Demokratiekonferenz 2019 – Eindrücke und Erfahrungen

Unsere Praktikantin Felicitas nahm am 29. und 29. November an der Demokratiekonferenz in Stuttgart teil. Ihre Eindrücke hat sie in einem Erfahrungsbericht notiert.

Am 28. und 29. November 2019 fand in Stuttgart die Demokratiekonferenz 2019 statt. Sie wurde vom Staatsministerium Baden-Württemberg und dem Schweizer Kanton Aargau veranstaltet. Als Praktikantin bei Mehr Demokratie Baden-Württemberg habe ich zusammen mit meinen Kollegen daran teilgenommen. Nun will ich darüber berichten, wie ich die Konferenz erlebt habe, um auch denen, die nicht dabei waren, einen Eindruck zu geben.

Tag 1 – Eröffnung, Vorträge und Abendempfang

Am ersten Tag war ich ein bisschen aufgeregt, weil ich nicht wusste, was mich erwartet. Aber ich war ja zum Glück nicht allein. Wir kamen gegen elf Uhr am Neuen Schloss in Stuttgart an. Alles sah sehr edel aus und die Leute waren schick gekleidet. Bei genauerem Hinsehen habe ich jedoch gemerkt, dass manche Leute auch Jeans trugen und sich einige Jugendliche nur lose an den Dresscode gehalten haben. Es war also nicht so förmlich.

Der Tag fing mit einem Begrüßungskaffee und Häppchen an. Währenddessen unterhielten wir uns mit ein paar Bekannten unseres Landesvorstands Lukas. Sie halfen bei der Veranstaltung mit. Eigentlich wäre das ein guter Moment zum Networking gewesen, doch ich habe nur zugehört. Ich musste mich erst noch daran gewöhnen, dass ich mit einem Namensschild und in einer Rolle dort war. Das bedeutete, dass ich mich nicht einfach so verhalten konnte, wie ich wollte.

Ich musste darauf achten, wie ich auf andere wirke, sodass ich sowohl mich als auch Mehr Demokratie angemessen repräsentierte. Das setzte mich ein wenig unter Druck. Die Demokratiekonferenz wäre ein guter Ort gewesen, um andere Personen, die sich mit Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie beschäftigen, kennenzulernen. Dafür war im Programm viel Zeit eingeplant.

Dieser Druck, neue Kontakte zu knüpfen, legte sich aber etwas nach dem ersten inhaltlichen Block. Dabei konnte man sich nämlich einfach nur zurücklehnen und zuhören. Die Konferenz wurde von Ministerpräsident Winfried Kretschmann und dem Landammann des Kantons Aargau Dr. Urs Hofmann eröffnet. Das war nur der Beginn einer langen Liste von Grußworten im Verlauf der Konferenz. Sie waren meist ziemlich formell und begannen stets mit einer langen Begrüßungsformel, um alle wichtigen Politiker*innen in der richtigen Reihenfolge zu begrüßen.

Ministerpräsident Kretschmann leitete die Konferenz mit einer Kritik an der direkten Demokratie ein, die, wie es schien, von den meisten Teilnehmenden geteilt wurde und sich latent durch die ganze Veranstaltung zog. Ich hoffte auf eine Erwiderung von Dr. Hofmann aus der schweizerischen Perspektive, doch die blieb leider aus. Auch das sollte sinnbildlich für das Verhalten der Schweizer zur Kritik an der direkten Demokratie bei der Konferenz sein. Somit wurde die direkte Demokratie meistens entweder kritisiert oder ignoriert.

Andere Ergänzungen der repräsentativen Demokratie, wie der Grand Débat, wurden lieber gesehen. Darüber referierte Prof. Dr. Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg. Nach einer anschließenden Diskussion kam der Programmpunkt „Die Zukunft der Demokratie aus der Perspektive der Jugend“ an die Reihe. Dafür wurde ein Videobeitrag mit einer Botschaft für die Teilnehmenden der Demokratiekonferenz abgespielt, der grenzübergreifend von Schweizer und Baden-Württembergischen Jugendlichen zusammen ausgearbeitet worden war. Daraufhin wurden den Gewinner*innen eines Aufsatzwettbewerbs ihre Preise überreicht. Ich fand es gut, dass die Jugendlichen miteinbezogen wurden, fragte mich jedoch zugleich, ob ihre Ergebnisse über den Rahmen der Konferenz hinaus beachtet werden würden oder nur als Programmpunkt für die Konferenz gedacht waren.

