Bundesweiter Volksbegehrensbericht 2011: einer von drei Volksentscheiden in Baden-Württemberg

Der Verein für Mehr Demokratie präsentiert im jährlichen Volksbegehrensbericht Zahlen und Fakten zur Lage der direkten Demokratie in Deutschland. Im Jahr 2011 wurden 18 direktdemokratische Verfahren gestartet. Insgesamt waren 33 Verfahren in der Bundesrepublik am Laufen (2010: 30 Verfahren). Von vier im Jahr 2011 gestarteten Volksbegehren konnten drei abgeschlossen werden: zwei scheiterten an der Unterschriftenhürde und ausschließlich die Hamburger Initiative zur Rekommunalisierung der Energienetze erreichte die letzte Stufe des Volksentscheids, der 2012 stattfinden wird. Volksentscheide gab es drei, darunter die erste Volksabstimmung zu einer Sachfrage in Baden-Württemberg.

 

Die Entwicklung über die Zeit zeigt, dass BürgerInnen immer öfter ihr Recht auf Mitbestimmung wahrnehmen und Volksbegehren starten (Tabelle 2 VB-Bericht). Doch auch im Jahr 2011 scheitern 65 Prozent der Begehren, größtenteils aufgrund der überhöhten Unterschriftenhürden, aber auch aufgrund der Unzulässigkeit der Themen, die durch einen Volksentscheid beschlossen werden können. Ein Beispiel ist das Finanztabu: hier wird Bürgerbeteiligung als zwingend unzulässig betrachtet, obwohl zahlreiche Studien belegen, dass Länder und Kantone mit verbindlicher Bürgerbeteiligung in Finanzfragen geringere Ausgaben haben, weniger Schulden machen und geringere Steuerhinterziehung aufweisen (Siehe Beitrag “Der Bürger ist der bessere Haushalter“ im VB-Bericht). Mehr Demokratie fordert deswegen die Zulässigkeit von verbindlicher Mitbestimmung auch bei finanzwirksamen Themen. Erste Schritte in diese Richtung sind bereits zu verzeichnen: in Sachsen und Berlin haben die Verfassungsgerichte klargestellt, dass Volksbegehren sich auf den nächsten Haushalt auswirken dürfen.

 

Drei Mal hatten die Bürger 2011 die Chance durch einen Volksentscheid an der Gesetzgebung verbindlich mitzuwirken. Dabei ist nur der Volksentscheid in Berlin zur Veröffentlichungspflicht der Wasserverträge durch die BürgerInnen selbst initiiert worden. In Hessen stimmte das Volk in einem obligatorischen Referendum über eine Verfassungsänderung zur Aufnahme einer Schuldenbremse ab. Und im Fall Baden-Württemberg nutzte die Regierungskoalition zum ersten Mal den Artikel 60 (3) der Landesverfassung, um über ein vom Landtag abgelehntes Gesetz in einer Volksabstimmung entscheiden zu lassen.

 

„Gerade der Fall S21 zeigt, wie die Akzeptanz und die befriedende Wirkung von Volksentscheiden leiden, wenn Bürgerbeteiligung nicht von den Bürgern selbst initiiert werden kann, sondern erst im nachhinein von den politischen Repräsentanten beschlossen wird“, kommentiert Reinhard Hackl vom Landesverband Baden-Württemberg den Volksbegehrensbericht. “Direkte Demokratie bedeutet in konkreten Sachfragen politische Gestaltungsmacht an die Bürger und BürgerInnen abzugeben. Verbindliche Bürgerbeteiligung darf nicht vom guten Willen oder taktischen Überlegungen der Politiker abhängig gemacht werden. Die bisherigen Regeln in der Verfassung verhindern aber in Baden-Württemberg wie im Saarland, dass Bürger selbst über Volksbegehren Volksentscheide herbeiführen können. Wer die Hürden der direkten Demokratie so hoch ansetzt, dass sich eine Anwendung durch die BürgerInnen nicht ergeben kann, verzichtet darauf den Bürgern einen wichtigen Impuls für eigenes politisches Engagement zu geben“, hebt Hackl hervor.

 

„Die Regierungskoalition in Baden-Württemberg plant Reformen, ist dabei aber auf die Zustimmung der Opposition angewiesen. Da liegt es nahe sich von den Erfahrungen anderer Bundesländer leiten zu lassen: Hamburg ist Spitzenreiter, wenn es um die Häufigkeit von Volksbegehren (alle 1,1 Jahre) und Volksentscheiden (alle 2,7 Jahre) geht. Im Stadtstaat müssen in 3 Wochen 5 Prozent der Wahlberechtigten unterschreiben. Es besteht kein Zwang zur Amtseintragung. Das Abstimmungsquorum bei einfachen Gesetzen beträgt, wenn es mit keiner anderen Wahl zusammengelegt wird, 20 Prozent. Ansonsten müssen die Ja-Stimmen der Mehrheit der Stimmen entsprechen, die das aktuelle Parlament gewählt hat. Am Beispiel Hamburg wird deutlich, welche Bedingungen direkte Bürgerbeteiligung zu einem lebendigen Recht werden lassen, dass die repräsentative Demokratie maßvoll ergänzt. Dabei ist zu beachten, dass in einem kleinen Stadtstaat eine Unterschriftensammlung und eine Abstimmungsmobilisierung weit weniger Ressourcen bedarf. Nun gilt es auch für das Flächenland Baden-Württemberg angemessene Hürden zu finden, die einen 60-jährigen Rückstand in direkter Demokratie endlich überwinden“, schließt Hackl.

 

 

 

Volksbegehrensbericht und Presse-Info: www.mehr-demokratie.de/presse-hintergrund.html