Politik bremst Bürger weiter aus

Bürgeraktion Mehr Demokratie zieht Jahresbilanz

Im Sommer 2005 hatte die CDU/FDP Koalition im Land die Regelungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide verändert. Nach einem Jahr zieht der Fachverband „Mehr Demokratie“ eine Bilanz der Auswirkungen der neuen Regelungen. Landesvorstandsmitglied Fabian Reidinger: „Die Reform war eine Mogelpackung!“ Nach wie vor werde die direkte Bürgermitbestimmung durch die gesetzlichen Regelungen stark behindert. Viele Bürgerbegehren blieben in den rechtlichen Fallstricken hängen.

Fallstricke für Bürgermitbestimmung

Nach den vom Fachverband aus den offiziellen Zahlen des Innenministeriums, ei-gener Presseauswertung und Internetrecherche ermittelten Zahlen ergibt sich für das erste Jahr nach der Reform vom August 2005 bis Juli 2006 ein ernüchterndes Bild: Von 14 abgeschlossenen Bürgerbegehren in dieser Zeit wurde bereits die Hälfte für unzulässig erklärt. Zwei weitere scheiterten später beim Bürgerent-scheid am Abstimmungsquorum. In drei Fällen wurde das Anliegen des Bürgerbe-gehrens mehr oder weniger vom Gemeinderat übernommen (so z.B. in Rechberghausen und Kupferzell). In 2 Fällen kam es zu einem gültigen Bürgerent-scheid. Reidinger: „Zwei Drittel aller Anläufe der Bürger sich an der Politik zu beteiligen enden im Frust und im Abseits.

Ein kleiner Lichtblick ist die leichte Steigerung der Anzahl der Bürgerbegehren durch die Erweiterung der bürgerentscheidsfähigen Themenfelder. So erhöhte sich die Anzahl der Bürgerbegehren auf 14 im Vergleich zu 10 Begehren zwischen Juli 2004 und Juli 2005. Dazu kommen noch 7 nicht abgeschlossene Bürgerbegeh-ren. Hier wirkt sich u.a. aus, dass z.B. über Privatisierungen, wie z.B. der Stadtwer-ke in Pforzheim, jetzt Bürgerentscheide zulässig sind.

Fabian Reidinger kritisierte aber gleichzeitig, dass der notwendige Kostende-ckungsvorschlag von manchen Stadtverwaltungen zu einem Stolperstein für Bür-gerentscheide gemacht werde: „Von den Initiativen wird teils mehr verlangt als Gemeinderäte und Verwaltungen selbst leisten können.“ Dies zeige das Beispiel des ersten gescheiterten Bürgerbegehrens in Pforzheim gegen die Privatisierung des städtischen Busbetriebs deutlich. Dort hatten Gemeinderat und Verwaltung von den Initiatoren einen Kostendeckungsvorschlag zu einem Zeitpunkt verlangt, als sie selbst die möglichen Einsparungen noch gar nicht kannten.

Zahl der Bürgerentscheide kaum verändert

Zu den vier Bürgerentscheiden aufgrund von Bürgerbegehren kamen noch 5 wei-tere aufgrund von Gemeinderatsbeschlüssen. Zu den fünf so genannten Ratsbegeh-ren gehörten die Fragen über die Eingemeindungen von Betzweiler-Wälde und Tennenbronn sowie die Abschaffung der unechten Teilortswahl in Bühl, der Stadt-hallenplanung in Reutlingen und einer Fußgängerbrücke über die B465 in Dettin-gen. Immerhin 7 Bürgerentscheide schafften 2005/2006 das hohe baden-württembergische Abstimmungsquorum von 25 Prozent. Doch dies ist leider eine Sondersituation. Dies erklärt sich daraus, dass vier der Ratsbegehren am Tag der Landtagswahl stattfanden. An solchen Tagen ist das Quorum kein Problem. Auffäl-lig ist dabei, dass die Gemeinderäte nur die eigenen Bürgerentscheide auf den Wahltag gelegt haben. Keines der von der Bürgerschaft initiierten Bürgerentschei-de fand an einem Wahltag statt. Als Beispiel dient hier auch wieder das Bürgerbe-gehren in Pforzheim. Die Initiatoren hatten damals den Tag der Landtagswahl als Abstimmungstag angepeilt. Ähnliches spielte sich auch in Villingen-Schwenningen ab. Dort wollten die Initiatoren den Tag der Bundestagswahl als Abstimmungstag durchsetzen. Tatsächlich aber fand der Entscheid über die Landesgartenschau 2010 dann Ende Juli statt.

Im langjährigen Vergleich blieb die Zahl der Bürgerentscheide 2005/2006 nahezu konstant: 9 Bürgerentscheide in diesem Zeitraum stehen etwa 7 im Jahr 2002 o-der 11 im Jahr 2003 gegenüber. Wie wenig Bürgermitbestimmung es hierzulande gibt, zeigen die Vergleichzahlen aus Bayern: Hier finden Jahr für Jahr ca. 80 Bür-gerentscheide statt.

Bei der Reform hatte der Landtag im Juli 2005 den Themenkatalog erweitert, aber gleichzeitig Bauleitpläne (Bebauungspläne und Flächennutzungspläne) in den Ne-gativkatalog mit aufgenommen. Über diese Themenfelder konnte vorher über ei-ne Änderung der Hauptsatzung der Gemeinde ein Bürgerentscheid abgehalten werden. Dies ist seitdem nicht mehr zulässig. Außerdem wurden die Fristen für Bürgerbegehren gegen Ratsbeschlüsse von vier auf sechs Wochen verlängert und das Abstimmungsquorum auf 25 Prozent gesenkt. Vorher mussten mindestens 30 Prozent der Wahlberechtigten mit Ja oder Nein stimmen, damit ein Bürgerent-scheid rechtsgültig war.

Verbesserungen angestrebt

Vor dem Hintergrund der „eher deprimierenden“ Zahlen der Jahresbilanz fordert der Sprecher von Mehr Demokratie Reidinger die baden-württembergische CDU auf, ihr Wahlversprechen einzulösen: „Die im CDU-Landtagswahlprogramm festge-schriebene Prüfung der Regelungen für Bürgerentscheide sollte in Angriff ge-nommen werden!“ Er verweist dabei auf Vorschläge die ein Bündnis aus mehr als 20 landesweiten Organisationen, darunter der BUND, NABU, die Naturfreunde und der DGB gemeinsam mit Mehr Demokratie in einem Gesetzentwurf gemacht haben. So soll das Quorum auf 10-20 Prozent abgesenkt und die Frist gegen Ratsbeschlüsse abgeschafft werden. Gleichzeitig sollen auch Bürgerentscheide über Bauleitpläne und in Landkreisen ermöglicht werden. Im Herbst entscheidet das Bündnis, ob es seine Kampagne für ein entsprechendes Volksbegehren fortsetzt.