Beteiligung bei Bürgerentscheiden ist höher als bei Kommunalwahlen

Positive Bilanz der Bürgerbegehrensreform 2015 zum Jahrestag des Inkrafttretens.

Von Edgar Wunder

Mehr Demokratie e.V. zieht eine positive Bilanz der vor einem Jahr in Kraft getretenen Reform zur Erleichterung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Baden-Württemberg. Die gute Abstimmungsbeteiligung bei Bürgerentscheiden (52%) hat mittlerweile die bei Bürgermeisterwahlen (43%) oder Gemeinderatswahlen (51%) überflügelt. „Immer mehr Bürgerinnen und Bürger wollen offenbar bei Sachentscheidungen mitbestimmen, sogar mehr als bei Kommunalwahlen“, erklärte der Landessprecher von Mehr Demokratie e.V., Edgar Wunder. Bürgerentscheide seien allerdings immer noch ein seltenes Phänomen: In den 1101 Gemeinden Baden-Württembergs fanden 2016 insgesamt nur 27 statt, so dass lediglich 3,7 % der wahlberechtigten Bevölkerung des Südweststaats die Gelegenheit hatten, an einem Bürgerentscheid teilzunehmen.

 

Die zum 1. Dezember 2015 in Kraft getretene Reform der damaligen grün-roten Landesregierung hat den Prozentsatz der gültigen Bürgerentscheide erhöht. Gab es im Jahr 2015 21 Bürgerbegehren und 17 Bürgerentscheide, waren 2016 bislang 40 Bürgerbegehren und 27 Bürgerentscheide zu verzeichnen (Stand 28.11.2016). Die Reform habe sich damit als erfolgreich und wirksam erwiesen, so Wunder. Weiterer Reformbedarf bestehe allerdings immer noch bei den Regelungen zu Bürgerbegehren. Genau wie in den Vorjahren wurden auch 2016 wieder 38 % der baden-württembergischen Bürgerbegehren, die mit der notwendigen Unterschriftenzahl eingereicht wurden, wegen restriktiver Formvorschriften für unzulässig erklärt. In Bayern beträgt diese Unzulässigkeitsquote nur 15 %. Auch auf der Landkreisebene sollten endlich Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu den in den Kreistagen behandelten Themen ermöglicht werden. „Das ist vielleicht das größte Versäumnis der vor einem Jahr in Kraft getretenen Reform“, erklärte Wunder, weil in fast allen anderen Bundesländern das bereits möglich und übliche Praxis sei.

 

Die wichtigsten Fakten in Zahlen:

  • 2016 hatten nur 3,7 % der wahlberechtigten Bevölkerung Baden-Württembergs die Gelegenheit, an einem der insgesamt 27 Bürgerentscheide teilzunehmen.

  • Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung bei Bürgerentscheiden (52 %) ist höher als die Beteiligung bei Bürgermeisterwahlen (43%) oder Gemeinderatswahlen (51%).

  • Die Quote der gültigen Bürgerentscheide (die also nicht am Abstimmungsquorum gescheitert sind) hat sich durch die Reform von 73% auf 88% erhöht.

  • Von den gültigen Bürgerentscheiden gingen 52% zugunsten des vorausgehenden Bürgerbegehrens aus, 30% zugunsten der Gemeinderatsmehrheit, während bei 17 % die vorausgehenden Positionierungen nicht eindeutig waren.

  • Von den im Jahr 2016 bislang eingereichten 40 Bürgerbegehren führten 20 zu einem Bürgerentscheid, in 3 Fällen wurde das Anliegen der Bürgerinitiative direkt vom Gemeinderat übernommen, 14 Bürgerbegehren wurden vom Gemeinderat für unzulässig erklärt, und bei 3 ist die Zulässigkeitsprüfung bis jetzt noch nicht abgeschlossen. Das entspricht einer Unzulässigkeitsquote von 38%. In Bayern beträgt die Unzulässigkeitsquote aufgrund weniger restriktiver Regelungen lediglich 15%.

  • Durch gewonnene Bürgerentscheide, freiwillige Übernahme oder teilweise Berücksichtigung des Anliegens waren 53% aller Bürgerbegehren (bei denen derzeit das Verfahren bereits abgeschlossen ist) in der Sache letztlich erfolgreich.

  • Manche Neuregelungen – wie z.B. die Informationsbroschüre zum Bürgerentscheid, in der beide Seiten gleichberechtigt zu Wort kommen können – haben sich als konfliktentschärfend im Sinne eines fairen Miteinanders erwiesen.

  • Mehr Demokratie e.V. sieht weiteren Reformbedarf insbesondere bei einer Entschärfung verbliebener Unzulässigkeitsgründe von Bürgerbegehren, nach dem Vorbild anderer Bundesländer, sowie bei der in Baden-Württemberg immer noch ausstehenden Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Landkreisen zu Themen der Kreistagspolitik.

    Eine noch ausführlichere Auswertung der Bilanz finden Sie hier.