„Wir haben einfach losgelegt“

In der Region Freiburg hat am 17. Mai 2022 der erste interkommunale Klima-Bürgerrat Deutschlands begonnen. Das Thema: “100 % Erneuerbare Energien”. Im Interview berichtet Kira Hoffmann als eine der Initiatorinnen, wie alles angefangen hat.

Frage: Am 17. Mai ist der Klima-Bürger:innenrat in der Region Freiburg gestartet. An fünf Terminen von Mai bis Juli 2022 werden insgesamt 91 zufällig geloste Bürgerinnen und Bürger aus der Region zusammenkommen. Sie werden Empfehlungen an die Politik dazu erarbeiten, wie die Stadt Freiburg, sowie Gemeinden in den Landkreisen Emmendingen und Breisgau-Hochschwarzwald zu einer 100%-Erneuerbare-Energien-Region werden können. Fangen wir von vorn an. Was hat euch dazu bewegt, dieses Projekt in die Wege zu leiten? Warum ein Klima-Bürgerrat?

Kira Hoffmann: Zunächst vielleicht zum Format des Bürgerrates: Uns hat von vornherein begeistert, dass hier alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen eine Chance bekommen, sich politisch einzubringen. Bei den meisten Bürgerbeteiligungsverfahren nimmt nur ein bestimmter Ausschnitt der Gesellschaft teil - meist jene mit mehr zeitlichen Ressourcen und einem bestimmten Bildungsniveau. Es heißt dann “DIE Bürger wurden in einen Entscheidungsprozess einbezogen“ und DIE Bürger wünschen sich dieses und jenes”. Aber es sind eben nicht “DIE” Bürger, sondern nur eine bestimmte Gruppe, die gehört wird.

Das geschichtete Losverfahren als eines der zentralen Elemente eines Bürgerrates zielt darauf ab, am Ende die Zusammensetzung der Gesellschaft möglichst gut abzubilden. Die ausgelosten Bürger werden, gestaffelt nach den Merkmalen Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund und Bildungsstand, an die jeweils aktuelle Einwohnerverteilung in der Region angeglichen. Auf diese Weise entsteht in unserem Fall eine Art „Region Freiburg in Klein“.

Teilnehmer erarbeiten Empfehlungen

Die Teilnehmer erarbeiten dann in einem moderierten Prozess gemeinsam konkrete Empfehlungen zu einer vorab festgelegten Fragestellung. Zudem werden sie von Expertinnen und Experten umfassend informiert. So sitzen im Bürgerrat Schüler neben Rentnern, nach Deutschland Zugewanderte neben in der Region schon lange verwurzelten Menschen. Die Professorin spricht mit dem Landwirt, der Azubi mit der Schneidermeisterin. Die Teilnehmenden bekommen zudem eine Aufwandsentschädigung. Denn nicht alle können sich politische Teilnahme leisten, weder zeitlich noch finanziell.

Dass die Gesellschaft im Bürgerrat möglichst gut abgebildet wird ist natürlich erst einmal das große Ziel. Ich denke, wir müssen es “möglichst gut” nennen, denn man wird nie eine hundertprozentige Repräsentativität herstellen können. Aber allein der Versuch zählt. Allein, dass Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen an einen Tisch kommen und diskutieren, ist wichtig. Menschen, die sich sonst vielleicht nie begegnen würden, treffen aufeinander. Auch “politikferne” Menschen sollen einbezogen werden.

Innovative Lösungen finden“

Die Diversität der Teilnehmer hilft dabei, innovative und gemeinwohlorientierte Lösungen für komplexe und drängende Probleme zu finden. So kann die Politik besonders bei schwierigen Entscheidungen unterstützt werden. - Ein ideales Werkzeug also, um das Megathema Klimawandel konkret anzugehen! Klimaschutz geht alle etwas an. So sollten Empfehlungen von allen für alle erarbeitet werden. Darauf wirkt der Bürgerrat hin.

Frage: Nun sitzen ja im Klima-Bürger:innenrat nicht nur die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt, sondern gleich aus 16 Gemeinden. Was hat es damit auf sich? Warum gleich so viele?

Hoffmann: Umweltprobleme machen nicht an Gemeindegrenzen halt. Oft werden sie aber so behandelt. Diese Erkenntnis erhielten wir durch Dr. Christian Ante, den Bürgermeister der Freiburger Umlandgemeinde Merzhausen, der fast von Beginn an in unserer Initiative dabei war.

