Bündnis legt eigenen Gesetzentwurf für bessere Bürgerentscheide vor

Ohne Entgegenkommen der Regierung startet Unterschriftenaktion im Juni

Ein Bündnis von mehr als zwanzig landesweit tätigen Organisationen will mit einem eigenen Gesetzentwurf den Weg für bessere Bürgerentscheide in Baden-Württemberg frei machen. Die gesetzlichen Bestimmungen im Land sollen dazu nach bayerischem Vorbild umgestaltet werden. Bei der Vorstellung des Gesetzentwurfes kritisierte der DGB-Landesvorsitzende Rainer Bliesener, dass bislang jedes Bürgerbegehren in Baden-Württemberg ein einziger Hindernislauf für die Bürger sei. Hürden wie Themenausschlüsse, Abstimmungsquorum und Fristen ließen in der Vergangenheit 2/3 aller Bürgerbegehren im Land scheitern. Die bisher bekannt gewordenen Reformvorschläge der Regierung zu diesen Punkten sind unzureichend, stellt Bliesener fest. Sie bleiben weit hinter den bayerischen Regelungen zurück.

Bliesener hofft auf den neuen Ministerpräsidenten: "Günther Oettinger hat in den ersten Monaten seiner Amtszeit die Chance zu beweisen, dass er tatsächlich für mehr Bürgerbeteiligung im Land ist! Vielleicht entdeckt die CDU nach Ihren Mitgliedern ja auch noch die Bürger in unserem Land", spielte der DGB-Chef auf die Mitgliederbefragung der CDU an, mit der die Nachfolgefrage des Ministerpräsidenten geklärt wurde. Er kündigte an, dass das Bündnis ab Juni 2005 Unterschriften für den Zulassungsantrag eines Volksbegehrens sammeln wird, wenn der bisher bekannte Regierungsentwurf nicht entscheidend nachgebessert würde. "Wenn die CDU nicht springt, können vielleicht die Bürger mit einem Volksentscheid der CDU Beine machen!" Er verwies dabei auf den entsprechenden Volksentscheid in Bayern im Jahr 1995 mit dem die bürgerfreundlichen Regeln in Bayern eingeführt wurden.
Als Prüfstein für die Ernsthaftigkeit der Diskussion um mehr Bürgerbeteiligung bezeichnete Ingo Ammermann, Landesvorstandsmitglied des Naturschutzbundes (NABU), die Streichung der Themeneinschränkungen bei Bürgerentscheiden. Ammermann kritisiert nachdrücklich, dass die Regierung beabsichtige Bürgerentscheide über Bebauungspläne ganz zu verbieten. In Bayern seien Bebauungspläne in den vergangenen Jahren das häufigste Thema bei Bürgerentscheiden überhaupt gewesen. "Der Ausschluss der Bebauungspläne wäre ein klares Signal gegen Bürgerbeteiligung und ein Affront gegen das Ehrenamt", warnt Ammermann. "Es kann nicht sein, dass man einerseits den mündigen Bürger fordert und ihm andererseits die Mitbestimmung in den für ihn interessantesten Themenfeldern vorenthält", so der NABU-Vorstand.

Mit der Aufnahme der Bebauungspläne in den so genannten Negativkatalog drohe an diesem Punkt sogar eine Verschlechterung des bisherigen Zustandes. Viele Bürgerentscheide, wie etwa der im Jahr 2000 über die Ausweisung eines regionalen Gewerbegebietes in Vöhringen (Landkreis Rottweil), die bislang vom Gemeinderat beschlossen werden konnten, werden dann in Zukunft nicht mehr möglich sein. Der Gesetzentwurf des Bündnisses ermögliche es daher, dass Bürgerentscheide künftig auch zu Gemeindestraßen, Verkauf von Gemeindeeigentum, Kommunalabgaben und Bebauungsplänen zulässig seien.

