Wie TTIP uns (völlig ungewollt) helfen kann, auf dem Weg in die verantwortungsvolle Bürgergesellschaft

Ein Kommentar zur TTIP-Veranstaltung der Europaunion in Pforzheim.

Von Sarah Händel

Unter der Überschrift „TTIP- Wir müssen reden“ zieht die überparteiliche und europabegeisterte Europa-Union gerade durchs Land und veranstaltet Bürgerdialoge zum Freihandelsabkommen TTIP. Auch Mehr Demokratie e.V. und das Anti-TTIP Bündnis TTIP Unfairhandelbar sind Partnerorganisationen dieser Veranstaltungsreihe, denn wir sagen: ja, lasst uns über dieses komplexe, umfassende und folgenreiche Abkommen mit den Bürger/innen sprechen! Denn wir wollen in einer sachlich geführten Diskussion mit unseren Argumenten überzeugen, nicht durch Panikmache und der Stilisierung von Chlorhühnchen zur größten Bedrohung unserer Demokratie.   

Wir brauchen das Chlorhünchen gar nicht  (auch wenn hinter dieser Sorge weit mehr steckt als die pure Angst vor ein bisschen Chlor, auch bei diesem Thema geht es um den gesamten Prozess der Massentierhaltung, die so viele Keime produziert, dass am Ende nur ein deftiges Chlorbad hilft), es gibt genügend Argumente darüber hinaus, die viele Menschen mit gesundem Menschenverstand überzeugt haben und noch überzeugen werden. Das mussten auch die hochkarätigen Diskussionsteilnehmer/innen auf  dem Podium und in den Arbeitsgruppen anerkennen. Zu Gast am 19. Februar in Pforzheim waren:

Bei der Podiumsdiskussion

  • Rainer Wieland MdEP Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Präsident der Europa-Union Deutschland
  • Dr. Hans-Eberhard Koch Präsident des Landesverbandes der Baden-Württembergischen Industrie, Vizepräsident der IHK Nordschwarzwald
  •  Gunther Krichbaum MdB, CDU Vorsitzender des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union im Deutschen Bundestag
  • Wolfgang Lemb Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall
  • Brigitte Lösch MdL, Bündnis 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin des Landtages Baden-Württemberg
  • Ulrich Weigl, Europäische Kommission Stv. Referatsleiter der Generaldirektion Handel

 

In den Bürger-Arbeitsgruppen:

Thema 1. Demokratie, Transparenz, Legitimität – wie TTIP verhandelt wird:

 

  • Sarah Händel Mehr Demokratie e.V.
  • Anne Jacobs-Schleithoff Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Thema 2. Handel, Investition, Wettbewerb – Chancen und Risiken von TTIP

 

  • Waldemar Futter Beamtenbund Baden-Württemberg 
  • Gunther Krichbaum MdB, CDU
  • Brigitte Lösch MdL, Bündnis 90/DIE GRÜNEN
  •  Andreas Povel American Chamber of Commerce Germany
  • Markus Wexel Industrie- und Handelskammer Nordschwarzwald

Thema 3. Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz – Standards und Normen in TTIP

  • Dr. Hans-Eberhard Koch Witzenmann GmbH, Pforzheim
  • Dr. Beate Scheidt IG Metall Ernst-Christoph Stolper Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
  • Cornelia Tausch Verbraucherzentrale Baden-Württemberg Ulrich Weigl Europäische Kommission

 

Das Konzept der Bügerdialoge zu TTIP ist auf Austausch mit den Bürger/innen angelegt und ich kann nur sagen: in unserer Themengruppe hat dieser tatsächlichen stattgefunden und zwar auf hohem sachlichen Niveau, angereichert mit vereinzelten Ausbrüchen einer tiefempfunden Empörung.

Die Vertreterin des Wirtschaftsministeriums,

deren Chef TTIP- Verfechter Gabriel ist, hatte alle Hände voll damit zu tun, den Bürgerunmut vor allem ob der großen Intransparenz und der Investorstaatsschiedsgerichte zu besänftigen. Die Kommission habe in Sachen Kommunikation und Transparenz sicherlich einiges nachzuholen, die Bürger hätten hier aber auch eine gewisse Holschuld. Detaillierte Informationen zum Freihandelsabkommen ständen in großem Ausmaß zur Verfügung, TTIP sei sogar das bisher transparenteste Abkommen überhaupt (und damit hat sie sogar Recht, was aber nur daran liegt, dass die anderen Abkommen viel zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde – und hier müssen sich die Bürger tatsächlich auch etwas an die eigne Nase fassen). Besonders die Bundestagsabgeordneten hätten sehr wohl Zugang zu den Verhandlungsdokumenten, hätten aber einfach nicht genug Zeit (oder Interesse?) sich in diesen Informationswulst einzuarbeiten.

