Nach vier Jahren Vertröstung: kleinmütige Reform des Bürgerentscheides

Unterschriftenaktion für Volksbegehren startet nach Bundestagswahl

Mit wenig Lob und viel Kritik kommentieren der Landesgeschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Baden-Württemberg (BUND), Michael Spielmann, und der Landesvorsitzende von Mehr Demokratie, Reinhard Hackl, die am Mittwoch von der CDU/FDP Mehrheit im Landtag beschlossene Reform des Bürgerentscheids. Das Lob bezieht sich darauf, dass man nach den vielen Vertröstungen in den vergangenen Jahren fast nicht mehr daran geglaubt habe, dass diese Regierung überhaupt die Kraft für eine Reform der Bürgermitsprache aufbringen würde. Die Kritik bezieht sich auf die weiterhin unzureichenden Regelungen: als drei wichtige Punkte nennen sie fehlende Bürgerentscheide über Bebauungspläne, keine Bürgerentscheide in Landkreisen und keine faire Information der Bürger vor der Abstimmung.

Das Fazit von Spielmann: "Die Hürden werden umgestellt, manche etwas niedriger, dafür kommen neue hinzu, von freier Bahn für Bürgerbeteiligung kann in Baden-Württemberg weiter keine Rede sein." Das Bündnis, in dem über 20 landesweite Organisationen zusammenarbeiten, will deshalb die Bürger für seinen eigenen Gesetzentwurf, der sich an den bayerischen Regelungen orientiert, gewinnen. Nach der Bundestagswahl soll mit der Unterschriftensammlung für den Zulassungsantrag für ein Volksbegehren begonnen werden. Für diesen ersten Schritt eines landesweiten Volksbegehrens benötigt man 10000 Unterschriften. 1995 hatte ein ähnliches Bündnis in Bayern kommunale Bürgerentscheide mit einem Volksentscheid gegen die dortige Mehrheitspartei durchgesetzt.

Die Regierungsmehrheit hat in dieser Woche beschlossen, mehr Themen für den Bürgerentscheid zuzulassen, die Frist von Bürgerbegehren gegen Gemeinderatsbeschlüsse von vier auf sechs Wochen zu verlängern und das Abstimmungsquorum von 30 auf 25 Prozent der Stimmberechtigen abzusenken. Das Bündnis zeigt in der Pressekonferenz die Schwachstellen und zum Teil kuriosen Folgen der unzureichenden Reform auf.

BUND-Geschäftsführer Spielmann kritisiert besonders, dass die Landesregierung das zentrale kommunale Thema, die Bebauungspläne, in Zukunft der Bürgermitsprache entzogen hat. Konnten in der Vergangenheit immerhin noch Gemeinderäte über die Änderung der Hauptsatzung Bürgerentscheide über Bebauungspläne herbeiführen, ist dies durch die schwarz-gelbe Gesetzesänderung nicht mehr möglich. Bürgerentscheide wie in Hausen (Landkreis Lörrach) über die Ausweisung eines Golfplatzes im Jahr 1998 oder über ein regionales Gewerbegebiet wie 2000 in Vöhringen (Landkreis Rottweil) würden so unmöglich gemacht. Welche Auswirkungen das hat, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass in den vergangen Jahren in Bayern knapp die Hälfte der Bürgerentscheide Bebauungspläne zum Gegenstand hatten. Spielmann sieht deshalb in der Neuregelung ein klares Signal gegen Bürgerbeteiligung und Ehrenamt, dem sich das Bündnis widersetzen werde. Folge der Neuregelung: "Mit der einen Hand gibt die Landesregierung den Bürgern etwas und nimmt ihnen mit der anderen Hand dafür etwas weg!"

