Transparenz und Digitalisierung: Grüne und CDU müssen nachlegen

Landesverbände von NABU, Transparency Deutschland und Mehr Demokratie fordern Transparenzgesetz und Open-Data-Politik von der neuen Landesregierung

Derzeit laufen die Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und CDU auf Hochtouren. Die Landesverbände von NABU, Mehr Demokratie und Transparency Deutschland nehmen dies zum Anlass für einen Appell an die Koalitionsverhandlungsrunde, bei den Themen Transparenz und Digitalisierung Gas zu geben. Unterstützung erhalten Sie dabei durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (LfDI), Dr. Stefan Brink. Eine Umfrage unter Landtagskandidaten und -kandidatinnen vor der Wahl bestärkt die Verbände in ihrer Forderung nach einem zeitgemäßen Transparenzgesetz im Südwesten: Rund 40 Prozent hatten geantwortet, von diesen hatten fast alle das Ansinnen begrüßt und ihre Unterstützung zugesagt. „Die Zeit ist reif. Grüne und CDU haben jetzt die Chance, mit einem fortschrittlichen Transparenzgesetz den parteiübergreifend anerkannten Anspruch auf eine offene Verwaltungskultur einzulösen und Baden-Württemberg zum Vorreiter in Sachen Transparenz der Verwaltung, Bürgerbeteiligung und des Zugangs zu amtlichen Informationen zu machen“, betonen die Verbände gemeinsam.

Informationsfreiheit ist Bürgerrecht
Freier Zugang zu Informationen und transparentes Verwaltungshandeln sind nicht nur für die Korruptionsbekämpfung wichtig, sondern stärken auch das Vertrauen der Gesellschaft in Politik und Behörden. Für die Presse, Umwelt- und Verbraucherschutzverbände sowie für alle Bürgerinnen und Bürger ist der freie und unbürokratische Zugang zu Informationen ein wichtiges Gut. „Aus unserer Sicht hat Baden-Württemberg hier noch erheblichen Nachholbedarf“, sagt Prof. Jürgen Louis, Leiter von Transparency Deutschland in Baden-Württemberg und CDU-Bürgermeister der Gemeinde Rheinhausen im Breisgau. „Das 2015 verabschiedete Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Landes gehört zu den schwächsten seiner Art in Deutschland. Wir fordern Grüne und CDU daher zur Einführung eines Transparenzgesetzes und zur Umsetzung einer konsequenten Open-Data-Politik auf“, so Louis weiter. Im Unterschied zum Status quo müssten alle Behörden ihre Informationen dann proaktiv auf einem öffentlich frei zugänglichen, elektronischen Transparenzportal veröffentlichen – und nicht erst, wenn die Öffentlichkeit sie dazu auffordert.

Beteiligung und Vertrauen in Demokratie stärken – auch die Verwaltung profitiert
„Wer Zugang zu vorliegenden Informationen bekommt, hat die Chance Einfluss zu nehmen. In einer Beteiligungs-Demokratie braucht es eine Verwaltungskultur, die zu Engagement einlädt und politische Entscheidungen nachvollziehbar macht. Werden Verwaltungen für die Bürgerinnen und Bürger zu einer verlässlichen und immer verfügbaren Informationsquelle, entstehen Vertrauen und eine faktenbasierte öffentliche Diskussion“, sagt Sarah Händel, Landesgeschäftsführerin von Mehr Demokratie. Dass Informationen durch die Digitalisierung kostengünstig verbreitet werden können, habe die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger nach einer offenen Verwaltung noch bestärkt.
Die Verwaltungen profitierten jedoch auch selbst von einem Transparenzgesetz. „Sind alle Informationen verfügbar, wird der Beteiligungsbedarf bei einem Vorhaben frühzeitig deutlich. So können Lösungen oder Alternativen rechtzeitig diskutiert und die Umsetzung erleichtert werden. Für eine Politik des Gehörtwerdens braucht es mehr als den 2015 verabschiedeten IFG-Minimalkonsens“, so Händel.