Was die Investor-Staats-Schiedsgerichte angehe:

die Bundesregierung sei mit die Erste (an vorderster Front praktisch), die die Mängel an den aktuellen Klauseln ausbessern wolle (darauf, das in der Vergangenheit schon 130 Abkommen mit solchen Klauseln unterschrieben wurden, wurde nicht eingegangen). Es dürfe mit Sicherheit keine Investitionsschutz geben, der anfällig für Missbrauch sei. Im Ministerium arbeite man mit Hochdruck daran, Reformen auf den Weg zu bringen! Danach kam es dann zu dem emotionale Höhepunkt, den ich oben angesprochen habe, nämlich als es um die Frage ging: wird die Bundesregierung den Investorenschutz, der in CETA schon fix und fertig verhandelt und größtenteils unreformiert festgeschrieben ist, noch verbessern können? Frau Jacobs-Schleithoff meinte: ja. Nach unseren Informationen hingegen, die aus einem persönlichen Gespräch mit Cecilia Malmström, der EU-Handelskommissarin, also der Chefin der TTIP-Verhandlungen stammen, ist der Wille der Kommission CETA noch mal aufzuschnüren bei ziemlich eindeutigen 0 Prozent.  Ist es also Augenwischerei was hier betrieben wird, oder glaubt das Wirtschaftministerium ernsthaft daran, das gefallen Kind noch mal aus dem Brunnen holen zu können?

Die Bürger/innen zeigten sich da eher misstrauisch.

Allgemein wird uns Bürger/innen in Sachen TTIP ja allzu großes Mistrauen vorgeworfen (Zitat Gabriel: Deutschland sei „a rich and hysteric country“). Das Problem meines Erachtens ist nicht zu großes Misstrauen, sondern immer noch zu kleines. Denn meiner Meinung nach ist das Transparenzproblem der EU-Kommission nicht nur einer gewissen Rückständigkeit und des ach so überraschenden Interesses der Bürger/innen an einem sonst mit Desinteresse bedachten Themas wie der europäischer Handelspolitik zu zuschreiben, sondern liegt viel mehr in einem unauflösbaren inhaltlichen Dilemma: Wenn die Kommission den Bürger/innen frei heraus sagen wurde, was sie plant und wie sich diese Planungen auswirken, würde eine öffentliche Diskussion dazu entstehen, die sicherlich bei vielen Positionen nicht im Sinne der Kommission ausgehen würde.

Geleakte Dokumente zeigen,

dass es die EU ist, die die Amerikaner dazu bringen möchte ihren nach der Finanzkrise besser regulierten Finanzmarkt wieder zu deregulieren und für unkontrollierbare Finanzinstrumente zu öffnen und dass es die EU ist, die die regulatorische Kooperation, die den Einfluss der „Stakeholder“ in einem vorgesetzgeberischen Raum extrem ausbaut, vorantreiben möchte. Un das sind nur einige Beispiele…

Die EU geht mit Positionen in diese Verhandlungen,

die in keinster Weise an die Vorstellungen der europäischen Bürger/innen von einem gerechten und nachhaltigen Europa rückgekoppelt sind. Was auch gar nicht anders möglich ist, da überhaupt gar keine Antrengungen unternommen werden, über diese Vorstellungen etwas herauszubekommen. Notwendiger Weise muss sie deshalb im Prozess der Aushandlung dieses Abkommens auf Geheimhaltung, Intransparenz und Verschleierung setzen und ist gezwungen in ihrer Rechtfertigung für dieses Mammuth-Projekt in einer Endlosschleife kontextlose Allgemeinplätze zu wiederholen wie: Wir brauchen TTIP unbedingt, weil: mehr Wachstum (egal mit welchen Standards und mit welcher Nachhaltigkeit), mehr Arbeitsplätze (egal unter welchen Bedingungen und für wen genau), mehr Wohlstand (für einige sicherlich, aber wohl kaum für alle). Dass immer mehr Bürger/innen sich damit nicht mehr abspeisen lassen, und dieses Abkommen ablehnen werden, solange ihnen nicht nachvollziehbarere und an konkrete Problematiken angebundene Argumente geliefert werden, dass wird den zuständigen Politiker/innen langsam aber sicher klar.

Und wenn wir diesen neugefundenrn Anspruch der Bürger/innen bewahren können und es schaffen, ihn auf die Politik im allgemeinen zu übertragen, dann hat uns am Ende TTIP (völlig ungewollt) ein riesiges Stück weitergebracht hin, zu einer verantwortungsvollen Bürgerdemokratie!