Möglich wurde dies durch die von Mehr Demokratie kritisierten gesetzlichen Rahmenbedingungen: So ist in Baden-Württemberg ein Bürgerentscheid nur dann auch rechtsverbindlich, wenn die Mehrheit der Abstimmenden gleichzeitig 30 Prozent der Stimmberechtigten umfasst. "Tausende von BürgerInnen informieren sich, stimmen ab und dann war alles für die Katz", bemängelt Hackl.
Wie undemokratisch die so erzielten Ergebnisse sind, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass sowohl der Bürgerentscheid in Friedrichshafen, wie der in Konstanz ein paar Kilometer weiter in Bayern rechtsverbindlich gewesen wären. Dort gilt ein Quorum von höchstens 20 Prozent. In Friedrichshafen wurden 27,2 Prozent, in Konstanz 21,5 Prozent der Stimmberechtigten erreicht, bei jeweils klaren Abstimmungsmehrheiten. Das Verhalten der Gemeinderäte, die Bürger erst zu fragen und sich bei nicht genehmer Bürgermeinung hinter den fragwürdigen baden-württembergischen Bürgerentscheidsgesetzen zu verstecken sei zwar legal, aber unmoralisch und nicht legitim. Hier wird Bürgerfrust pur erzeugt, ist sich die Initiative sicher.
Wie der Verband weiter ausführte, scheiterten im vergangenen Jahr 5 von 9 Bürgerbegehren an den gesetzlichen Fallstricken in Baden-Württemberg. Eines war wegen des Themas ( Vörstetten: Flächenabzug bei Umlegung), und eines wegen dem mangelhaften Kostendeckungsvorschlag (Ostfildern: Hallenbad) unzulässig. 3 Bürgerbegehren (Radolfzell: Privatisierung Stadtwerke; Walldorf: Sport- und Mehrzweckhalle; March: Rathausneubau) scheiterten im Entscheid am hohen Zustimmungsquorum. Gültige Bürgerentscheide nach Bürgerbegehren gab es in Uhldingen-Mühlhofen, Billigheim, Breitenau und Lenzkirch. Auch von den 4 Bürgerentscheiden, die aufgrund eines Gemeinderatsbeschlusses stattfanden, erreichten nur 2 das Abstimmungsquorum: In Markdorf (Südumfahrung)und in Ammerbuch (Schulstandort).
Die unzureichenden Regelungen bei kommunalen Bürgerentscheiden haben jüngst zur Gründung eines überparteilichen Bündnisses für mehr Demokratie in Baden-Württemberg geführt. Dem Bündnis gehören u.a. der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Naturschutzbund (NABU), der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC), die Arbeiterwohlfahrt-Landesverband Baden, die Energiewerke Schönau (EWS) und der Landesverband von Mehr Demokratie Baden-Württemberg an. Das Bündnis fordert auf der Grundlage der in Bayern geltenden Rechtslage
- den Wegfall der Themeneinschränkung
- Bürgerentscheide auch in Landkreisen
- Absenkung des Abstimmungsquorums von 30 auf 20 bis 10 Prozent der Stimmberechtigten, je nach Gemeindegröße
- Verlängerung der Frist für Bürgerbegehren gegen Gemeinderatsbeschlüsse von 4 auf 8 Wochen.
Würden diese Forderungen erfüllt, wäre laut Hackl, nur eines statt fünf der Bürgerbegehren in Baden-Württemberg gescheitert und alle Bürgerentscheide hätten rechtsverbindliche Ergebnisse erbracht.
Zum zweiten Mal wurde bei der Bilanzpressekonferenz die Demokratiegurke des Jahres vergeben. Diese Auszeichnung erhalten Personen und Gruppierungen, die die direkte Bürgermitsprache in Baden-Württemberg missachten oder behindern. Als Preisträger für das Jahr 2003 wählte Mehr Demokratie den Konstanzer OB Horst Frank und die Gemeinderatsmehrheit (CDU, FDP, Freie Wähler und 2 von 7 Grünen) der Stadt am Bodensee aus, für Ihren Umgang mit dem Mehrheitswillen der BürgerInnen beim Bürgerentscheid über das Kongresszentrum in "Klein-Venedig" in Konstanz. "Preiswürdig" waren die Konstanzer aus drei Gründen
1. Die Gemeinderatsmehrheit und der Oberbürgermeister beschl0ssen einen Bürgerentscheid über das Kongreßzentrum. Als 54 Prozent, über 12 000 BürgerInnen in Konstanz (21,5 Prozent der Stimmberechtigten) bei der Abstimmung gegen die Kongresshalle votierten, interessierte die Gemeinderatsmehrheit die Bürgermeinung nicht mehr. Die Abstimmung, die in Bayern verbindlich gewesen wäre, wurde in Konstanz als nicht ausreichend abgetan. Hier verbirgt sich nach Meinung von Mehr Demokratie ein taktisches Verhältnis der Gemeinderatsmehrheit zur Demokratie. Mehrheitsentscheidungen werden nur dann akzeptiert, wenn sie der eigenen Meinung entsprechen.
2. Noch wenige Wochen vor der Abstimmung tönten die Befürworter der Kongresshalle, wie der CDU-Stadtrat Wolfgang Müller-Fehrenbach, dass es Ihre Hauptaufgabe sei, wegen des Quorums möglichst viele Menschen an die Urnen zu bekommen. Nach der Abstimmung räumten Sie nicht etwa ihr Scheitern ein, sondern es wurde gesagt, der Bürger hätte seine Chance nicht genutzt, er hätte sich kein klares Bild machen können. Das Abstimmungsverhalten von mehr als 22 000 KonstanzerInnen wurde einfach für irrelevant und letztlich die BürgerInnen für dumm erklärt.
3. Mitentscheidend für die Verleihung der Gurke nach Konstanz war das Verhalten von Oberbürgermeister Horst Frank. Das Grünen-Mitglied, dass sich zuvor für eine Absenkung der Quoren stark gemacht hatte, wollte jetzt, als er inhaltlich anderer Auffassung wie die Bürgermehrheit war, nichts mehr davon wissen. Noch peinlicher wird dieses Verhalten, wenn man sich das Ergebnis der OB-Wahl von vor 7 Jahren in Konstanz anschaut. Rund 10 200 KonstanzerInnen hatten damals den Grünen in sein Amt gewählt. Wenn nun über 12 ooo Konstanzer "Nein" zu seinem Kongresszentrum sagen, interessiert dies den OB nicht.
Hier offenbart sich ein seltsames Demokratieverständnis.
Reinhard Hackl
Bilder von der Pressekonferenz:
Reinhard Hackl während der Pressekonferenz.
Pressesprecher Walter Rügert erläutert der Standpunkt des
Oberbürgermeister Horst Frank
Reinhard Hackl übergibt die Demokratiegruke.
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