Bündnis für mehr Demokratie fasst Volksbegehren für bessere Bürgerentscheide ins Auge

Die Regierungsparteien von CDU und FDP wollen keine wirklichen Verbesserungen bei Bürgerentscheiden in Gemeinden und Landkreisen im Land, so das Fazit der Gespräche des Bündnisses für Mehr Demokratie mit den Landtagsparteien. DGB-Landeschef Rainer Bliesener nennt daher die derzeit geplante Reform eine "Mogelpackung": "Kleinen Verbesserungen stehen Einschränkungen an anderer Stelle gegenüber." Die Gesprächsteilnehmer bekamen den Eindruck, dass Teile der Koalitionsfraktionen Angst vor den Bürgerinnen und Bürgern haben. Die Vorbereitung von Bürgerbegehren bietet nach Meinung des Bündnisses die Chance, sachlich Pro- und Contra-Argumente öffentlich auszutragen und zur Abstimmung zu stellen. Wer sich dem verschließt, darf auf der anderen Seite nicht über Parteien- und Politikverdrossenheit klagen. Der Sprecherkreis des Bündnisses will deshalb dem Bündnis die Erarbeitung eines eigenen Gesetzentwurfs vorschlagen. Dieser soll Grundlage eines Zulassungsantrags für ein landesweites Volksbegehren sein, falls die Regierungskoalition nicht noch weitere Zugeständnisse für eine verbesserte Bürgerbeteiligung macht.

In den letzten sechs Monaten hat das Bündnis aus 20 landesweit tätigen Organisationen Gespräche mit den Fraktionsvorsitzenden von CDU und Grünen, dem Landtagsvizepräsidenten und dem AK-Innenpolitik der SPD sowie dem innenpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion geführt. Ziel war eine Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen für Bürgerentscheide im Land. Während SPD und Grüne ihre Unterstützung für die Vorschläge des Bündnisses für mehr Bürgermitsprache bekundeten, zeigten die Regierungsparteien CDU und FDP wenig Reformbereitschaft.

Dabei besteht nach Ansicht des Bündnisses eklatanter Handlungsbedarf: Baden-Württemberg ist bei der direkten Bürgermitsprache im bundesweiten Vergleich zusammen mit dem Saarland und Berlin das Schlusslicht. Zwei Drittel aller Bürgerbegehren bleiben nach einer Untersuchung des Vereins für Mehr Demokratie im Verfahrensgestrüpp der Landesgesetze hängen und führen statt zu bürgerfreundlichen Entscheidungen zu Bürgerfrust.

Selbst die wenigen, von der Regierung ins Auge gefassten, Änderungen bedeuten noch nicht unbedingt eine Verbesserung der Situation. "Offenbar möchte die Regierungskoalition die spannendsten Fragen der Gemeindepolitik der Mitsprache der Bürger entziehen", kritisiert der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes NABU, Stefan Rösler. Will doch die CDU die Bebauungspläne als zentrales Thema der kommunalen Selbstverwaltung in einen so genannten Negativkatalog aufnehmen, der für Bürgerentscheide tabu sein soll - eine klare Verschlechterung zur jetzigen Situation. Viele Bürgerentscheide der Vergangenheit, wie z.B. der in Hausen (Landkreis Lörrach) über die Ausweisung eines Golfplatzes (1998) oder der in Vöhringen (Landkreis Rottweil) über die Ausweisung eines regionalen Gewerbegebietes (2000), wären so künftig selbst nach einer entsprechenden Änderung der Hauptsatzung per Gemeinderatsbeschluss nicht mehr möglich. In Bayern waren Bebauungspläne in den vergangenen Jahren gar das häufigste Bürgerbegehrens-Thema überhaupt. "Der geplante Negativkatalog ist ein klares Signal gegen Bürgerbeteiligung und Ehrenamt", warnt der NABU vor einer Förderung der ohnehin schon besorgniserregenden Politikverdrossenheit durch die Regierung.

