Mehr Demokratie e.V. zieht drei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Gemeindeordnung eine überwiegend positive Bilanz. Die Reform sorgte für einen moderaten Anstieg bei der Anzahl von Bürgerentscheiden, außerdem stärkte sie den politischen Dialog und die Rechtssicherheit und somit auch einen konstruktiven Umgang mit Bürgerbegehren. "Beim Kostendeckungsvorschlag muss aber schnellstmöglich nachgebessert werden", zeigt Edgar Wunder, Landesvorstandssprecher von Mehr Demokratie Baden-Württemberg, auch Schwächen auf.
Mit der Reform der Gemeindeordnung gelten seit dem 1.12.2015 neue Regelungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Seit der Reform gibt es in Baden-Württemberg durchschnittlich 25 Bürgerentscheide pro Jahr. Das sind zehn Bürgerentscheide mehr als vor der Reform. "Dieser Anstieg war zu erwarten und ist auf zwei Faktoren zurückzuführen: die Auskunftspflicht der Gemeinden beim Kostendeckungsvorschlag und die teilweise Öffnung der Bauleitplanung für Bürgerbegehren nach dem Vorbild anderer Bundesländer", erklärt Wunder.
Hervorzuheben sind die qualitativen Verbesserungen durch einzelne Neuregelungen. "Durch eine verbindliche Fristenregelung, die längere Einreichungsfrist bei Bürgerbegehren und das Anhörungsrecht für Vertrauenspersonen wurde der Dialog zwischen den Beteiligten im Sinne der Konfliktbefriedung signifikant gestärkt", betont Edgar Wunder. Zudem führte die Herabsetzung des Zustimmungsquorums bei Bürgerentscheiden auf 20 Prozent zu weniger ungültigen Bürgerentscheiden.
Kurz-Zusammenfassung in Zahlen:
-
Die Anzahl der Bürgerentscheide pro Jahr unter den neuen Regelungen liegt bei durchschnittlich 24,8 Bürgerentscheiden. Unter den bis 2015 geltenden gesetzlichen Regelungen gab es nur 14,4 Bürgerentscheide pro Jahr.
-
Auch nach der Reform werden durchschnittlich 35 Prozent der Bürgerbegehren für unzulässig erklärt. Das ist im Vergleich mit anderen Bundesländern nach wie vor ein überdurchschnittlicher Wert.
-
Der Anteil der durch den Gemeinderat selbst eingeleiteten Bürgerentscheide sinkt unter den neuen Regeln auf 12 Prozent. Vor der Reform lag er bei 28 Prozent.
-
Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung ist stabil und hoch bei 50 Prozent. Sie entspricht in etwa der Beteiligung bei Gemeinderatswahlen.
-
Die Senkung des Zustimmungsquorums bei Bürgerentscheiden von 25 Prozent auf 20 Prozent hat den Anteil ungültiger Bürgerentscheide wesentlich auf nur noch 8 Prozent verringert (vorher: 18 Prozent).
Seit 2015 sind in Baden-Württemberg auch Bürgerbegehren zu verfahrenseinleitenden Beschlüssen im Bereich der Bauleitplanung möglich. Damit wurde eine Anpassung an eine in vielen anderen Bundesländern bewährte Praxis vorgenommen. Im Schnitt gibt es seitdem jährlich 6,3 Bürgerentscheide zu Fragen der Bauleitplanung. Landesweit werden nicht einmal ein Promille aller Gemeinderatsbeschlüsse zu Bauleitplanungen durch Bürgerentscheide tangiert.
"Die Zahlen belegen, dass die aktuellen Ängste einzelner Kommunalpolitiker vor Bürgerentscheiden bei verfahrenseinleitenden Beschlüssen zur Bauleitplanung unbegründet sind. Diese Bürgerentscheide erfüllen sogar eine wichtige Funktion bei der Konfliktbefriedung", sagt Wunder.
Kritisch sieht der Verein Mehr Demokratie e.V. die weiterhin fehlende Rechtssicherheit bei der Formulierung des Kostendeckungsvorschlags bei Bürgerbegehren. "Die derzeitige Regelung stellt eine unnötige und unsinnige bürokratische Hürde dar, die sehr häufig zu rechtlichen Auseinandersetzungen führt. Sie heizt Konflikte zwischen den Beteiligten an, anstatt zu konstruktiven Lösungen beizutragen", so Wunder.
In elf Bundesländern wurde der Kostendeckungsvorschlag bei Bürgerbegehren bereits abgeschafft oder anders geregelt. Mehr Demokratie e.V. schlägt deshalb eine Regelung nach dem Vorbild von Rheinland-Pfalz vor, wo eine Kostenschätzung nicht beim Bürgerbegehren, sondern in der Informationsbroschüre zum Bürgerentscheid vorzulegen ist.
Weitere Reformvorschläge von Mehr Demokratie e.V. zielen auf eine qualitative Verbesserung der Verfahren. Damit sollen der Dialog und die Konfliktbefriedung in den Gemeinden in den Mittelpunkt gerückt werden.
Einige der Vorschläge im Überblick:
-
Änderung der Regelungen zum Kostendeckungsvorschlag nach dem Vorbild von Rheinland-Pfalz.
-
Einführung von Musterstimmzetteln für Bürgerentscheide in der Kommunalwahlordnung.
-
Einführung einer allgemeinen Auskunftspflicht für Gemeinden zu Bürgerbegehren oder Einführung der Möglichkeit einer Vorprüfung der Zulässigkeit von Bürgerbegehren durch die Gemeinde.
-
Verbesserte Regelungen für die Übernahme von Bürgerbegehren durch den Gemeinderat und um Kompromisse zu ermöglichen.
-
Verbindliche Durchführung einer Einwohnerversammlung vor dem Bürgerentscheid nach dem Vorbild der bereits verpflichtenden Informationsbroschüre.
Bei Rückfragen melden Sie sich gerne bei:
Christian König, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Mehr Demokratie e.V., Landesverband Baden-Württemberg
Rotebühlstraße 86/1, 70178 Stuttgart
Mobil: 0151-22017276, Tel: 0711-509 10 10
<link>christian.koenig@mehr-demokratie.de
<link http: www.mitentscheiden.de>www.mitentscheiden.de
Hintergrund
Am 1. Dezember 2015 trat die letzte Reform der Gemeindeordnung in Kraft. Sie senkte unter anderem die Hürden für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, um demokratische Mitsprachemöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern.
Mehr Demokratie e.V. ist ein bundesweit tätiger Fachverband für direktdemokratische Verfahren. In Kooperation mit der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Bergischen Universität Wuppertal erfasst Mehr Demokratie e.V. alle Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Deutschland und analysiert deren Auswirkung systematisch.