Bürgeraktion Mehr Demokratie legt Bürgerbegehrensbericht 2008 vor

"Gerichte schränken Bürgerbegehren gegen Bauleitplanung ein – Landtag ist gefordert!"

Demokratierose 2009 für Bürgerentscheid in Heidelberg

BI-Vertreter Edgar Wunder, Laudator Prof. Roland Geitmann sowie OB Dr. Eckart Würzner bei der Preisverleihung in Heidelberg (oben) sowie Reinhard Hackl und Christian Büttner bei der Pressekonferenz in Stuttgart (unten).

Der Verein Mehr Demokratie kritisierte bei der Vorlage des Bürgerbegehrensberichts 2008 die Einschränkungen der Bürgermitsprache bei Bebauungsplänen durch jüngste Gerichtsentscheide. Bei einer Pressekonferenz forderte der Landesvorsitzende Reinhard Hackl den Landtag zu einer gesetzlichen Klarstellung auf. "Zu Bauleitplanungen müssen im Land wie in Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Bürgerbegehren möglich sein!", fordert Hackl. Soweit Bürgerbegehren in Baden-Württemberg ermöglicht wurden, gibt es weniger Politikverdrossenheit und mehr Bürgerengagement, ist eine andere Botschaft des Berichts. Für vorbildliches demokratisches Handeln beim Bürgerentscheid über den Verkauf der städtischen Wohnungen im Emmertsgrund wurden die Initiative und die Organe der Stadt Heidelberg mit der Demokratie-Rose 2009 ausgezeichnet.

Die Lust der Bürger auf Einmischung in ihre eigenen Angelegenheiten nahm auch im Jahr 2008 weiter zu. Insgesamt registrierte Mehr Demokratie im vergangenen Jahr 42 direktdemokratische Verfahren in Baden-Württemberg gegenüber 35 im Jahr 2007. 33mal starteten Bürger ein Begehren, 9mal beschlossen Gemeinderäte einen Bürgerentscheid. Dies entspricht einer Vervierfachung der Zahlen gegen-über der Zeit vor der Reform der Gemeindeordnung im Jahr 2005, in der durch-schnittlich nur 9 Verfahren im Jahr stattfanden.

In knapp der Hälfte der Verfahren (15 bei noch 2 offenen Verfahren) erreichten die Bürger das von Ihnen angestrebte Ziel. Prominente Beispiele waren neben dem Bürgerentscheid über den Wohnungsverkauf in Heidelberg der Bürgerentscheid über die Boss-Ansiedelung in Metzingen und der Entscheid über das Logistikzentrum der MTU in Salem am Bodensee.

Dem Anstieg der Zahlen steht aber eine andere und für die Bürger unerfreuliche Entwicklung gegenüber: Rund 40 Prozent der Bürgerbegehren bleiben im Land an den gesetzlichen Fallstricken hängen. Von den 33 Bürgerbegehren wurden im Bürgerentscheid nur 3 von der Mehrheit der Bürger abgelehnt, dagegen wurden 9 Bürgerbegehren als unzulässig verworfen und 4 scheiterten bei der Abstimmung am notwendigen Zustimmungsquorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten.

Als echter „Bürgerbegehrenskiller“ erweist sich nach Hackls Worten, dass zu Bauleitplänen nach der Gemeindeordnungsreform von 2005 in Baden-Württemberg Bürgerbegehren nicht mehr zulässig sind. Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat in seiner jüngsten Entscheidung zum Bürgerbegehren gegen das EDEKA-Fleischwerk in Rheinstetten die Möglichkeiten für Bürgerbegehren zu Bauleitplanungen auf die Zeit vor dem Aufstellungsbeschluss des Bauleitplanes durch den Gemeinderat beschränkt, auf einen Zeitpunkt also, zu dem Sinn und Unsinn einer Planung noch gar nicht in der Bürgerschaft diskutiert werden kann.

Noch während des Gesetzgebungsverfahrens im Jahr 2005 hatte die Landesregierung immer wieder betont, dass die Frage des "Ob" einer Planung, insbesondere der Planungsstopp, einem Bürgerentscheid zugänglich wäre. Letztlich sollte den Baden-Württembergern die gleichen Rechte zugestanden werden, die auch bayerische Bürger haben. Diese vom Innenminister Rech genährten Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Hackl fordert deshalb den Landtag zu gesetzlichen Korrekturen noch in dieser Legislaturperiode auf: "Die einschlägige Nr.6 des so genannten 'Negativkataloges' muss gestrichen werden!" Bauleitplanungen als wesentlicher Inhalt der kommunalen Selbstverwaltung dürfen den Bürgern nicht vorenthalten werden.

Auch die Frist von 6 Wochen, in denen Bürgerbegehren gegen Gemeindratsbeschlüsse nur möglich sind, führte oft zur Unzulässigkeit von Bürgerbegehren. Innerhalb von 6 Wochen eine Bürgerentscheidsfrage samt Kostendeckungsvorschlag zu formulieren und dann noch 10 Prozent der Bürgerinnen für eine Unterschrift zu gewinnen, erweist sich für viele Initiativen als zu große Hürde. Gerade bei längerfristigen Planungsprozessen macht die 6-Wochenfrist überhaupt keinen Sinn, da erst während der Planungsphase ein Meinungsbildungsprozess in der Bürgerschaft stattfinden kann. In Bayern gibt es deshalb aus guten Gründen diese Frist nicht.

Insgesamt 5 der unzulässigen 9 Bürgerbegehren scheiterten so 2008 am Ausschluss von Bauleitplanungen und/oder der 6-Wochenfrist(Bad Mergentheim, Göppingen, Nürtingen, Rheinstetten und Salem).

