Mehr Demokratie e.V. veröffentlicht Evaluation der Gemeindeordnungsreform im Bürgerbegehrens-Bericht 2020

Ermöglichung von Bürgerbegehren in Landkreisen gefordert

Heute hat Mehr Demokratie e.V. eine Evaluation sämtlicher Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Baden-Württemberg seit der Gemeindeordnungsreform 2015 veröffentlicht. Sie ist Teil des „Bürgerbegehrens-Berichts 2020“. Mehr Demokratie e.V. betreibt die einzige Beratungsstelle für Bürgerbegehren und -entscheide in Baden-Württemberg und ist bei 84% aller Bürgerentscheide bzw. 71% aller Bürgerbegehren beratend involviert.

Das Ergebnis: „Trotz Verbesserungsbedarfs bei einigen Detailregelungen sind die direktdemokratischen Instrumente funktional und entsprechen dem Teilhabebedürfnis der Bürger“, erklärte der Landesvorsitzende von Mehr Demokratie e.V., Edgar Wunder. Die durchschnittliche jährliche Zahl der Bürgerentscheide stieg nach der Gemeindeordnungsreform von 14 auf 25. „Durch die Senkung des Quorums bei Bürgerentscheiden ist zudem der Anteil ungültiger Bürgerentscheide deutlich zurückgegangen“, erklärte Wunder.

Auch die Verlängerung der Einreichungsfrist für Bürgerbegehren, falls sie gegen Gemeinderatsbeschlüsse gerichtet sind, zeige einen positiven Effekt. Die Zahl der Bürgerbegehren wurde dadurch nicht erhöht, sehr wohl aber die Qualität der notwendigen Vorbereitungen. „Die Bürgerinitiativen nutzen die gewonnene Zeit für einen ernsthaften Dialog mit den Kommunalverwaltungen und eine sorgfältigere Ausarbeitung des Bürgerbegehrens“, so Wunder.

Die Evaluation zeigt auch: Bürgerentscheide zu Fragen der Bauleitplanung behindern den Wohnungsbau nicht. Nur in zwei Fällen pro Jahr werde dadurch ein geplantes Baugebiet abgelehnt, um dann in der Regel an einem anderen Standort realisiert zu werden.

Eine ständige Quelle fruchtlosen Rechtsstreits sei immer noch der sog. „Kostendeckungsvorschlag“ bei Bürgerbegehren. Er ist der häufigste Grund für die Unzulässigkeit von Bürgerbegehren. „Die baden-württembergische Regelung zum Kostendeckungsvorschlag funktioniert einfach nicht“ urteilt Wunder. „Sie erzeugt massive Zerwürfnisse in der kritischen Vorbereitungsphase eines Bürgerbegehrens, ohne die ihr zugedachte Funktion von Kostentransparenz tatsächlich zu erfüllen.“ Daran habe auch die 2015 eingeführte Auskunftspflicht der Gemeinden zum Kostendeckungsvorschlag nichts geändert. „Unsere Daten belegen, dass die Gemeinden durch die formalen Ansprüche an den Kostendeckungsvorschlag selbst überfordert sind und Antworten lange hinauszögern, was zu Lasten der Zeit für die Unterschriftensammlung eines Bürgerbegehrens geht. Letztlich ist der Kostendeckungsvorschlag bei Bürgerbegehren nicht mehr als ein gefährlicher Papiertiger, dessen Inhalt in der Regel aus Milchmädchenrechnungen besteht, sowohl von Seiten der Gemeinden als auch der Bürgerinitiativen.“ Abhilfe könne eine Übernahme der in Rheinland-Pfalz geltenden Regelung schaffen. Dort müssen die Kostenfolgen in der Informationsbroschüre zum Bürgerentscheid enthalten sein, nicht auf dem Unterschriftenformular des Bürgerbegehrens. Das erlaube eine sorgfältigere Befassung mit den Kostenfolgen ohne Zeitdruck und vermeide unnötigen Rechtsstreit um ohnehin unverbindliche Deckungsvorschläge.

Insgesamt zeigten die Ergebnisse der Evaluation: „Die Bevölkerung geht verantwortungsvoll mit direktdemokratischen Instrumenten um und sammelt dadurch positive Erfahrungen politischer Beteiligung. Es gibt daher gute Gründe, diese Verfahren auch in Baden-Württemberg auf Landkreisebene einzuführen, wie es in anderen Bundesländern schon der Fall ist“, so Wunder. Am 14. Oktober wird im Landtag über einen Gesetzentwurf der FDP-Fraktion abgestimmt, der eine Ermöglichung von Bürgerbegehren auch in Landkreisen vorsieht.

Der Bürgerbegehrens-Bericht von Mehr Demokratie e.V. wird alle zwei Jahre in Kooperation mit der Forschungsstelle für Bürgerbeteiligung an der Bergischen Universität Wuppertal und der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie an der Philipps-Universität Marburg veröffentlicht. Sie finden den vollständigen Bericht hier.