassung des Gesetzentwurfs mit Erläuterungen:

 

§ 20a der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg soll folgende Fassung erhalten:

 

§ 20a Mitspracherecht der Einwohner

  1. Bei Bedarf sowie auf Antrag ist den Einwohnern Gelegenheit zur Mitsprache in gemeindlichen Angelegenheiten zu geben, ausgenommen Einzelfallentscheidungen in Weisungsaufgaben. Die Gemeinden regeln durch Satzung, welche Beteiligungsverfahren gemäß Absatz 2 beantragt werden können; neben Einwohnerversammlung und Einrichtung eines Beirats bieten sie dabei zumindest drei weitere Verfahren an.

Erläuterung: Die vielgestaltigen Formen von Bürgerbeteiligung, die auf kein den Gemeinderat bindendes Ergebnis zielen, anzuwenden und fortzuentwickeln ist Aufgabe kommunaler Selbstverwaltung und bedarf gesetzlicher Regelung nur insoweit, als gewisse kommunale Mindestpflichten und auch entsprechende Einwohnerrechte festzulegen sind. In diesem Sinne normiert der bisherige § 20a als „Soll“-Regel eine jährlich stattfindende Bürgerversammlung, die darüber hinaus auch von 10 % der Bürger verlangt werden kann. Die Mehrzahl der Gemeinden ignoriert indes diese Jahresregel. Das viel zu hohe Unterschriftenquorum macht das Antragsrecht praktisch unanwendbar. Diesen Missstand eines leerlaufenden demokratischen Instruments will der Gesetzentwurf beheben. Neben Bürgerversammlungen geraten dabei auch andere Formen der Bürgerbeteiligung ins Blickfeld (z.B. eingegrenzte Informations- und Erörterungsveranstaltungen zu besonderen Vorhaben oder aktuellen Problemen, Anhörungen, Zukunftswerkstätten, Bürgerhaushalte usw.), für deren Handhabung es jedoch keiner gesetzlichen Regelung bedarf. Dringend wünschenswert ist es, dass Einwohner aus aktuellem Anlass und insbesondere in kommunalpolitischen Konfliktlagen die Durchführung eines Beteiligungsverfahrens verlangen können, was bisher lediglich theoretisch (d.h. in untauglicher Form) nur für die Bürgerversammlung möglich ist. Mit solchen Mitsprachewünschen bleiben Einwohner bislang in der unwürdigen Rolle des bloßen „Bittstellers“.

Statt lediglich der Bürgerversammlung wird jetzt der ganze Strauß unverbindlicher Mitspracheformen ins Blickfeld gerückt und gleichzeitig der Anwendungsbereich durch den Zusatz „ausgenommen Einzelfallentscheidungen in Weisungsaufgaben“ begrenzt. Generelle Regelungen dieses Bereichs wie Polizeiverordnungen und Straßenverkehrszeichen bleiben dagegen mögliche Themen. Der Entwurf verpflichtet Gemeinderat und Verwaltung, geeignete Mitspracheformen bei Bedarf oder auf Antrag einzusetzen. Während die Einschätzung der Bedarfslage wie bei der Unterrichtung gemäß § 20 GemO Sache der Organe ist, hat ein ordnungsgemäßer Antrag verbindliche Wirkung. Die Gemeinden werden verpflichtet, für Mitspracheanträge mindestens drei weitere Beteiligungsverfahren anzubieten (neben Einwohnerversammlung und Einrichtung eines Beirats) und dies bis zu einem Stichtag durch Satzung zu regeln. Dafür kommen z. B. in Betracht: Repräsentative Befragung, Internet-Forum, Mediation, Planungszelle, Fakten-Check, Experten-Hearing, Bürgerhaushalt, Runder Tisch u. a. m. Für die Vorbereitung und den Erlass einer entsprechenden Satzung sollte den Gemeinden in einer Überleitungsvorschrift angemessene Zeit (1-2 Jahre) eingeräumt werden. Gemeindetag und Städtetag werden es sich vermutlich zur Aufgabe machen, den Gemeinden hierzu Empfehlungen zu geben und eine Mustersatzung zu entwerfen. Auch das Innenministerium oder die Staatsrätin für Bürgerbeteiligung könnte eine Mustersatzung entwickeln.

 

  1. Einwohner, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, können einen Antrag im Sinne des Absatzes 1 stellen (Mitspracheantrag). Der Antrag muss schriftlich eingereicht werden. Er muss zwei oder drei Vertrauensleute mit Namen und Anschriften, den Gegenstand der gewünschten Mitsprache sowie das gewünschte Verfahren benennen. Die Gemeinde hat in den Grenzen ihrer Verwaltungskraft den Einwohnern bei der Abfassung eines Mitspracheantrags behilflich zu sein. Der Antrag muss von 2 vom Hundert der Einwohner, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, unterzeichnet werden, mindestens von 30, höchstens von 1000 Einwohnern. § 3a des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes findet keine Anwendung. Betrifft der Mitspracheantrag die Angelegenheit eines Ortsteils oder eines Wohnbezirks, so ist für die erforderliche Zahl der Unterschriften die Zahl der im Ortsteil oder im Wohnbezirk wohnenden Einwohner maßgebend, die das 14. Lebensjahr vollendet haben. Ergibt die Unterschriftenprüfung durch die Gemeinde, dass die Zahl der gültigen Unterschriften nicht ausreicht, können weitere Unterschriften nachgereicht werden.