Da er sich am besten mit den politischen Strukturen auf Gemeindeebene auskennt, hat er uns nahegelegt, dass Klimaschutz dringend Lösungsansätze in interkommunaler Zusammenarbeit benötigt. So ist die Stadt Freiburg zwar die wichtigste Kommune in der Region, aber in vielen Fragen der Daseinsvorsorge ist Freiburg auf die Zusammenarbeit mit dem Umland angewiesen.

Für mehr Klimaschutz regional zusammenarbeiten“

Die Region Freiburg ist dabei bereits ein politischer Zusammenschluss der Stadt Freiburg mit den Gemeinden der Landkreise Breisgau-Hochschwarzwald und Emmendingen. In diesem Gebiet wird zum Beispiel der öffentliche Nahverkehr organisiert. Für mehr Klimaschutz müssen wir regional zusammenarbeiten.

Mit dem Klima-Bürger:innenrat für die Region Freiburg sollen regionale Entscheidungen getroffen werden, die von einem Querschnitt der Bevölkerung mitgetragen werden. Es kommen Menschen zusammen, die dazu befähigt werden, in einem gemeinsamen Austausch Lösungen für die Klimakrise zu entwickeln - ganz nach dem Motto: global denken, lokal handeln. Am Ende gibt der Bürgerrat konkrete Empfehlungen an die Politiker, die diese in ihren Entscheidungen unterstützen können.

Frage: Woher wusstet ihr denn, wie genau ihr den Klima-Bürger:innenrat initiieren wollt? Wie fängt man da an?

Hoffmann: Von wissen kann, denke ich, keine Rede sein. Es gibt kein festes Vorgehen, wie so ein Bürgerrat etabliert werden kann, sodass wir immer einen Schritt nach dem anderen gemacht haben. Auch der Bürgerrat selbst ist ja ein lernendes System. Ich würde sagen, dasselbe gilt auch für die Hinwirkung auf den Bürgerrat. Wir haben einfach losgelegt und Chancen ergriffen, wenn sie sich auftaten.

Als die ersten Mitglieder der Initiative sich im November 2019 zusammengefunden haben, wurde zunächst lange überlegt, wie wir das angehen können, um hier vor Ort einen Bürgerrat ins Leben zu rufen. Es ist verrückt, wenn man bedenkt, dass wir am Anfang eine Handvoll Leute waren und jetzt mehr als hundert Menschen in den Klima-Bürger:innenrat involviert sind. Und es werden immer mehr. Dieses Gefühl ist nicht in Worte zu fassen.

Gespräche in Freiburg 

Das erste reguläre Protokoll unserer Initiative ist vom 2. April 2020, also kurz nach dem ersten Corona-Lockdown. Seither treffen wir uns fast jede Woche per Videokonferenz. Gegründet wurde die Initiative von Dr. Gabriele Michel, eine Freiburger Publizistin, die sich schon seit mehreren Jahren für den Klimaschutz engagiert.

2020 fanden dann nach und nach Gespräche mit den Freiburger Grünen statt. Dann auch mit dem Leiter des Freiburger Umweltschutzamtes. Ich kam Ende 2020 dazu. Wir haben überlegt, wie wir unser Anliegen bekannter machen könnten und haben unsere Initiative im Dezember 2020 in einer Veranstaltung des BUND vorgestellt. Daraufhin haben wir für Februar 2021 eine digitale offene Versammlung organisiert, in der wir zum einen den Bürgerrat als Format vorgestellt und anschließend in Kleingruppen dazu diskutiert haben, wie so ein Bürgerrat für die Region aussehen könnte und welche Chancen und Herausforderungen das Format mit sich bringt.

Offene Versammlung ein wichtiger Meilenstein“

Zu der Veranstaltung haben wir Lokalpolitiker sowie Klimaschutz-Initiativen der Region eingeladen. Insgesamt nahmen daran mehr als 70 Menschen teil. Dr. von Zahn, der Leiter des Umweltschutzamtes war auch dabei. Ich würde sagen, dass die offene Versammlung ein wichtiger Meilenstein war, denn danach ging es richtig rund.

Es fand ein Gespräch mit Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn und einem Mitstreiter unserer Initiative, Bürgermeister Dr. Christian Ante, statt. Im Juni durften wir unsere Idee auf der Verbandsversammlung der Region Freiburg vorstellen. Darin waren u.a. die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus der Region dabei. Im Sommer 2021 fanden außerdem viele Vernetzungstreffen statt, sowohl mit anderen Demokratie- und Klimaschutzinitiativen als auch zur Suche nach Fördermitteln.