Transparenz und Open Data auch im Bereich des Umweltschutzes noch mangelhaft
Mehr Transparenz fordert der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle auch für den Umweltbereich: „Trotz der weitergehenden Bestimmungen des Umweltverwaltungsgesetzes stoßen wir als Umweltverband in der Praxis immer wieder an Grenzen. Wichtige Umweltdaten, wie beispielsweise zum Einsatz von Pestiziden in Schutzgebieten, zu den Vorkommen streng geschützter Arten wie Fledermäusen oder allgemeine Daten zu Natur und Landschaft werden uns von der Verwaltung immer wieder verweigert oder mit hohen Gebühren belegt“, so Enssle. Dahinter stecke manchmal der Unwille einzelner Verwaltungen, die Daten verfügbar zu machen, manchmal aber auch einfach nur massive Rückstände bei der Digitalisierung. „Unser prominentester Fall ist die Zurückhaltung von Daten zum Einsatz von Pestiziden in Naturschutzgebieten durch die Landwirtschaftsverwaltung, in dem der NABU aktuell in zweiter Instanz vor Gericht klagt. Eine aberwitzige Situation entsteht, wenn wir als NABU bei Behörde A einen Antrag stellen müssen, damit Behörde B ebenfalls in den Genuss von Daten kommt“, berichtet Enssle.

Digitalisierungsschub für die öffentliche Verwaltung und vereinfachte Verfahren
Dr. Stefan Brink, Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (LfDI) in Baden-Württemberg, ist überzeugt, der öffentlichen Verwaltung würde die Einführung eines Transparenzgesetzes einen deutlichen Digitalisierungsschub geben. Verfahren würden vereinfacht und Behörden entlastet, weil nicht jede Information zunächst beantragt werden müsste. Gebührenbescheide würden weitestgehend entfallen. „Die Erfahrungen aus Hamburg und Rheinland-Pfalz zeigen, dass der freie Informationszugang auch den Informationsfluss zwischen den Behörden fördert. Noch wichtiger ist aber: Mit einem Transparenzgesetz wird die bisherige Holschuld künftig zur Bringschuld. Nicht die Bürgerinnen und Bürger müssen bei der Verwaltung um Informationen bitten, sondern die digitale und bürgerfreundliche Verwaltung stellt ihre verlässlichen Informationen auf Internet-Plattformen allen zur Verfügung. So geht moderne Verwaltung.“

Hintergrund:

Gesetzesentwurf und Umfrage
Im Vorfeld der Landtagswahl haben Transparency Deutschland und Mehr Demokratie im Februar 2021 ihren Entwurf für ein Transparenzgesetz für Baden-Württemberg vorgestellt und den Landtagskandidierenden von Grünen, CDU, SPD und FDP, verbunden mit einer Umfrage, zugeschickt. Von 248 Angeschriebenen hatten 104 geantwortet. Davon sprachen sich 98 dafür aus, die zügige Umsetzung eines Transparenzgesetzes in den Koalitionsvertrag für die nächste Landesregierung aufzunehmen. Zudem erklärten 100 der Kandidierenden, nach der Wahl die Weiterentwicklung des bestehenden Informationsfreiheitsgesetzes zu einem Transparenzgesetz mit proaktiver Veröffentlichungspflicht der Behörden zu unterstützen.

Wahlprogramme der Parteien
Grüne und FDP sprechen sich in ihren Wahlprogrammen deutlich für ein Transparenzgesetz aus. Die CDU betont die Vorteile der Digitalisierung der Verwaltung für Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen. E-Government für alle und alles heißt darin das Ziel. Auch die SPD will die Transparenz fördern und eine vorbildliche Open-Data-Politik umsetzen.

Aktuelles Informationsfreiheitsgesetz (IFG)
Das aktuelle IFG des Landes gewährt auf Antrag den freien und voraussetzungslosen Zugang zu Akten, Unterlagen und Informationen der öffentlichen Verwaltung. Ein Transparenzgesetz würde die Verwaltungen weitergehend dazu verpflichten, amtliche Informationen von sich aus, also proaktiv, auf einem öffentlich frei zugänglichen elektronischen Transparenzportal zu veröffentlichen. Das IFG ist nicht zu verwechseln mit dem am 4.2.2021 vom Landtag verabschiedeten „Transparenzregistergesetz“. Bei diesem handelt es sich um die Einführung eines Lobbyregisters, um die Einflussnahme externer Akteurinnen und Akteure auf die Politik transparent zu machen.

 

Ranking der Regelungen in den Bundesländern

Transparency Deutschland, Regionalgruppe BW

NABU Baden-Württemberg

Transparenzgesetzentwurf von Transparency Deutschland und Mehr Demokratie e.V.

Der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg