Bilanz der Bürgerentscheide 2011

Mehr Demokratie e.V. legt Reformpaket für Baden-Württemberg vor

Im Jahr 2011 kam es in den 1100 Gemeinden Baden-Württembergs insgesamt nur zu 15 direktdemokratischen Beteiligungsverfahren (2010: 23 Verfahren). Zudem scheiterte davon auch noch ein Drittel an unnötigen Hürden der Gemeindeordnung. In Bayern finden durchschnittlich fünf Mal so viele Beteiligungsverfahren statt, die fast alle gültig sind. „Diese Zahlen machen den großen Reformbedarf in Baden-Württemberg deutlich“, erklärte Reinhard Hackl für den Landesvorstand von Mehr Demokratie e.V.

Um notwendige Reformen der Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg zu konkretisieren, legte der Landesverband darüber hinaus bei einer Pressekonferenz am 21. Mai drei Gesetzentwürfe als Vorschläge für die Regierung vor: Sie soll Bürgerbegehren und Bürgerentscheide erleichtern, Anträge der Einwohner an den Gemeinderat ermöglichen und auch ein verbindliches Antragsrecht auf Durchführung eines Bürgerbeteiligungsverfahrens etablieren.

 

Bürgerentscheidsbilanz 2011

2011 wurden in Baden-Württemberg 13 Bürgerbegehren von den Bürgerinnen und Bürgern initiiert, von denen es aber nur sieben bis zur Stufe des Bürgerentscheides schafften. Zumindest war keiner davon durch das formale Zustimmungsquorum ungültig, was 2010 bei zwei von zehn Bürgerentscheiden eintrat. Nur zwei Mal ergriffen Gemeinderäte die Initiative zu einem Bürgerentscheid. Im Vorjahr 2010 waren es noch 22 Bürgerbegehren und ein von einem Gemeinderat eingeleiteter Bürgerentscheid. Über zwei Bürgerbegehren aus dem Jahr 2011 wurde bisher noch nicht entschieden.

Von den 13 Bürgerbegehren wurden 4 aus formalen Gründen für unzulässig erklärt:

- Stuttgart: „Energie & Wasser Stuttgart“ und „Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21“,

- Schlat (Lkr. Göppingen): Gegen die Umgehungsstraße Nordspange

- Tübingen: Kein Bau der Treppe von der Mühlstraße zum Schulberg

Neben dem Ausschluss des Sachgebiets „Bauleitplanung“ verhindern vor allem die 6-Wochen-Frist bei der Einreichung eines Bürgerbegehrens sowie der bürokratische Kostendeckungsvorschlag viele Bürgerbegehren. „Zum Zeitpunkt des Beginns eines Bürgerbegehrens sind die Kostenfolgen oft noch gar nicht abzuschätzen“, argumentiert Hackl. Von den Bürgerinnen und Bürgern könne nicht erwartet werden, dass sie alle relevanten Haushaltsdaten einer Gemeinde kennen. Deshalb sei der Kostendeckungsvorschlag als Zulässigkeitsvoraussetzung für einen bloßen Antrag eine unnötige bürokratische Schranke. Auch die 6-Wochen-Frist sei nicht praktikabel. „Meist wird erst Monate nach dem ersten Gemeinderatsbeschluss erkennbar, wie ein Projekt konkret geplant ist, dann ist die Frist schon überschritten und kein Bürgerbegehren mehr möglich“, so Hackl.

„Die Bürgerentscheidsbilanz 2011 macht deutlich, wie wichtig die Reformpläne der Landesregierung für mehr direkte Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg sind“, betonte Hackl. „Es ist notwendig, die Hürden für Bürgerbegehren abzusenken und die unnötigen Einschränkungen aufzuheben, damit die weiterhin hohe Ablehnungsquote nicht zur Entmutigung der Bürgerinnen und Bürger führt“.

 

Gesetzentwürfe von Mehr Demokratie e.V.

Als Fachverband für direkte Demokratie hat Mehr Demokratie e.V. konkrete Reformvorschläge für die Gemeindeordnung erarbeitet, um Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu erleichtern. Nach dem Vorbild von Bayern soll die 6-Wochen-Frist gestrichen werden, der Kostendeckungsvorschlag als Zulässigkeitsvoraussetzung entfallen und Bürgerentscheide auch zu Fragen der Bauleitplanung zulässig werden.

Außerdem sollen die Zustimmungsquoren beim Bürgerentscheid abgesenkt oder gänzlich gestrichen werden.

Auch neue Instrumente der Bürgerbeteiligung bringt Mehr Demokratie e.V. mit einem Gesetzentwurf in die Diskussion ein: So sollen die Einwohner einer Gemeinde durch einen „Mitspracheantrag“, der von zwei Prozent aller Einwohner unterschrieben sein muss, verbindlich ein Bürgerbeteiligungsverfahren ihrer Wahl herbeiführen können. Die Gemeinden sollen in ihren Satzungen selbst regeln können, welche konkreten Bürgerbeteiligungsverfahren sie den in der Gemeinde lebenden Menschen zur Beantragung anbieten möchten. Die Einwohnerversammlung als Dialog- und Integrationsinstrument soll im Sinne verstärkter Rede-, Abstimmungs- und Gestaltungsrechte der Einwohner reformiert und ein Mal im Jahr verpflichtend durchgeführt werden. Mit einem „Einwohnerantrag“ sollen Einwohner ab dem 14. Lebensjahr den Gemeinderat beauftragen können, sich mit einem bestimmten Thema zumindest zu beschäftigen.

„Die Verankerung eines Mitspracheantrags in der Gemeindeordnung wäre innovativ für ganz Deutschland. Damit würden die Bürgerinnen und Bürger ein Stück mehr aus der Bittstellerrolle befreit und befähigt, selbst zu entscheiden, wann Beteiligung in welcher Form gewünscht ist“ erläutert Edgar Wunder. „Auch finden wir es besonders wichtig, dass sowohl bei einem Antrag auf ein bestimmtes Beteiligungsverfahren als auch bei einem Antrag auf Behandlung im Gemeinderat nicht nur die Bürger, sondern alle Einwohner unterschreiben können. Für den Zusammenhalt in einer Gemeinde ist es unabdingbar, dass sich alle von politischen Entscheidungen Betroffenen äußern können und wissen, dass ihre Stimme etwas bewirken kann“.

Mehr Demokratie e.V. leistet mit den vorgelegten Gesetzentwürfen einen konkreten Beitrag zur aktuellen Reformdiskussion und will damit die Regierungskoalition dabei unterstützen, Baden-Württemberg zu einem Musterland der Beteiligungskultur zu machen, so wie im Koalitionsvertrag angekündigt.