Viel los in Sachen Demokratie – das war unser Jahr 2019

Eine Verfassungsklage für wirksame direkte Demokratie, das erste Volksbegehren der Landesgeschichte und natürlich viele Bürgerbegehren bestimmten das Jahr 2019.

Das Jahr begann gleich mit einem kleinen Paukenschlag: Am 7. Januar startete die SPD Baden-Württemberg die Unterschriftensammlung für einen Antrag auf Volksbegehren zu gebührenfreien Kitas. Das erste Volksbegehren des Landesgeschichte lag in der Luft und damit auch der Lackmustest für die neuen Regelungen, die 2015 in Kraft traten. Mehr Demokratie beriet die Initiatoren als Fachverband und begleitet bis heute das Verfahren von außen.

Doch das Innenministerium stoppte die Aufbruchstimmung jäh. Nachdem am 12. Februar 7.000 mehr als die erforderlichen 10.000 Unterschriften eingereicht wurden, erklärte es den Zulassungsantrag am 4. März für unzulässig. Somit rückte die Chance auf das erste Volksbegehren Baden-Württembergs wieder in weite Ferne. Eine der vier Gründe: Die finanziellen Auswirkungen des Volksbegehrens seien zu hoch und ein Risikio für den Staatshaushalt. Die Vertrauensperson klagen dagegegen.

Mehr Demokratie unterstützt die Klage mit dem Aufruf „Volksentscheid vor Gericht“, denn: Die Bürgerinnen und Bürger sollen auch über Themen entscheiden dürfen, die Geld kosten. Nur dann ergeben Abstimmungen auch Sinn. Aus diesem Grund waren wir auch dabei, als am 18. März Klage beim Verfassungsgerichtshof eingereicht wurde. Wie es weiter geht, wissen wir auch bald. Anfang 2020 soll die mündliche Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof stattfinden. Dass die Initiatoren eines Volksbegehrens eine dann einjährige Hängepartie mitmachen müssen, ob sie mit Unterschriftensammlung starten können, ist eine Zumutung!

Ein neuer Vorstand, Bürgerentscheide im Landtag und „Ein Europa für alle“

Nach dieser turbulenten Zeit fand am 30. März unsere Landesmitgliederversammlung statt. Dabei wurde nach zwei Jahren ein neuer Landesvorstand gewählt. Auf der Mitgliederversammlung referierten u.a. Prof. Volker Haug über den Begriff Partizipationsrecht und Jan Velimsky über soziale Selektivität bei Bürgerentscheiden im Vergleich zu Wahlen.

Am 8. Mai reichte die FDP/DVP-Fraktion einen Gesetzentwurf für direkte Demokratie auf Landkreisebene ein. Diese Forderung, die in weiten Teilen unserem Volksantrag aus dem Jahr 2018 entspricht, unterstützte Mehr Demokratie mit dem Aufruf zu einer Briefaktion an die Landtagsabgeordneten. Nachdem der Gesetzentwurf von allen Fraktionen begrüßt wurde, verschwand er nun bis auf Weiteres im Ausschuss für Inneres, Digitalisierung und Migration.

Ein weiteres Highlight war die Großdemo „Ein Europa für Alle“ am 19. Mai, die wir zusammen mit dem Trägerkreis in Stuttgart organisiert haben. Dabei hielt unsere Landesgeschäftsführerin und Bundesvorstandsmitglied Sarah Händel vor 12.000 Menschen die Eröffnungsrede und warb für eine neue, demokratischere Idee von Europa mit europaweiten Volksentscheiden.

Das erste Volksbegehren in Baden-Württemberg: „Rettet die Bienen“

Schneller als erwartet wurde es dann doch noch etwas mit dem ersten Volksbegehren für Baden-Württemberg. Nachdem im Februar in Bayern innerhalb von zwei Wochen mehr als 1,7 Millionen Menschen für das dortige Volksbegehren Artenvielfalt unterschrieben, sprang der Funke auch nach Baden-Württemberg über. Am 19. Mai startete die Sammlung für das Volksbegehren Artenschutz, auch bekannt als „Rettet die Bienen“.

Und es war schnell erfolgreich: mit 35.865 Unterschriften reichten die Initiatoren des Volksbegehrens Artenschutz am 26. Juli den Zulassungsantrag beim Innenministerium ein. Dieses Mal hatte das Innenministerium keinen Grund, die Zulässigkeit zu verweigern. Am 24. September startete die Sammlung für das erste Volksbegehren in Baden-Württemberg, nach 45 Jahren Anlaufzeit. Damit war Baden-Württemberg Schlusslicht. Das heißt auch: in jedem deutschen Bundesland gab es jetzt mindestens ein Volksbegehren. Dafür haben wir als Verein lange hingearbeitet und den Weg mitgeebnet.