Für Reinhard Hackl von Mehr Demokratie ist es besonders ärgerlich, dass in Zukunft die Bürger noch deutlicher in eine Zweiklassengesellschaft gespalten werden. Während Bürger in Großstädten in Zukunft über Themen wie Abfallbeseitigung, Krankenhausprivatisierung oder Nahverkehr abstimmen dürfen, ist dies für die Mehrheit der Baden-Württemberger, die in Landkreisen wohnen, nicht möglich. Dort sind für diese Aufgaben die Landkreise zuständig, in denen direkte Bürgerbeteiligung nicht vorgesehen ist. Die CDU/FDP Koalition im Land weigert sich hartnäckig, den Bürgern dort die gleichen Rechte zu geben. Und dies, obwohl diese Mitsprache in anderen Ländern wie etwa Bayern, Sachsen, Rheinland-Pfalz und Hessen schon viele Jahre praktiziert wird. Die Bürger in Pforzheim werden in Zukunft über die Privatisierung ihrer Buslinien genauso abstimmen können, wie die Stuttgarter über eine mögliche Krankenhausprivatisierung, nicht aber die Bürger im Enzkreis oder in den Kreisen von Böblingen, Calw, Esslingen oder Ludwigsburg, nennt Hackl Beispiele.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die fehlende Regelung über ausgewogene Information bei Bürgerentscheiden. So fanden in der Vergangenheit immer wieder Bürgerentscheide statt, wie etwa 2002 in Karlsruhe über den Stadtbahntunnel oder jüngst (2005) in Waiblingen über den Verkauf eines städtischen Areals, bei dem die Bürger nur einseitig mit Steuergeldern über die Position der Verwaltung unterrichtet wurden. Den Bürgergruppen, die eine andere Meinung vertraten, wurde in den städtischen Publikationen dagegen kein Raum gegeben, ihre Argumentation darzustellen. Ein Unding, wie Hackl findet, "denn ohne faire Information fehlen dem Bürger die Grundlagen für seine Entscheidung!" In Bayern muss dagegen die Stadtverwaltung auch den Bürgergruppen ihre Medien öffnen, wenn sie selbst für ihre Meinung wirbt. Eine solche Fairnessklausel strebt das Bündnis auch fürs Ländle an.

Neben diesen Mängeln hält das Bündnis auch beim Abstimmungsquorum Nachbesserungen für unumgänglich. Statt der jetzt beschlossenen 25 Prozent, schlägt es je nach Gemeindegröße 10 bis 20 Prozent vor. Im Gegensatz zu Wahlen sind in Baden-Württemberg nämlich Abstimmungen nur gültig, wenn eine der beiden Seiten mehr als 25 Prozent der Stimmberechtigten hinter sich vereinigt. Wer zu Hause bleibt, stimmt so automatisch für die Position der Mehrheit des Gemeinderates. Dies führt in der Praxis dazu, dass eine Minderheit der Bürger ihre Meinung über den Gemeinderat durchsetzen kann. So fand beispielsweise die Kongresshalle in Konstanz 2003 bei einem Bürgerentscheid nur die Zustimmung von 10 000 Bürgern, 12000 lehnten sie ab. Da die 12000 Konstanzer Bürger aber "nur" ca. 21 Prozent der stimmberechtigten Bürger darstellten, wurde das Bürgervotum ignoriert und die Mehrheit des Gemeinderates konnte den Willen der unterlegenen 10000 Bürger durchsetzen. Dies wird in Zukunft in vielen Fällen leider auch noch so sein, bedauert Hackl.

Auch nach der Ablehnung des Bündnisgesetzentwurfes im Landtag, den SPD und Grüne dort gemeinsam eingebracht hatten, wollen die Bündnisorganisationen nicht locker lassen. Mit ihrer Unterschriftenaktion für ein landesweites Volksbegehren wollen sie das Thema Bürgermitsprache in den Landtagswahlkampf tragen. Die Parteien sollen klar bekennen, wie mündig sie den Bürger halten. Sie sollen sagen, wer für die "Mitmachdemokratie" und wer für die "Zuschauerdemokratie" steht.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Spielmann (BUND) Reinhard Hackl (Mehr Demokratie)