Auch die vom Bündnis geforderte Einführung von Bürgerentscheiden in den Landkreisen, die in Rheinland-Pfalz, Hessen, Sachsen oder Bayern schon viele Jahre praktiziert wird und die Zweiklassengesellschaft in Stadt- und Landkreisen beenden soll, lehnt die CDU bislang ab.

Ebenso beim so genannten Abstimmungsquorum zeigt die Regierungskoalition wenig Reformbereitschaft. Während in Bayern ein Bürgerentscheid bereits gültig ist, wenn die Mehrheit der Abstimmenden je nach Einwohnerzahl 20 bis 10 Prozent der Stimmberechtigten umfasst, sollen hierzulande mindestens 25 Prozent der Bürgerinnen und Bürger den entsprechenden Vorschlag unterstützen. Dies wäre zwar gegenüber der heutigen Rechtslage, die ein Zustimmungsquorum von 30 Prozent vorsieht, eine Verbesserung, räumt Reinhard Hackl vom Verein "Mehr Demokratie" ein. "Misserfolg und Frust sind aber weiter vorprogrammiert, denn so wird es auch in Zukunft viele Abstimmungen geben, die zu keinem gültigen Ergebnis führen. Tausende von Bürgern gehen, wie vor einem Jahr in Konstanz, zur Abstimmung und nachher war die ganze Mühe umsonst", so Hackl. Dies sei umso unverständlicher, da viele Bürgermeister und Oberbürgermeister mit der Unterstützung von weniger als 25 Prozent der BürgerInnen ins Amt gewählt werden. Diese Wahlen seien dagegen immer gültig. Nach Meinung des Bündnisses sollten mit einer Absenkung des Quorums die Bürger belohnt werden, die sich am demokratischen Willensbildungsprozess beteiligen und nicht eine Meßlatte aufgelegt werden, die bürgerschaftliches Engagement ausbremst.

Ein kleines Entgegenkommen signalisierte die CDU bei der Frist für Bürgerbegehren gegen Gemeinderatsbeschlüsse. Hier kann sich die CDU eine Verlängerung der Frist von vier auf sechs Wochen vorstellen.

Die FDP hatte bei den Gesprächen keine eigenen Positionen in allen diesen vorgenannten Punkten formuliert.

Vor dreieinhalb Jahren hatten CDU und FDP in ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt, dass die Themeneinschränkungen bei den Bürgerentscheiden wegfallen sollen. Trotz vielfacher Ankündigungen ist bis heute nichts geschehen. Die zeitliche Verzögerung und die Herausnahme der Bebauungspläne zeige, wie wenig ernst es der Koalition mit der Bürgermitsprache ist, betont Hackl. Er lobt, dass die Regierungsparteien sich die Zeit genommen haben, die inhaltlichen Forderungen des Bündnisses anzuhören. Inhaltlich hätte es dagegen bislang nur geringe Fortschritte gegeben.

Grundlage des Gesetzentwurfes, den das Bündnis nun erarbeiten will, ist die Rechtslage in Bayern. Nach dortigem Vorbild sollen in Baden-Württemberg

  • die Themeneinschränkung für Bürgerentscheide fallen,
  • Bürgerentscheide in Landkreisen eingeführt werden,
  • das Abstimmungsquorum je nach Gemeindegröße auf 20 bis 10 Prozent abgesenkt werden und
  • die Frist für Bürgerbegehren von vier auf acht Wochen verlängert werden.

Das Bündnis erhofft sich, dass der Landtag im Gesetzgebungsverfahren noch positive Veränderungen vornimmt, gegebenenfalls soll im Frühjahr der Startschuss für die Unterschriftensammlung für den Zulassungsantrag zum Volksbegehren beschlossen werden. Dann entscheiden die Bürger selbst und nicht mehr der Landtag, ob sie sich weiter mit weniger Mitsprachemöglichkeiten als die Bayern begnügen wollen.