Mehr Demokratie fordert Verbesserungen bei Bürgerentscheiden

Karlsruher OB Heinz Fenrich erhält "Demokratiegurke 2003"

Bei der Vorstellung der Jahresbilanz der Bürgerbegehren und -entscheide für 2002 beklagte der Landesverband der Bürgeraktion Mehr Demokratie, das langsame Absterben der direkten Bürgermitsprache in den Kommunen. Immer weniger Bürgerbegehren finden in Baden-Württemberg statt. Im Jahr 2002 waren es ganze vier(!) Stück. Zum Vergleich: In Bayern fanden im vergangenen Jahr 102 Bürgerbegehren statt. Landessprecher Reinhard Hackl macht die hier schlechte Landesgesetzgebung dafür verantwortlich. "Dank der Reformunwilligkeit der Landesregierung steht die direkte Bürgermitsprache in Baden-Württemberg inzwischen auf der "Roten Liste" und ist vom "Aussterben" bedroht!" Gleichzeitig wurde auf der Pressekonferenz am Montag, 24.2.2003 erstmals der Negativpreis "Demokratiegurke" des Jahres 2003 an den Karlsruher OB Heinz Fenrich für Fragestellung und Informationspolitik beim Bürgerentscheid über den Stadtbahntunnel in Karlsruhe verliehen.

Immer weniger Bürger trauen sich in Baden-Württemberg ein Bürgerbegehren anzugehen. Waren es in den 80er und 90er Jahren noch meist eine zweistellige Zahl von Initiativen im Jahr ( 1980 (14), 1982 (8), 1990 (10), 1992 (12) ), geht die Zahl in den vergangenen Jahren immer mehr zurück. So fanden im Jahr 2002 nur noch in Simonswald (Kreis Emmendingen), Crailsheim (Kreis Schwäbisch Hall), Waldenbuch (Kreis Böblingen) und Reutlingen Bürgerbegehren statt.
Mit einem Bürgerbegehren machen mindestens 10 Prozent der Bürger dem Gemeinderat einen Vorschlag für eine Sachentscheidung, etwa für den Standort einer Stadthalle. Folgt der Gemeinderat diesem qualifizierten Vorschlag nicht, kommt es automatisch zu einem Bürgerentscheid. Gleichzeitig ergeben die Zahlen des letzten Jahres, dass Bürgerentscheide immer öfter vom Gemeinderat beschlossen, und nicht von den Bürgern angeregt werden. So wurden 3 von 7 Bürgerentscheiden des Jahres 2002 aufgrund von Gemeinderatsbeschlüssen durchgeführt. (Bisingen, Karlsruhe und Löchgau)

Als Ursache für den Niedergang der direktdemokratischen Kultur in unserem Land sieht Hackl die einschränkenden gesetzlichen Regelungen. So können über viele Themen keine Bürgerbegehren stattfinden, für die Unterschriftssammlungen gelten kurze Fristen und die Abstimmung ist nur gültig, wenn mindestens 30 Prozent der Stimmberechtigten für eine bestimmte Sache gestimmt haben. (Zustimmungsquorum). 2/3 aller Bürgerbegehren, so Hackl, scheiterten in der Vergangenheit an den gesetzlichen Fallstricken.