Erläuterung: Antragsberechtigt sollen nicht nur Bürger, sondern alle Einwohner ab dem 14. Lebensjahr sein. Auf eine Wiederholungssperrfrist wird verzichtet. Die Zahl der Vertrauensleute wird festgelegt. Die Gemeinden sollen bei der Abfassung des Mitspracheantrags auf Wunsch behilflich sein. Das Unterschriftenquorum wird auf 2 % gesenkt, mindestens 30, höchstens 1000 Unterschriften. Nachreichung von Unterschriften ist möglich.

 

  1. Über die Zulässigkeit eines Mitspracheantrags entscheidet der Gemeinderat (bei Ortsteil- und Bezirksangelegenheiten ggf. der Ortschafts- bzw. Bezirksbeirat) unverzüglich, spätestens innerhalb von sechs Wochen nach Einreichung des Antrags. Gegen eine verweigerte Zulassung eines Mitspracheantrags kann jeder Unterzeichner den Verwaltungsrechtsweg beschreiten. Über den Widerspruch im Vorverfahren entscheidet die Kommunalaufsichtsbehörde kostenfrei.

Erläuterung: Der Gemeinderat wird zur Zulässigkeitsentscheidung binnen 6 Wochen verpflichtet. Die Einlegung eines Widerspruchs bei der Aufsichtsbehörde ist kostenfrei möglich.

 

  1. Ist ein Mitspracheantrag zulässig, hat die Gemeinde das gewünschte Beteiligungsverfahren innerhalb von drei Monaten nach Feststellung der Zulässigkeit zu beginnen. Die Vertrauensleute des Antrags sind an der Vorbereitung und Durchführung des gewünschten Verfahrens angemessen zu beteiligen. Mit Einverständnis der Vertrauensleute kann statt des beantragten Verfahrens auch ein anderes Beteiligungsverfahren durchgeführt werden. Die Ergebnisse des Verfahrens sind dem zuständigen Organ zur Beratung und ggf. Entscheidung zu übermitteln.

Erläuterung: Die Vertrauensleute sind bei der Vorbereitung und Durchführung des gewählten Verfahrens angemessen zu beteiligen. Dabei kann sich ergeben, dass ein anderes als das beantragte Verfahren geeigneter ist und deswegen einvernehmlich an dessen Stelle treten kann.

 

  1. In jeder Gemeinde hat der Bürgermeister mindestens einmal jährlich, auf Verlangen des Gemeinderats auch öfter, eine Einwohnerversammlung einzuberufen. In größeren Gemeinden sollen Einwohnerversammlungen auf Teile des Gemeindegebiets beschränkt werden.

Die Tagesordnung einer Einwohnerversammlung wird vom Bürgermeister festgesetzt.

Durch einen zulässigen Mitspracheantrag oder durch ein Viertel der Gemeinderäte beantragte Verhandlungsgegenstände sind auf die Tagesordnung zu setzen. Die Einwohnerversammlung kann eine Ergänzung der Tagesordnung beschließen, wenn es spätestens eine Woche vor der Einwohnerversammlung bei der Gemeinde schriftlich beantragt wird. Die Tagesordnung darf nur gemeindliche Angelegenheiten zum Gegenstand haben. Bei einer Einwohnerversammlung können grundsätzlich nur Einwohner der Gemeinde das Wort erhalten. Ausnahmen kann die Einwohnerversammlung beschließen. Der Vorsitzende soll einem Vertreter der Aufsichtsbehörde auf Verlangen das Wort erteilen. Den Vorsitz in der Versammlung führt der Bürgermeister oder ein von ihm bestellter Vertreter, falls die Einwohnerversammlung keinen anderen Vorsitzenden bestimmt. Alle Einwohner der Gemeinde haben bei einer Einwohnerversammlung Antrags- und Abstimmungsrecht. Entsprechende Empfehlungen der Einwohnerversammlung müssen innerhalb einer Frist von drei Monaten vom Gemeinderat behandelt werden.

Erläuterung: Nach dem Vorbild der bayerischen Gemeindeordnung werden die Rechte der Einwohner bei einer Einwohnerversammlung gestärkt. Die einmal jährliche Durchführung einer Einwohnerversammlung wird verbindlich. Als Alternative wäre denkbar, es den Gemeinden selbst zu überlassen, ob und in welcher Form sie solche Versammlungen abhalten wollen.

Vollständiger Gesetzentwurf zum Downloaden.