Große Anfrage der Grünen zeigt Reformbedarf im Land

Verein Mehr Demokratie: „Zeit zum Handeln für mehr direkte Bürgermitsprache!“

Vier Jahre nach der letzten Reform der Bürgerentscheidsregeln im Land kann man die Augen vor den offenkundigen Mängeln der Gesetzgebung zur direkten Demokratie nicht mehr verschließen, meint der Verein „Mehr Demokratie“. Er kommentiert damit die große Anfrage der Fraktion Grüne zum Thema, die am Mittwoch in einer öffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Landtags behandelt wurde. Laut Prof. Dr. Roland Geitmann, beratendes Mitglied im Landesvorstand, scheitern 40 Prozent der Bürgerbegehren auf Gemeindeebene an den Stolperfallen und Tabuzonen des Verfahrensrechts. Die gesetzlichen Regelungen zu Volksbegehren und Volksentscheid auf Landesebene haben sich gar als Sackgasse erwiesen. Seit 1973 gab es aufgrund der unüberwindlichen Hürden kein einziges Volksbegehren.

Als besonders beeinträchtigend bei Bürgerbegehren sieht der Verein den bei der Reform vor vier Jahren neu eingeführten Ausschlusstatbestand „Bauleitpläne“. Entgegen der vom Innenministerium damals geäußerten Ansicht können Bürger heute nicht mehr über einen Planungsstopp oder einen –verzicht entscheiden. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat den Ausschlusstatbestand in seinen jüngsten Entscheidungen über den Wortlaut hinaus ausgedehnt und alle Verfahrensschritte dem Zugriff der Bürger entzogen. Auch über Fragen, über die vor der Reform von 2005 problemlos ein Bürgerentscheid hätte stattfinden können, etwa den Bau eines Wohn- und Geschäfthauses durch eine Gemeinde, wird jetzt mit dem Verweis auf ein Planverfahren ein Bürgerentscheid abgelehnt.

Geitmann: „Wenn Innenminister Rech damals seine Argumentation ernst gemeint hat, muss er jetzt den Ausschlusstatbestand abschaffen!“ Die Bürger in Baden-Württemberg bekämen so die gleichen Mitwirkungsrechte wie in sieben anderen Bundesländern, u.a. Bayern, Hessen, Thüringen und Sachsen.

Mehr Demokratie kritisiert auch die 6-Wochenfrist für Bürgerbegehren, die sich gegen Gemeinderatsbeschlüsse richten. Da viele Gemeindeprojekte den Gemeinderat in mehreren Stufen beschäftigen und manche Probleme erst im Laufe der Verfahren deutlich werden, entstehen hier unnötige und unverständliche Fallstricke für Bürgerinitiativen.

Noch gravierender empfindet der Verein die Mängel der Volksgesetzgebung auf Landesebene. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Grünen, die von einem „austarierten Gesamtgefüge“ und von „zureichenden realistischen Chancen für erfolgreiche Volkbegehren und Volksabstimmungen im Land spricht“ liest sich für den Verein wie eine “Realsatire“. Für ein erfolgreiches Volksbegehren müssen sich 1,25 Millionen Bürger (16,67 % der Bürger) ohne Benachrichtigung innerhalb von zwei Wochen in den Rathäusern in die Unterschriftslisten eintragen. Zum Vergleich: Hamburg verlangt hier etwa nur 5 Prozent und Thüringen gibt den Bürgern bei freier Unterschriftensammlung vier Monate Zeit, die notwendigen Unterschriften zusammenzubekommen. Kein Wunder also, dass es in Hamburg und Thüringen in den letzten 5 Jahren erfolgreiche Volksbegehren gab, in Baden-Württemberg dagegen in 35 Jahren kein einziges.

Die bisher im Koalitionsvertrag vorgesehene Reform durch Absenkung des Zustimmungsquorums bei der Volksabstimmung von einem Drittel auf ein Viertel der Wahlberechtigten greift zu kurz. Aufgrund der zu hohen Hürde bei der Vorstufe dazu, dem Volksbegehren, wird es dann weiter keinen Volksentscheid geben.

Mehr Demokratie e. V. fordert deshalb die schwarz-gelbe Regierungskoalition im Land zum Handeln auf. Wer etwas gegen Politikverdrossenheit im Lande tun wolle, müsse die direkte Demokratie im Land erleichtern.

 

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Stellungnahme von Prof. Roland Geitmann [PDF]