Hilfe von Mehr Demokratie 

Was uns auch sehr weitergeholfen hat, waren verschiedene Online-Veranstaltungen von Mehr Demokratie. So haben wir von anderen Bürgerrat-Beispielen auf lokaler und Bundesebene gelernt und erfahren, wie man das Losverfahren am besten angeht. Auch die richtige Ansprache von Politikern wurde in diesen Veranstaltungen thematisiert. Das war besonders hilfreich.

Im Herbst und Winter 2021/2022 haben wir uns zu den Gemeinderäten der Landkreise Emmendingen und Breisgau-Hochschwarzwald aufgemacht und dort die Idee des interkommunalen Klima-Bürger:innenrates präsentiert. Nicht alle Gemeinden haben uns eingeladen, aber die Mehrheit derer, die mit uns ins Gespräche kamen, stimmte schließlich für eine Teilnahme am Bürgerrat. Das hat uns natürlich sehr gefreut und ich würde sagen, dass wir durch die Gemeinderatsbesuche selbst einiges dazulernen durften.

4.000 Bürger eingeladen

Dann fanden ein paar Gespräche mit dem Freiburger Umweltschutzamt und den Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Gemeinden, die für die Teilnahme gestimmt hatten, statt. Gemeinsam haben wir einen ersten Terminplan für den Klima-Bürger:innenrat erarbeitet, den Beirat als begleitendes Expertengremium bestellt sowie einen Aufsichtsrat als überwachendes Gremium des Bürgerrates zusammengestellt. Dann wurde im Februar eine Ausschreibung veröffentlicht, um ein geeignetes durchführendes Beteiligungsunternehmen zu finden. Den Zuschlag erhielt die “Allianz für werteorientierte Demokratie” (AllWeDo).

Nach der Konzeptionierung des Klima-Bürger:innenrates im ersten Drittel des Jahres 2022 wurden im April dann von AllWeDo e.V. mehr als 4.000 Menschen aus der Region Freiburg angeschrieben und zur Teilnahme am Bürgerrat eingeladen. Aus den Rückmeldungen wurden rund 90 Menschen für den Bürgerrat so ausgewählt, dass diese die Bevölkerung möglichst repräsentativ abbilden (nach Alter, Geschlecht, Bildungs- und Migrationshintergrund). Am 17. Mai sind diese Menschen dann das erste Mal aufeinander getroffen und am 21. Mai fanden dann bereits die ersten Experten-Vorträge und Kleingruppenphasen statt.

Frage: Wie geht es jetzt weiter? Was sind die nächsten Schritte?

Hoffmann: Der Klima-Bürger:innenrat trifft sich insgesamt fünfmal. Die nächsten Sitzungen finden am 25. Juni, am 9. und 23. Juli statt. Nach der Sommerpause werden die Teilnehmer die Empfehlungen dann direkt an die Politik übergeben. Und dann geht es ja erst richtig los, wenn man so will.

Die Politiker beziehen Stellung zu den Empfehlungen, begründen, weshalb sie manche umsetzen und andere nicht. Wichtig ist, dass dies transparent gemacht wird. Die Teilnehmenden des Bürgerrates haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie mit ihren Empfehlungen verfahren wird.

Bürger:innenrat-Gespräche geplant

Damit auch möglichst viele Empfehlungen umgesetzt werden ist es wichtig, frühestmöglich Diskussionen innerhalb der teilnehmenden Gemeinden anzustoßen. So planen wir von der Initiative aktuell die Durchführung sogenannter “Bürger:innenrat-Gespräche”. Diese sollen ab August stattfinden. Dafür wollen wir nochmals in die teilnehmenden Gemeinden gehen und mit den Bürgern und Politikern vor Ort sowohl über das Format Bürgerrat sprechen als auch zu den Empfehlungen ins Gespräch kommen.

Die Empfehlungen des ersten interkommunalen Klima-Bürgerrates sollen keinesfalls in irgendeiner Schublade liegen bleiben, sondern die Klimapolitik der Region Freiburg dabei unterstützen, so schnell und gerecht wie möglich das Ziel eine “100% Erneuerbare-Energien-Region” zu erreichen.

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