Von Baugebiet bis Kreiswechsel

Parallel zur Bundestagswahl finden 17 Bürgerentscheide im Land statt

Am 26. September wird nicht nur ein neuer Bundestag gewählt. Auch 17 Bürgerentscheide finden in den Gemeinden Baden-Württembergs statt. Das ist ein historischer Rekord. So viele Bürgerentscheide gab es in der Landesgeschichte noch nie parallel zu einer Wahl. 17 Bürgerentscheide an einem einzigen Tag sind auch deshalb beeindruckend, weil in einem gesamten Kalenderjahr durchschnittlich nur 24 Bürgerentscheide stattfinden.

Worum geht es bei den Bürgerentscheiden am 26. September? In sieben Fällen um Fragen der Bebauung, Stadtentwicklung und Raumordnung. Darunter fallen drei Abstimmungen über Wohngebiete (in Langenau, Weissach und Wört), zweimal wird über Gewerbegebiete entschieden (in Dettingen/Teck und Wilhelmsfeld). Die Neckargemünder stimmen über den Bebauungsplan für einen Hotelkomplex ab, die Willstätter über einen Lebensmitteldiscounter im Teilort Legelshurst. Drei Entscheide betreffen öffentliche Einrichtungen. Sowohl in Alpirsbach als auch in Waldbronn wird über den Standort des neuen Feuerwehrhauses abgestimmt. Die Freiberger werden entscheiden, ob es weiterhin drei oder künftig zwei Grundschulstandorte geben wird. In zwei Fällen geht es um Verkehrsfragen: Während in Tübingen die Einrichtung einer Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn zur Abstimmung steht, befinden die Stimmberechtigten in Baden-Baden darüber, ob die Reinhard-Fieser-Brücke rund um die Uhr eine Fußgängerzone werden soll. Einmal geht es um den Bereich Umwelt und Energie: Die Rheinstettener werden die Frage entscheiden, ob die Gemeinde Flächen für die Errichtung von Windkraftanlagen verpachten soll. Schließlich befassen sich vier Bürgerentscheide mit der Gemeindeorganisation. Sowohl in Hechingen als auch in Hüfingen geht es um die Unechte Teilortswahl. Geislingen und Böhmenkirch lassen die Bürger abstimmen, ob ein Wechsel der Gemeinden vom Landkreis Göppingen in den Alb-Donau-Kreis geprüft werden soll. Faktisch haben diese beiden Abstimmungen lediglich den Charakter von Bürgerbefragungen, denn ein Landkreiswechsel liegt nicht in der Entscheidungsgewalt der Kommunen, sondern einzig beim Landtag.

Eingeleitet wurden elf der Bürgerentscheide durch Bürgerbegehren. Diese richteten sich in aller Regel gegen bestehende Gemeinderatsbeschlüsse; nur in Dettingen wurden im Vorfeld eines erwarteten Beschlusses Unterschriften gesammelt, woraufhin der Gemeinderat auf eine Beschlussfassung verzichtete. Die Motive der Initiatoren der elf Begehen sind vielfältig. Manchmal, etwa in Weissach, Baden-Baden oder Dettingen, spielen ökologische Gründe eine Rolle. In anderen Fällen sind die Initiatoren nicht grundsätzlich gegen die Planungen der Gemeinde, aber mit der konkreten Ausgestaltung unzufrieden. In Alpirsbach und Waldbronn wird die Notwendigkeit eines Feuerwehrhauses nicht bestritten, aber die konkrete Standortwahl kritisiert. In Langenau wiederum kritisiert die Bürgerinitiative nicht die Notwendigkeit einer Bebauung, aber die Ausgestaltung – die Gemeindeordnung ermöglicht Bürgerbegehren zur Bauleitplanung aber nur gegen den verfahrenseinleitenden Beschluss, nicht gegen spätere Planungsstufen. Es galt hier für die Bürgerinitiative: jetzt oder nie. Wieder ganz anders gelagert ist die Motivation der Hechinger Initiative: Die Vertrauenspersonen sind der Ansicht, die unechte Teilortswahl sorge für eine bessere Vertretung der Ortschaften.

Sechs Bürgerentscheide wurden vom Gemeinderat selbst eingeleitet (Ratsreferendum). In Freiberg am Neckar hatte es bereits 2016 einen durch Bürgerbegehren ausgelösten Bürgerentscheid zur Anzahl der Grundschulstandorte gegeben, weshalb der Gemeinderat die erneut virulente Frage wieder den Stimmberechtigten vorzulegen beschloss. Bei den in Rheinstetten und Tübingen zur Abstimmung stehenden Themen wurde frühzeitig ein starkes Polarisierungspotential wahrgenommen, das durch einen Bürgerentscheid befriedet werden soll. In Hüfingen wiederum hat eine Fraktion, die mit dem Thema der unechten Teilortswahl bereits bei der Kommunalwahl 2019 reüssieren konnte, einen entsprechenden Antrag auf Bürgerentscheid gestellt, dem sich eine hinreichende Mehrheit anschloss – trotz anderer Auffassung in der Sache, aber gleicher Auffassung bei der Methode der Problemlösung. Geislingen und Böhmenkirch hingegen stellen Sonderfälle dar: Massive Unzufriedenheit mit Beschlüssen des Kreistages hat die dortigen Gemeinderäte dazu veranlasst, Bürgerentscheide zu beschließen.

Warum diese Konzentration von Bürgerentscheiden am Tag der Bundestagswahl? Den Abstimmungstag legen die Gemeinderäte fest. Einerseits ist die Zusammenlegung mit einem geringeren Aufwand für Verwaltung und Bürgerschaft verbunden. Inzwischen hat sich aber auch in den Gemeinden herumgesprochen: Ein ungültiger, am Quorum gescheiterter Bürgerentscheid löst keine Konflikte. Wird das Quorum verfehlt, fällt die Entscheidung wieder dem Gemeinderat zu, der sich dann in einer Zwickmühle befindet: Stimmt er gegen die Mehrheit des Bürgerentscheids, wird man ihm Verstoß gegen demokratische Spielregeln vorwerfen; schließt er sich trotz verfehlten Quorums der Mehrheit des Entscheids an, kann er wegen vermeintlicher Rückgratlosigkeit kritisiert werden. In beiden Fällen schwelt der Konflikt weiter. Wird der Bürgerentscheid hingegen mit einer ohnehin anstehenden Wahl zusammengelegt, erhöht sich die Chance, das Quorum zu erreichen – nach dem Motto: Wählen gehen die Bürger sowieso. Alle 17 Bürgerentscheide werden deshalb voraussichtlich das Quorum erreichen und wie gewünscht gültig sein.