Stuttgart 21-Monitoring: Unfaires Quorum zieht Gesamtwertung nach unten

Fachverband bewertet Volksabstimmung: Viele faire Aspekte

Der Verein Mehr Demokratie hat in seinem Monitoring die Volksabstimmung zum Stuttgart 21-Ausstiegsgesetz unter dem Strich als „unfair“ bewertet, obwohl viele Teilaspekte als „fair“ eingestuft wurden. Grund für das schlechte Gesamturteil ist das Zustimmungsquorum von einem Drittel aller Wahlberechtigten, das die Projekt-Gegner von vorneherein benachteiligt hätte. Positiv wertet der Verein, dass Projekt-Befürworter und -Gegner gleichermaßen für die Volksabstimmung mobilisiert haben.

 

„Zustimmungsquoren führen dazu, dass Menschen, die nicht abstimmen gehen, automatisch der Nein-Seite zugerechnet werden“, erklärt Tim Weber vom Mehr Demokratie Bundesverband, der die Untersuchung leitet. „Das ist so als bekämen die Bayern, wenn sie gegen Stuttgart spielen, drei Tore Vorsprung. Wenn die Stuttgarter nicht mindestens vier Tore schießen, haben sie keine Chance zu gewinnen.“

 

Im Monitoring hat Mehr Demokratie Gesetze, Infomaterialien, Internetseiten und Medienberichte ausgewertet und untersucht, ob die Positionen der Projekt-Befürworter und -Gegner im Vorfeld und bei der Abstimmung die gleichen Erfolgschancen hatten. Dafür wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Finanzierung, die Informationsmaterialien und das Verhalten der Akteure unter die Lupe genommen. Punkte, wo beide Seiten die gleichen Chancen hatten, wurden mit „fair“ bewertet; wo es leichte Vorteile für eine Seite gab, wurde das Urteil „teils-teils“ vergeben. Mit „unfair“ bewertete Mehr Demokratie Punkte, in denen eine Partei einen klaren Vorteil hatte.

 

Vom Zustimmungsquorum abgesehen, stuft Mehr Demokratie die rechtlichen Rahmenbedingungen, etwa die Abstimmungsfrage, den Zeitplan und die Durchführung der Abstimmung als fair ein. Auch an den Informationen im Vorfeld der Abstimmung – sowohl Abstimmungsheft und Internetseite des Landes als auch Infomaterialien der Akteure und Medienberichte – hat der Fachverband nichts auszusetzen. „Dass die Materialien beider Seiten im Abstimmungskampf bestimmte Tendenzen haben und zum Teil auch zuspitzen, ist nachvollziehbar“, so Weber. „Wichtig ist aber, dass klar erkennbar ist, von wem welche Information kommt, und dass die Gegenseite ebenso vertreten ist.“

 

Was die Finanzierungsregeln angeht, fällt die Bewertung schlechter aus: Hauptkritikpunkt sind fehlende Ausgabenlimits und Offenlegungspflichten. In einzelnen Fällen sei es außerdem zu einseitiger Einflussnahme gekommen, etwa durch die Stadt Stuttgart. „Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hat für 130.000 Euro alle 370.000 Stimmberechtigten anschreiben lassen“, erläutert Weber „Außerdem ist die Stadt Mitglied im pro Stuttgart 21 eingestellten Verein Turmforum. Hier wurden und werden zum Vorteil der Nein-Seite auf nicht nachvollziehbare Weise Steuergelder ausgegeben.“

 

Das Verhalten der Akteure in der Kampagne bewertet Mehr Demokratie nur teils mit fair. Kommunale und regionale Körperschaften hätten sich zum Teil unangemessen in den Abstimmungskampf eingebracht. Der Landesregierung wird ausdrücklich ein gutes Zeugnis ausgestellt. „Die grün-rote Regierung hat einen angemessenen Weg gefunden, um mit dem internen Konflikt zu Stuttgart 21 umzugehen. Sowohl die Materialien zur Abstimmung als auch die Reaktionen nach dem Referendum zeigen, dass die Regierung das Votum der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt“, bilanziert Weber

 

Der Volksentscheid habe gezeigt, dass sich die Menschen einbringen, wenn sie gefragt werden, meint Reinhard Hackl von Mehr Demokratie-Landesvorstand. „48,3 Prozent haben sich beteiligt. Das ist ein sehr gutes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass an Volksentscheiden ohne Wahlen normalerweise rund 38 Prozent teilnehmen.“ Jetzt geht es laut Mehr Demokratie darum, die dringend notwendigen Demokratiereformen im Land in Angriff zu nehmen. Der Fachverband fordert unter anderem, dass das Zustimmungsquorum bei einfachen Gesetzen abgeschafft und bei Verfassungsänderungen gesenkt werden soll. Dies habe die grün-rote Regierung im Koalitionsvertrag zugesagt. „Auch die Oppositionsfraktionen von CDU und FDP sollten unter dem Eindruck des Volksentscheids jetzt einschwenken und mithelfen, die Verfahren der direkten Demokratie zu erleichtern“, so Reinhard Hackl.