Bad Saulgau: Erster Bürgerentscheid über Gemeinschaftsschule

Frist verhindert weitere Bürgermitbestimmung

Mobilisierung zu breiter Abstimmungsbeteiligung besonders wichtig

Die Bad Saulgauer haben am 20. Januar als erste die Möglichkeit über die Früchte des neuen schulpolitischen Projekts der Landesregierung abzustimmen: ja oder nein zu einer Gemeinschaftsschule. Mehr Demokratie e.V. begrüßt die direkte Bürgerbeteiligung bei dieser Weichenstellung, gibt jedoch zu bedenken, dass große Mobilisierungsanstrengungen aller Beteiligten nötig seien, um soziale Verzerrungen bei der Abstimmungsbeteiligung zu vermeiden: bei Abstimmungen über das Schulsystem bestehe die Gefahr, dass gerade jene sozialen Gruppen weniger stark zur Teilnahme mobilisiert werden, die von der Bildungsmaßnahme am meisten betroffen sind. Ein anderes Problem ist die von Mehr Demokratie seit jeher angeprangerte 6-Wochen-Frist für die Einreichung eines Bürgerbegehrens nach dem Gemeinderatsbeschluss. Da die Gemeinderatsbeschlüsse zur Bewerbung für eine Gemeinschaftsschule bereits im vergangenen November gefällt wurden, werden weitere Bürgerentscheide in dieser Bewerbungsrunde zu Gemeinschaftsschulen unmöglich.


„Der Bürgerentscheid in Bad Saulgau ist eine Premiere, dem viele weitere Bürgerentscheide nachfolgen könnten. Das Schulsystem ist ein brisantes Thema und die Bürgerinnen und Bürger wollen bei solch folgenschweren Veränderungen nicht außen vor gelassen werden. Umso ärgerlicher ist es für Bürgerinitiativen, zu entdecken, dass die 6-Wochen-Frist für ein Bürgerbegehren in der jetzigen Bewerbungsrunde, abgelaufen ist, noch bevor überhaupt klar ist, ob dem Antrag stattgegeben wird“, erklärt Sarah Händel von Mehr Demokratie e.V.. Die Abschaffung der überflüssigen 6-Wochen-Frist ist seit Jahren eine der dringlichsten Forderungen im Reformkatalog von Mehr Demokratie e.V. für die Verfahren der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene.


Generell befürwortet der Verein die durch einen Bürgerentscheid entstehende öffentliche Debatte. „Wir begrüßen jede Bürgerinitiative; die dazu führt, dass sich möglichst viele Bürger und Bürgerinnen zu dieser komplexen Thematik informieren und dann eine Entscheidung fällen“, so Händel, „Der Hamburger Volksentscheid 2010 zur Einführung der 6jährigen Primärschule hat jedoch deutlich gemacht: Abstimmungen zum Schulsystem sind besonders anfällig für Verzerrungen, was die Abstimmungsbeteiligung aller sozialen Gruppen angeht. Das Gymnasium hat eine bessere Lobby als die Realschulen und die Realschulen haben eine bessere Lobby als die Hauptschulen, dementsprechend unterschiedlich stark können sie Unterstützung bei einer Volksabstimmung oder einem Bürgerentscheid mobilisieren“, so Händel.

Deshalb sind die Verwaltung, die Parteien, die Pro- und Contra-Inititativen, aber auch die Zivilgesellschaft gefragt: Informationen zur Abstimmung müssen klar und übersichtlich aufbereitet werden und zahlreiche Infoveranstaltungen und öffentliche Diskussionen sollten darauf hinwirken, eine größtmögliche Abstimmungsbeteiligung zu erreichen.


Händel: „Direkte Bürgerbeteiligung ist dazu da, die Politik an den Mehrheitswillen rückzukoppeln.

Die Mobilisierung aller sozialen Gruppen für die Teilnahme an Abstimmungen - genauso wie an Wahlen auch - ist deshalb eine der großen politischen Herausforderungen in Zeiten des sinkenden Vertrauens in unsere Demokratie. Doch gerade bei Volksabstimmungen und Bürgerentscheiden könnte dies besonders gut gelingen, da es - anders als bei Wahlen - um ein konkretes Thema geht, und deshalb Argumente, Konsequenzen und Betroffenheiten leichter vermittelbar sind. So können auch politikfernere Schichten für eine Abstimmung gewonnen werden. Der Bürgerentscheid in Freiburg zum Verkauf städtischer Wohnungen von 2006 ist ein gutes Beispiel“.

 

 

 

Mehr zu den Reformforderungen von Mehr Demokratie e.V. zur kommunalen Bürgermitbestimmung hier.