Die Bürgeraktion fordert deshalb u.a. die Zulassung möglichst aller Themen in der Gemeinde für den Bürgerentscheid. Eine entsprechende Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP aus dem Jahr 2001 wurde bislang nicht umgesetzt. Wichtig ist der Bürgeraktion dabei, dass hier die Bebauungspläne nicht ausgenommen werden, wie es etwa der Gemeindetag fordert. Gerade hier haben die Bürger ein großes Interesse an Mitsprache. Im Jahr 2001 fanden in Bayern 48 von 148 Bürgerbegehren zu Bebauungsplänen statt. Zur Themenöffnung zählt auch die Einführung des Bürgerentscheidsrechts in den Landkreisen. Wichtige Themen, wie Nahverkehr, Müllentsorgung oder Krankenhäuser sind dort angesiedelt. Daneben fordert der Verein noch die Abschaffung bzw. zumindest die Absenkung des Zustimmungsquorums auf 10 bis 20 Prozent wie in Bayern. Zustimmungsquoren verhindern nach Ansicht des Vereins die öffentliche Debatte, weil die Gegner eines Bürgerbegehrens darauf setzen können, dass nicht genügend Menschen zur Abstimmung gehen. Auch die Verlängerung der Frist für Bürgerbegehren gegen Gemeinderatsbeschlüsse von vier auf acht Wochen wäre eine Verbesserung. Die Bürgeraktion verspricht sich vom Ausbau der direkten Demokratie mehr Identifikation der Bürger mit dem Gemeinwesen und weniger Politikverdrossenheit.

Erstmalig wurde auf der Bilanzpressekonferenz auch die "Demokratiegurke des Jahres" vergeben. Mit dieser "Auszeichnung" sollen Personen und Gruppierungen gewürdigt werden, die die direkte Bürgermitsprache in Baden-Württemberg eingeschränkt oder behindert haben. Als Preisträger für das Jahr 2002 wählte der Landesvorstand den Karlsruher Oberbürgermeister Heinz Fenrich (CDU) für den Bürgerentscheid über den Stadtbahntunnel in Karlsruhe aus.

Wie Reinhard Hackl ausführte, ist eine faire Fragestellung und eine offene Informationspolitik eine wichtige Voraussetzung für die Befriedungsfunktion und Akzeptanz von Bürgerentscheiden. Beides haben Gemeinderatsmehrheit und Oberbürgermeister in Karlsruhe vermissen lassen.

So wurde in Karlsruhe beim Bürgerentscheid die Frage nach dem Stadtbahntunnel, den nur wenige wollten, verknüpft mit einem Autotunnel, den alle wollten, obwohl diese beiden Fragen nicht zwingend miteinander verkoppelt waren. "Die Kröte für die Karlsruher wurde mit einem leckeren Braten garniert", fand Hackl das passende Bild für dieses Vorgehen.

Besonders ausschlaggebend für die Preisverleihung war aber die einseitige Informationspolitik der Stadt. Über 400 000 Euro investierte die Stadtverwaltung in einer aufwendigen Werbekampagne für die Tunnellösung. Von Seiten der Stadt wurde den Gegnern dieser Lösung dagegen keinerlei Angebote gemacht, ihre Informationen an den Mann und die Frau zu bringen. Dass es auch anders geht, zeigen die Beispiele Konstanz (Bürgerentscheid Katamaran 2001) und Reutlingen (Bürgerentscheid Kongress- und Kulturzentrum 2002). In Konstanz wurden die Bürger immerhin mit einem Abstimmungsheft über die unterschiedlichen Meinungen von Befürwortern und Gegner im Rat aufgeklärt, in Reutlingen wurden die Argumente der Gegner mit den städtischen Publikationen verteilt. Vorbildlich in diesem Bereich ist die Schweiz, in der bei jeder Abstimmung jeder Haushalt ein Heft mit den wichtigsten Argumenten von Parlament, Regierung, aber auch der Initiativen enthält. Nach Hackls Worten sollten OB und Gemeinderatsmehrheit im Bürger den Souverän sehen, den man mit fairen Informationen in die Lage versetzt eine Entscheidung zu treffen, und nicht Stimmvieh, dass man am Nasenring hin zu einer gewünschten Entscheidung führt.
Landesprecher Hackl bedauerte, dass OB Fenrich sowohl die Einladung zur Preisverleihung, als auch den Preis an sich, abgelehnt habe. Er würde dem Preis aber so nicht entkommen. Am Nachmittag, würde man, die Gurke dem OB Büro in Karlsruhe zu übergeben.

Mit freundlichen Grüßen

Reinhard Hackl