Im Anschluss daran gab es eine Mittagspause mit kleinen Mahlzeiten, wie zum Beispiel Kartoffelsuppe aus kleinen Glasfläschchen. Das Ganze wurde im Stehen verzehrt, sodass man sich während des Essens frei bewegen und unterhalten konnte. Nach der Mittagspause ging es mit zwei Vorträgen über Soziale Medien von Prof. Dr. Frank Brettschneider und über Populismus von Prof. Dr. Nadja Braun Binder weiter.

Vorträge und erster Workshop

Ich mochte besonders den Vortrag von Prof. Dr. Nadja Braun Binder von der Universität Basel. Sie zeigte auf, dass kausale Zusammenhänge zwischen direkter Demokratie und der Ausbreitung von Populismus zu kurz gedacht sind. Denn man müsse politische Systeme in ihrer Gesamtheit betrachten. So erschließt sich auch ihre These, dass der Begriff „Populismus“ nicht gut eignet sei, um verfassungsrechtliche Spannungen zu erklären.

In der darauffolgenden Diskussion wurde deutlich, dass viele deutsche Teilnehmende noch immer Angst vor direkter Demokratie haben, weil sie befürchten, dass damit die Populisten ihre Forderungen durchsetzen können. Prof. Binder konnte diese Ängste begründet entkräften. Doch leider war nicht genug Zeit, um das Thema ausreichend zu diskutieren. Hier hätte ich mir mehr Raum für eine Diskussion gewünscht.

Nach den Vorträgen fing die erste Workshop-Phase an. Alle Workshops wurden in den eindrucksvollen Räumen des Neuen Schlosses abgehalten. Ich nahm an „Einfluss der sozialen Medien auf den politischen Diskurs“ teil. Dabei erklärten verschiedene Politiker*innen ihr Verhältnis zu den neuen Medien. Das Spektrum reichte von sehr aktiven Social-Media-Nutzern wie der Grünen-Landtagsabgeordneten Nese Erikli bis hin zu eher skeptischen und wenig aktiven Userinnen wie Claudia Rohrer, Großrätin und Fraktionspräsidentin der SP. Das Spannendste daran war für mich Eriklis Umgang mit Hasskommentaren, worauf meiner Meinung nach aber nicht genug eingegangen wurde. Es gab ja noch die anderen Kurzvorträge, weshalb zum Schluss alles zusammen diskutiert wurde. Somit gab es am Ende keine eindeutige Erkenntnis.

Der Abendempfang

Nachdem man sich wieder im Plenum eingefunden und es Kurzberichte aus den Workshops gegeben hatte, ging es auch schon zum Abendprogramm in der Alten Staatsgalerie. Hier gab es viel Zeit zum Netzwerken und dazu Sekt. Nach einigen Grußworten begann das Abendbuffet. Es herrschte eine ganz eigene Atmosphäre in der Alten Staatsgalerie. Eigentlich war die Zeit zum Entspannen gedacht, aber es war trotzdem ebenfalls Arbeit. Es war die Phase, in der es lockerer und und informeller wurde, aber man trotzdem noch Connections sammeln sollte. Das führte meinem Eindruck nach dazu, dass niemand sich komplett gelöst verhielt. Ich kann mir gut vorstellen, dass in diesem Zwischending aus Freizeit und Arbeit wesentliche Dinge besprochen werden. Wer da nicht dabei ist, verpasst wahrscheinlich einen sehr wichtigen Teil solcher Konferenzen.

Tag 2 – Weitere Grußworte, Zweiter Workshop, Ausblick

Der Abend war lang und am nächsten Tag war ich müde. Das Programm begann wieder mit Kaffee und einem kleinen Imbiss und dann mit Grußworten von Landtagspräsidentin Muhterem Aras und der Präsidentin des Großen Rats des Kantons Aargau Renata Siegrist-Bachmann. Anschließend hielt der Neurologe Prof. Dr. Jürg Kesselring einen Vortrag über die ethischen Herausforderungen in der humanitären Arbeit. Es stellte sich dann aber heraus, dass er eher über die Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen und von Mitgefühl referierte als über das, was der Titel erwarten ließ.

