Bürgerwillen ernst nehmen und Konflikt um S 21 befrieden

Berichte zum Thema Volksabstimmung veranlassen den Fachverband Mehr Demokratie zu Klarstellungen.

Zutreffend sei, so bestätigt der Volksentscheidsexperte Prof. Roland Geitmann, dass ein Ausstiegsgesetz nach geltender Verfassungslage durch Volksabstimmung nur dann zustande käme, wenn ein Drittel aller Wahlberechtigten dem zustimmt, was eine irreal hohe Beteiligung voraussetze. Doch wenn eine Mehrheit der Abstimmenden den Ausstieg befürworte, sei der Landtag rechtlich frei, dieses Gesetz seinerseits zu beschließen. Dies zu tun dränge sich dann auf, wenn man ohnehin vorhabe, das Zustimmungsquorum eines Drittels aller Wahlberechtigten abzuschaffen. Genau dies hätten die künftigen Regierungsparteien mit einem Verfassungsänderungsentwurf vom August 2010 gefordert, weil das Quorum unberechtigt sei und verfälschend wirke.

"Wenn nicht der fatale Eindruck einer Scheinaktion entstehen soll, haben sich die künftigen Regierungsparteien dadurch politisch geradezu verpflichtet, den ihnen rechtlich offen stehenden Weg der Übernahme des Mehrheitsvotums beim Scheitern am noch geltenden Zustimmungsquorum zu gehen." Und dies sollte, so Geitmann, schon vorher angekündigt werden, um Abstimmungsboykottstrategien der S 21-Befürworter zu vermeiden, die sich sonst auf das Quorum verlassen.

Die freiwillige Übernahme des Mehrheitsvotums ist laut Mehr Demokratie nichts Außergewöhnliches: Auf kommunaler Ebene sei der Gemeinderat gemäß § 21 Abs. 6 GemO sogar ausdrücklich verpflichtet zu solcher Neubewertung und Entscheidung. Diesen Weg ist man z. B. in Heidelberg gegangen: Eine Mehrheit im Gemeinderat war für den Verkauf städtischer Wohnungen, die Bürger bei der Abstimmung mehrheitlich dagegen. Die Gültigkeit des Bürgerentscheids scheiterte indes am Quorum von 25 % aller Wahlberechtigten. Der Gemeinderat schloss sich nach dem Bürgerentscheid dem Votum der Bürger an und stimmte dann gegen den Verkauf der Wohnungen. Geitmann resümiert: "Wer meint, durch eine ‚unecht’, also trotz Mehrheit am Zustimmungsquorum gescheiterte Volksabstimmung über ein Ausstiegsgesetz eine ausreichende Legitimation für den Weiterbau von S 21 erlangen zu können, lässt die Bürger an Demokratie verzweifeln, riskiert einen Volksaufstand und verliert auf jeden Fall die eigene Glaubwürdigkeit."

Als Alternative bleibt, so der Fachverband, eine durch einfaches Gesetz zu ermöglichende Volksbefragung, an deren Mehrheitsvotum sich dann der Landtag hält. Für die Koalitionsvereinbarung würde für den Fall, dass das Projekt den Stresstest übersteht, die Vereinbarung ausreichen, dass dann (durch Volksabstimmung oder -befragung) die Meinung der Bevölkerung erhoben und dem Mehrheitsvotum entsprochen werden soll.