Mehr Demokratie und abgeordnetenwatch kritisieren Einschaltung des Datenschutzbeauftragten

Streitet Städtetag für Recht der Gemeinderäte zum Weghören?
"Datenschutz wird gegen Transparenz ausgespielt!"

Ein einfaches Medium, "abgeordnetenwatch"im Internet erlaubt Bürgerinnen und Bürgern ihre Vertreter in den Gemeindeparlamenten zu fragen und alle können die Antworten mitlesen. Der baden-württembergische Städtetag findet nun, dass ehrenamtlichen Gemeinderäten nicht einfach gegen ihren Willen im Internet Fragen gestellt werden dürfen und hat deshalb den zuständigen Hamburger Datenschutzbeauftragten eingeschaltet. Der Städtetag sieht durch abgeordnetenwatch insbesondere alte und behinderte Gemeinderäte benachteiligt.

 

Gregor Hackmack von abgeordnetenwatch und Reinhard Hackl von Mehr Demokratie, dem Kooperationspartner des Internetportals, verstehen dieses Vorgehen nicht: "Im Zeitalter der neuen Medien müsste doch jedem Volksvertreter an einem möglichst niedrigschwelligem Zugang zu Volk gelegen sein!" Die vom Städtetag propagierte "Kultur des Ohrstöpsels" für Gemeinderäte könne jedenfalls keine ernstzunehmende Antwort auf die von der neuen grün-roten Landesregierung propagierten "Kultur des Gehörtwerdens" sein, finden die beiden Demokratieaktivisten.

 

Auch wenn Gemeinderäte Freizeitpolitiker sind, so sind sie doch Vertreterinnen und Vertreter der Bürger, von diesen gewählt und diesen auskunfts- und rechenschaftspflichtig. Hackmack ist deshalb überzeugt,dass es ein Recht zum Weghören für Volksvertreter in einer Demokratie nicht geben kann und dass sein Portal den Überprüfungen des Datenschutzes standhält. Gerade für ältere und behinderte Räte, die der Städtetag in seiner Begründung anführt, biete das Internet einen besonders einfachen Zugang zu ihren Wählern. In Baden- Württemberg sind bislang die Gemeinderäte aus Stuttgart, Bruchsal, Pforzheim, Heilbronn, Esslingen, Geislingen an der Steige, Villingen-Schwenningen, Tuttlingen und Konstanz durch die Bürger und Bürgerinnen im Internet befragbar.

Mehr Informationen unter <link http://www.abgeordnetenwatch.de.<http: www.abgeordnetenwatch.de>www.abgeordnetenwatch.de.&lt;&lt;link <http: www.abgeordnetenwatch.de></http:></http:>

www.abgeordnetenwatch.de

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Der Städtetag von Baden-Württemberg ist ein fairer Diskussionspartner von Mehr Demokratie und verfolgt ein aus seiner Sicht ernsthaftes Anliegen. Wir haben uns deshalb entschlossen, eine Stellungnahme des Städtetages hier zu veröffentlichen. Auch wenn wir inhaltlich anderer Auffassung sind, möchten wir mit dem Städtetag weiter einen fairen Dialog suchen. Abgeordentenwatch hat inzwischen dem Hamburger Datenschutzbeauftragten seine Sicht der Dinge erläutert. Über dessen Stellungnahme werden wir weiter berichten.

Wachsende Bedeutung Sozialer Medien für die öffentliche Meinungsbildung Expansion von Abgeordnetenwatch in die Kommunalpolitik

Unser Rundschreiben R 19625/2012 vom 27.01.2012

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

mit dem oben genannten Rundschreiben haben wir Sie über die Erweiterung der Internetplattform www.abgeordnetenwatch.de in die Kommunalpolitik auf Grundlage dreier Pilotversuche im Land (Stuttgart, Pforzheim, Villingen-Schwenningen) unterrichtet.

Gegen diese Erweiterung und die damit verbun­dene öffentliche Befragung von Kommunalpolitikern samt Veröffentlichung der Politikerantworten via diese Plattform haben wir keine Einwände. Unser einziger Dissens mit Abgeordnetenwatch besteht in der Beurteilung von dessen Praxis, Ratsmitglieder ohne deren Einverständnis in die Plattform aufzunehmen und damit die öffentliche Kommunikation mit ihnen zu eröffnen. Unsere Einschätzung, dass hierfür die Zustimmung der Betroffenen notwen­dig ist beruht wesentlich auf einschlägigen Äußerungen des Landesdaten­schutzbeauftragten.

