Verpasste Chance bei Reform des Kommunalwahlrechts

Vorschläge zur Erhöhung der Wahlbeteiligung und Stärkung der Legitimation von Bürgermeister wurden nicht aufgenommen

Zum heute in erster Lesung debattierten Gesetzentwurf zur Reform des Kommunalwahlrechts kommentiert Sarah Händel, Landesgeschäftsführerin von Mehr Demokratie e.V.: “Wir bedauern, dass konstruktive Vorschläge unserseits bei der Reform des Kommunalwahlrechts nicht übernommen wurden“. Der Verein Mehr Demokratie habe beispielsweise eine Regelung vorgeschlagen, die es einzelne Gemeinden erlaubt hätte, die integrierte Stichwahl bei der Bürgermeisterwahl zu testen. Dadurch könnten die Kosten für einen zweiten Wahlgang gespart und eine hohe Legitimation der gewählten Bürgermeister gewährleistet werden.

Bei der in englischsprachigen Ländern weit verbreiteten integrierten Stichwahl, werden bei der Bürgermeisterwahl die Kandidatinnen und Kandidaten nach Präferenz durchnummeriert. Mittels eines einfachen Auszählsystems kann dann ermittelt werden, welcher Kandidat oder welche Kandidatin den größten Rückhalt in der Bevölkerung hat.
Der Verein hatte außerdem die automatische Verschickung von Briefwahlunterlagen vorgeschlagen, um die Beteiligung bei Wahlen und Abstimmungen zu erhöhen. Während der Pandemie konnte dadurch bei der Konstanzer Oberbürgermeisterwahl die Beteiligung um 14 Prozent erhöht werden. „Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzentwurf eine automatische Verschickung nur auf Notfalllagen begrenzt, wenn dadurch maßgeblich mehr Menschen an der Wahl teilnehmen,“ kritisiert Händel.

Mehr Demokratie e.V. plädiert zudem dafür, die bisher festgelegte Obergrenzen für die Wählbarkeit (unter 68) und die Ruhestandsaltersgrenze (73) bei der Bürgermeisterwahl beizubehalten. „Da es in Baden-Württemberg keine Möglichkeit zur Abwahl von Bürgermeistern während der sehr langen achtjährigen Amtszeit gibt, ist die Gefahr einer fortschreitenden Vergreisung zu hoch“, mahnt Händel. Sie plädiert stattdessen dafür, das Amt des Bürgermeisters zu modernisieren und für Frauen (derzeit nur 8,7 Prozent) und jüngere Menschen attraktiver zu gestalten.

Hintergrund: So funktioniert die integrierte Stichwahl

Stehen vier Kandidaten zur Wahl kann der Wähler die Kandidaten anhand seiner Präferenz durchnummerieren: 1. Wahl, 2. Wahl, 3. Wahl 4. Wahl – es muss nicht an jeden Kandidaten eine Präferenz vergeben werden. Bei der Auszählung werden zunächst alle Erstpräferenzen ausgewertet. Der Kandidat mit den wenigsten Stimmen scheidet aus. Seine Stimmen werden nun anhand der dort angegebenen Zweitpräferenz an die übrig gebliebenen Kandidaten weitergegeben. Dieses Verfahren wird wiederholt, bis ein Kandidat 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen kann.

Studie zu positiven Effekten der automatischen Briefwahlunterlagen auf die Beteiligung: https://www.sueddeutsche.de/bayern/briefwahl-bayern-kommunen-beteiligung-1.5688510