Mit großer Sorge beobachtet Mehr Demokratie in den letzten Monaten die Entwicklung, dass Stadt- und Gemeindeverwaltungen nach der Einreichung von Bürgerbegehren mit Hilfe von Anwaltskanzleien angestrengt nach Begründungen suchen, wie ein solcher Antrag auf Bürgerentscheid als angeblich „rechtlich unzulässig“ zurückgewiesen werden kann. Wie Stuttgart, Fellbach, Heidelberg und Salem beauftragte nun auch die Stadt Nürtingen nach der Unterschriftenübergabe eine Anwaltskanzlei mit der Prüfung des Begehrens.
Der Fachverband Mehr Demokratie wandte sich deswegen heute an den Oberbürgermeister in einem Offen Brief mit der Bitte die Auseinandersetzung um die Ansiedlung der Firma Boss im Großen Forst offen und demokratisch zu führen und nicht mit juristischen Winkelzügen.
Landesvorstandssprecher Reinhard Hackl betonte in dem Brief: „Eine bürgerfreundliche Kommune würde stattdessen sowohl das Gesetz als auch das Begehren im Rahmen stets vorhandener Interpretationsspielräume so auslegen, dass es zulässig ist. Es ginge dabei gerade um die Möglichkeit des Souveräns, mitentscheiden zu können. Der Oberbürgermeister solle ein Wahrer und nicht ein Verhinderer dieses Bürgerrechts sein.“
Selbst wenn, was nach der Meinung von Reinhard Hackl hier nicht der Fall sei, rechtliche Bedenken berechtigt wären, hätte der Gemeinderat die Möglichkeit, mit 2/3-Mehrheit einen Bürgerentscheid anzuberaumen, wie es immerhin über 3200 Bürger wünschen. Damit würde die Stadt schnell eine Entscheidung herbeiführen, was sowohl für die Kommune als auch für das Unternehmen von Vorteil wäre. So entschied sich z.B. die Stadt Heidelberg beim Bürgerbegehren zum Verkauf von städtischen Wohnungen und setzte für den 13. Juli einen Bürgerentscheid an.
Seit über 50 Jahren wird die repräsentative Demokratie in Baden-Württemberg durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid ergänzt. Der Oberbürgermeister sei der Wahrer und nicht ein Verhinderer dieses Bürgerrechts. Der Fachverband Mehr Demokratie e.V. will durch Beratung dazu beitragen, dass das Instrumentarium Bürgerbegehren und –entscheid als Bereicherung lokaler Demokratie erlebt wird. Seit über 10 Jahren unterstütze er Initiativen und teilweise auch Verwaltungen beim Umgang mit dem in der Gemeindeordnung seit 1956 verankerten und gerade erst vor zwei Jahren von der Landesregierung mit dem Ziel erweiterte Bürgerbeteiligung zu ermöglichen reformierten Verfahren.