Es zeigte sich schnell, dass das Thema einen Nerv traf. Hitzige Debatten wurden geführt. Am 2. Oktober kündigten Bauernverbände aus Baden-Württemberg einen konkurrierenden Volksantrag „Gemeinsam unsere Umwelt schützen“ an. „Baden-Württemberg entdeckt die direkte Demokratie für sich“ schrieben wir dazu in einer Pressemitteilung. Es dauerte nicht lange bis die Landesregierung am 15. Oktober ein Eckpunktepapier als Kompromissangebot vorlegte.

Der Trägerkreis des Volksbegehrens nahm das Gesprächsangebot umgehend an. Infolgedessen legten die Initiatoren des Volksbegehrens ihre Mobilisierung auf Eis, mit der Forderung, dass sich alle Fraktionen und landwirtschaftlichen Verbände bis Mitte Dezember zum Eckpunktepapier der Landesregierung bekennen. Nach mehreren Verhandlungsrunden einigten sich die Akteure auf einen Kompromiss. Es zeigt sich: direkte Demokratie ist der Motor für neue Ideen! Ohne das Volksbegehren wäre dieses Thema nicht auf der politischen Tagesordnung gelandet. Dass solche Reformen angestoßen werden, geht nur mit direkter Demokratie. Das setzt ein Zeichen für die Zivilgesellschaft im Land: Das nächste Volksbegehren in Baden-Württemberg wird mit Sicherheit nicht wieder 45 Jahre auf sich warten lassen.

Direkte Demokratie auf kommunaler Ebene

Auch in den Kommunen, also bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, war 2019 wieder viel in Bewegung. 21 Bürgerentscheide sind eine leichte Verschlechterung zum Vorjahr, aber sie bestätigen das konstante Plus seit den Reformen der Gemeindeordnung im Jahr 2015. Ins Auge fällt dabei, dass es in diesem Jahr in vier Großstädten – Stuttgart, Freiburg, Heidelberg, Pforzheim – und der größten Mittelstadt, Esslingen, Bürgerbegehren bzw. Bürgerentscheide gab.

Als Landesverband von Mehr Demokratie haben wir viel Erfahrung in der Beratung bei Bürgerbegehren und -entscheiden und geben diese an Initiativen und Gemeinden weiter: allein dieses Jahr waren wir in mehr als 70 Fällen involviert. Um Bürgerinitiativen und Kommunalpolitik zu informieren und zu vernetzen, veranstalteten wir am 9. November den zweiten Praxisworkshop „Bürgerbegehren & Bürgerentscheid“ in Esslingen. Unser Landesvorstandssprecher Dr. Edgar Wunder führte durch die Veranstaltung, in der durch die Vorstellung vieler Fallbeispiele konkrete Fragen geklärt werden konnten.

Zum Informations- und Beratungsangebot gehörte in diesem Jahr auch die Sommertour des Landesverbands. Im September machte wir in knapp vier Wochen Station in Gemeinden, die 2019 einen Bürgerentscheid hinter oder vor sich hatten. Dazu zählten Eberbach, Neckarsulm, Heidelberg, Stuttgart, Tübingen, Titisee, Lörrach und Laichingen. Am Ende der Tour sprach unser Mitarbeiter Christian König vor ca. 20.000 Menschen bei den Klimaprotesten in Stuttgart am 20.9. und warb für direktdemokratische Instrumente als Chance, sich konstruktiv und verbindlich in die Politik einzumischen.

Und 2020?

Nun ist es Dezember und wir schauen auf ein ereignisreiches Jahr zurück. Es ist viel passiert: Zwei Zulassungsanträge auf Volksbegehren wurden gestellt, wobei einer angenommen wurde und zu Baden-Württembergs ersten Volksbegehren führte. Wir unterstützen die Klage gegen die Unzulässigkeit des Kita-Volksbegehrens. Unsere Forderung nach mehr Mitbestimmung auf Landkreisebene haben es mit Hilfe der FDP in den Landtag geschafft. Dennoch ist noch vieles offen. Der Erfolg unserer Klage vorm Verfassungsgerichtshof und wie es mit dem Gesetzentwurf der FDP weitergeht, wird sich erst im nächsten Jahr zeigen. Wir sind gespannt, was das neue Jahr bringt.