In Waldkirch (Schwimmbad), Horb (unechte Teilortswahl), in Fichtenberg (Erhalt des Spritzenhauses) und Geislingen (keine Bebauung des städtischen Sportplatzes) gewannen die Initiatoren zwar die Abstimmung, scheiterten aber am hohen Zustimmungsquorum von 25 Prozent, und der Gemeinderat respektierte das Abstimmungsergebnis nicht. Mehr Demokratie schlägt hier vor, wie bei Wahlen auch, auf ein Quorum bei der Abstimmung ganz zu verzichten oder zumindest es je nach Gemeindegröße wie in Bayern auf 10 -20 Prozent abzusenken. Drei der vier Abstimmungen wären übrigens in Bayern gültig gewesen.

In all den Fällen, in denen es wegen der Unzulässigkeit oder dem hohen Quorum zu keinem gültigen Bürgerentscheid kam, führte das Verfahren nicht zur Befriedung und Konfliktlösung, sondern zum Frust bei den Bürgern, die erleben müssen, das die Politik ihnen die Einmischung in Ihre Angelegenheiten nicht gestattet.

Dabei können Bürgerbegehren sehr wohl die Initialzündung für dauerhaftes politisches Engagement in den Gemeinden sein. Im Vorfeld der Kommunalwahl stellt Mehr Demokratie fest, dass sich Initiatoren von Bürgerbegehren weiter für Ihre Gemeinde engagieren. So treten bei der diesjährigen Kommunalwahl u.a. in Schelklingen, Leutkirch, Lautenbach, Urach, Denzlingen, Wertheim und Westerheim neue Listen an, die ihren Ursprung in einem Bürgerbegehren haben. In Schwäbisch Gmünd und in Gottmadingen treten die Initiatoren auf bestehenden Listen an. Wir stellen auch fest, dass diese Listen keine "Eintagsfliegen" sind, sondern sich über mehrere Wahlperioden in der Gemeinde engagieren. Bekanntestes Beispiel ist die Liste "Pro Hemsbach", die seit der Kommunalwahl im Jahr 1999 im Gremium vertreten ist und auch dieses Jahr wieder kandidiert. Bürgerbegehren sind offensichtlich ein wichtiges "Rekrutierungsfeld" für kommunalpolitisches Personal, eine Ressource, auf die man in den heutigen Zeiten nicht verzichten sollte, findet der Verein.

Demokratie-Rose 2009

Die zum zweiten Mal vergebene "Demokratie-Rose" geht im Jahr 2009 nach Heidelberg. Die offizielle Verleihung findet am Montag 18.5.2009 um 13 Uhr im Großen Sitzungssaal des Rathauses in Heidelberg statt. Laudator Prof. Dr. Roland Geitmann würdigt dabei das vorbildliche demokratische Handeln der unterschiedlichen Akteure in Heidelberg. "Oberbürgermeister, Gemeinderat und Stadtverwaltung haben mit ihrem Handeln manche Schwächen der baden-württembergischen Bürgerentscheidsregeln ausgeglichen und ein Beispiel für die bürgerfreundliche Gestaltung des Verfahrens gegeben!", betont Geitmann.

So verhinderte etwa Oberbürgermeister Dr. Eckhart Würzner durch sein Eingreifen, dass während des Unterschriftensammelns durch den Verkauf der Wohnungen vollendete Tatsachen geschaffen wurden. Während der Unterschriftensammlung prüfte das Bürgeramt der Stadt Heidelberg ab den ersten eingereichten 1000 Unterschriften fortlaufend deren Gültigkeit und gab Initiative und Öffentlichkeit dadurch immer eine aktuelle Rückmeldung über den erreichten Stand - ein seltener Service, der natürlich auch eine zusätzliche Dynamik schafft. Trotz rechtlicher Zweifel an der Zulässigkeit beschloss schließlich der Gemeinderat nahezu einstimmig (bei zwei Enthaltungen) die Durchführung des Bürgerentscheids.

Besonders hebt Geitmann die weit gehend ausgewogene Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Heidelberg hervor. Jeder Abstimmungsberechtigte erhielt mit den Abstimmungsunterlagen einen Flyer, der authentisch und in gleichem Umfang Verkaufsbefürworter und -gegner zu Wort kommen ließ. Dazu gab es noch zwei Ausgaben des Stadtblattes mit Pro- und Contra Informationen.

Obwohl 82,3 % der Abstimmenden gegen den Verkauf votierten, scheiterte der Bürgerentscheid am allzu hohen baden-württembergischen Zustimmungsquorum von 25 % aller Wahlberechtigten. Doch der Gemeinderat schloss sich mehrheitlich der Abstimmungsmehrheit an und untersagte den Wohnungsverkauf. "Der Bürgerwille durfte sich zuerst bilden und wurde dann respektiert!", lobt Geitmann diese "Sternstunde" kommunaler Demokratie. Vieles, was sich an diesem Beispiel selbstverständlich anhört, wurde und wird anderorts nicht so bürgerfreundlich gehandhabt.

Der Bürgerinitiative "Bündnis für den Emmertsgrund" um Dr. Edgar Wunder zollte Geitmann Lob für ihr dauerhaftes ehrenamtliches Engagement zugunsten der Lebensqualität in dem Heidelberger Stadtteil. Fast scheint es so, als hätten die Initiative und der Bürgerentscheid den Stadtteil aus einem "Dornröschenschlaf" erweckt. Im Vorjahr ging die Rose an die kleine Gemeinde Weissach im Tal im Rems-Murr-Kreis.