Nach einer Kaffeepause begann die zweite Workshop-Phase. Ich war etwas skeptisch, da mich mein erster Workshop nicht richtig hatte begeistern können. Doch ich kann nur sagen, dass ich dieses Mal positiv überrascht wurde. In dem Workshop zu Politischen Bewegungen erzählten Vertreter von Fridays for Future, der Schweizer Operation Libero, von Pulse of Europe und Amnesty International Ungarn von den Herausforderungen ihrer Arbeit. Vor allem die Arbeit von Amnesty International Ungarn machte mich sehr betroffen, da die Organisation durch das repressive Regime unter Druck gesetzt und in ihrer Arbeit eingeschränkt wird.

Das hat mir die Augen geöffnet, wie wichtig die Arbeit von NGOs ist. Auch der Vortrag von Pulse of Europe war interessant. Es wurde gezeigt, wie die Arbeit nach dem großen Hype weitergeht. Annette Rueß von Pulse of Europe Stuttgart verglich die Hochzeit ihrer Bewegung mit der von Fridays for Future jetzt. Es stimmte mich nachdenklich, mir vorzustellen, dass Fridays for Future dasselbe Schicksal treffen könnte. Pulse of Europe habe nicht mehr die gleiche Mobilisierungskraft wie früher, erzählte die Referentin. Für die Vertretung von Fridays for Future war das größte Problem, nicht ernst genommen zu werden.

Aus Mehr-Demokratie-Sicht am spannendsten war der Vortrag des Schweizers Stefan Manser-Egli. Er ist Vorstandsmitglied bei der Operation Libero, die sich für eine offenere Schweiz einsetzt und damit gegen viele Volksinitiativen der SVP. Sie gründete sich als Reaktion auf die „Ausschaffungsinitiative“. Seitdem konnte sie zum Beispiel die Durchsetzungsinitiative, die für härtere Abschiebungsgesetze war, verhindern. Ich hätte erwartet, dass Manser-Egli aufgrund der populistischen Volksinitiativen in der Schweiz vielleicht das Problem bei der direkten Demokratie sehen würde, wie das in Deutschland oft getan wird. Aber das stand für ihn gar nicht zur Debatte. Er war im Gegenteil froh über das Privileg, wie er es nannte, alle drei Monate abstimmen zu dürfen. Für ihn und seine Organisation biete das die Möglichkeit, gezielt Kampagnen gegen bestimmte Initiativen zu planen und damit dem Framing der Populisten Gegenwind zu geben. Er hat erkannt, dass nicht die direkte Demokratie das Problem ist, sondern der Populismus und die Rechtsextremen.

Nach diesem doch sehr erfrischenden Workshop gab es wieder eine Zusammenfassung anhand von Kurzberichten im Plenum. Anschließend verglich Prof. Dr. Dr. Manfred G. Schmidt in seinem Vortrag Demokratien und Autokratien. Nach einer Synthese und einem Ausblick im Plenum von Staatsrätin Gisela Erler und Dr. Markus Dieth, Landstatthalter des Kantons Aargau, endete die Demokratiekonferenz mit einem Stehimbiss.

Fazit

Ich ging zur Konferenz in dem Glauben, alle Teilnehmenden würden eigentlich das gleiche wollen: mehr Beteiligung, auch in Form von direkter Demokratie. Doch ich wurde schon bei der Eröffnung der Konferenz durch Winfried Kretschmann eines Besseren belehrt. Da stellte sich schon heraus, dass wir als Mehr Demokratie mit unserer Meinung nicht unbedingt in der Mehrheit waren. Das hat mich überrascht und ein bisschen enttäuscht, da ich aufgrund der Kooperation mit den Schweizern etwas anderes erwartet hätte.

Die Highlights waren für mich die Vorträge von Stefan Manser-Egli und Prof. Dr. Nadja Braun Binder. Leider behandelten die Vorträge nach meinem Empfinden insgesamt zu viele verschiedene Themen. Dazu gab es zu wenig Diskussionszeit und zu viele Grußworte. Ich hätte es besser gefunden, wenn man einen klaren Schwerpunkt gelegt hätte und ein Thema tiefer diskutiert hätte. Dennoch war es insgesamt eine gute und aufschlussreiche Erfahrung, dabei gewesen zu sein Die Veranstaltung richtete sich zwar ausdrücklich an Fachleute. Doch so, wie sie gestaltet wurde, wäre es auch eine schöne Veranstaltung für interessierte Bürgerinnen und Bürger gewesen, die eine breite Zusammenfassung aktueller Entwicklungen und Diskussionen bekommen hätten.