Als weitere Verbesserungen durch den Gesetzentwurf nannte Reinhard Hackl, Landessprecher von Mehr Demokratie e.V. den Wegfall der Frist von Bürgerbegehren gegen Ratsbeschlüsse. Es sei ein Unding, dass bei langfristigen Planungen, die Bürger nach einem Grundsatzbeschluss, später immer wieder mit dem Hinweis auf eine Frist (heute vier Wochen) ausgebremst werden. Nach den Vorstellungen des Bündnisses sollen Bürgerbegehren, die ein Vorhaben des Gemeinderates stoppen oder ändern wollen, solange möglich sein, wie der Beschluss nicht vollzogen ist. Die Verlängerung der Frist von vier auf sechs Wochen durch die Regierung ist ein Fortschritt, löst aber das Problem nicht, betont Hackl.
Besonders wichtig ist dem Bündnis die Absenkung des Zustimmungsquorums bei der Abstimmung von heute 30 Prozent auf bayerisches Niveau, nämlich auf 10 bis 20 Prozent je nach Gemeindegröße. Heute genügt es nämlich nicht beim Bürgerentscheid die Mehrheit der Abstimmenden hinter sich zu bringen, diese Mehrheit muss auch gleichzeitig noch 30 Prozent der Stimmberechtigten umfassen. Dies führt dazu, dass viele Bürgerentscheide trotz hoher Beteiligung ungültig sind, wie im Jahr 2003 in Konstanz oder jüngst in Waiblingen. Dies ist unverständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass viele Bürgermeister im Land von weniger als 25 Prozent der Stimmberechtigten ins Amt gewählt werden. Ein Quorum von 25 Prozent, wie jetzt von der Regierung vorgeschlagen, sei deshalb vollkommen unzureichend.

Ein weiterer Punkt ist die Einführung von Bürgerentscheiden in den Landkreisen. Bürgerentscheide in den Landkreisen gibt es in etwa in Rheinland-Pfalz, Hessen, Bayern oder Sachsen. Im Land hat man dagegen das Kapitel Bürgerbeteiligung in der Landkreisordnung einfach 'vergessen'. Es ist nach Hackl nicht einzusehen, warum Bürger in Stuttgart etwa über Fragen der Stadtbahn abstimmen können, die Bürger der Landkreise aber nicht. Bürger erster und zweiter Klasse dürfe es in unserem Land nicht geben, betont Hackl.
Ebenfalls eine Verbesserung wäre es, wenn ein Bürgerbegehren nicht einfach durch die Schaffung vollendeter Tatsachen ausgebremst werden könnte. Nach den Vorstellungen des Bündnisses soll dies nach der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens nicht mehr möglich sein. Hier soll es in Zukunft eine Schutzwirkung geben.

Wichtig ist dem Bündnis, dass die Initiatoren eines Bürgerbegehrens gegenüber der Stadt ein Auskunftsrecht erhalten und ihre eigene Meinung genauso wie die Gemeindeverwaltung in den städtischen Medien darstellen können.

Bei einigen Bürgerentscheiden in der Vergangenheit, etwa in Karlsruhe bei der Entscheidung über den Stadtbahntunnel oder jüngst in Waiblingen bei der Entscheidung über ein Einkaufszentrum, hatten die Stadtverwaltungen "schamlos" von Ihrem Informationsmonopol Gebrauch gemacht.

Als Beitrag zur Gesetzesvereinfachung sieht das Bündnis die Absenkung des Unterschriftenquorums beim Bürgerbegehren auf einheitlich sieben Prozent der Wahlberechtigten. Heute benötigt man 10 Prozent, es gibt aber je nach Gemeindegröße Obergrenzen. Diese führen dazu, dass es auch heute Gemeinden gibt, bei denen sieben Prozent der Stimmberechtigten ausreichen, andere dagegen 10 Prozent erfordern. Diese nicht nachvollziehbare Ungerechtigkeit soll der Gesetzentwurf beseitigen.

An vielen kleineren Verbesserungen zeigte das Bündnis auf, wie sehr die bisherigen Bestimmungen einer Reform bedürfen und wie viele Hürden heute für Bürgerentscheide existieren.
Das Bündnis will nun seinen "Bürgergesetzentwurf" allen Landtagsparteien und der Landesregierung zuleiten. In die aktuelle Anhörung zum Regierungsentwurf will es seine Vorstellungen ebenfalls einbringen und erwartet eine entsprechende Beteiligung. Es hofft darauf, dass die Landesregierung ihre bisherigen Vorstellungen korrigiert. Der Slogan der Landsregierung: "Wir können alles, außer Hochdeutsch", müsste sonst für die Bürger dieses Landes abgewandelt heißen: "Wir können alles, außer mitentscheiden".

Zum vollständigen Gesetzentwurf (pdf)

Tabelarischer Vergleich (pdf): Gegenwärtige Regelung, Eckpunkte Landesregierung, Bayrische Regelung, Bürgergesetzentwurf