Persön­liche Daten nicht gegen den Willen Betroffener zu verwenden bleibt über rein rechtliche Erwägungen hinaus auch im Internetzeitalter ein Gebot des respektvollen menschlichen Miteinanders. In anderen Bereichen wird dieses Gebot ganz selbstverständlich beachtet. Kommunalpolitiker sind nicht nur Objekte der Politik, sondern vor allem Menschen mit Recht auf Selbstbestimmung. Diese Selbstbestimmung ist gerade auch für ihr politisches Agieren wichtig; es sichert die in § 33 Abs. 3 GemO geforderte freie, nur am öffentlichen Wohl orientierte Amtsausübung und prägt die Persönlichkeit jedes Ratsmitglieds. Es eröffnet ggf. selbstverständlich auch ein Engagement bei Abgeordnetenwatch. Sofern Kommunalpolitiker den Wählerwillen missachten, haben sie die Konsequen­zen hierfür spätestens bei der nächsten Wahl zu tragen. Das gilt für Baden-Württem­berg in ganz besonderer Weise, da bei den hiesigen Kommu­nal­­wah­len Personen gewählt werden und nicht Parteien.

Da wir zum genannten Dissens keine Einigung mit Abgeordnetenwatch erzielen konnten, haben wir den Landesdatenschutzbeauftragten Ende Januar um eine Stellungnahme gebeten. Er hat diesen Vorgang zuständigkeitshalber an seinen Hamburger Kollegen weitergeleitet, da Abgeord­neten­watch seinen Sitz in der Hansestadt hat. Aufgrund der Stellungnahme aus Hamburg wollten wir uns mit Abgeordnetenwatch über das weitere Vorgehen verständigen.

Abgeordnetenwatch wusste dies und hat unsere jederzeit offene, konsensorientierte und trans­parente Vorgehensweise in einer Mail an uns vom 08.02.2012 ausdrücklich gewürdigt (Anlage 1), über den Dissens allerdings im eigenen Beritt seinerzeit offensichtlich nicht informiert. Diese Unterrich­tung ist durch Abgeordnetenwatch erst mit dem als Anlage 2 beiliegenden Newsletter vom 23.05.2012 an ca. 34.000 Abonnenten erfolgt, der inhaltlich falsch ist und in völligem Kontrast zur Mail vom 08.02.2012 steht.


Da Abgeordneten­watch jedwede Kommunikation hierüber verweigerte und uns andererseits sofort Anfragen von dessen Newsletterabonnenten hierzu erreichten, mussten wir den Vorgang mit den als Anlage 3 beigefügten Pressemitteilungen vom 24.05.2012 und 01.06.2012 öffentlich richtigstellen. Die durch den Newsletterversand ausgelöste Welle an Solidaritäts- und Unterstützungsbekundungen für Abgeordnetenwatch konnten wir mit diesen Mitteilungen allerdings nicht erreichen. Abgeord­neten­watch hat auch nicht auf unsere Bitte reagiert, die von ihm propagierte Transparenz herzustel­len, in dem es seinen Newsletterabonnenten auch unsere Position übermittelt.

Über uns ist deshalb ungebremst hereingebrochen, was man im Fachjargon einen „Shitstorm“ nennt, also eine Fülle von Vorhaltungen und Anschuldigungen per Mail und im Netz, die alleine auf der fehlerhaften Darstellung von Abgeordnetenwatch gründen.

So traurig sich dieser Vorgang entwickelt hat, vermittelt er andererseits einen sehr wertvollen Einblick in Mechanismen der öffentlichen Meinungsbildung mittels Sozialer Medien. Wir haben sie in unserem als Anlage 4 beigefügten Schaubild dargestellt. Die Meinungsbildung zu Konflikten erfolgt in den „klassischen Medien“ (Presse, Radio, Fernsehen) im Regelfall unter Beachtung eherner journalistischer Grundsätze. Danach sind stets die Positionen beider Konfliktparteien objektiv und ausgewogen darzustellen; erst darauf beruhend und davon ersichtlich abgehoben wird ggf. gewertet und kommentiert.

Eine den klassischen Medien entsprechende dritte Instanz neben den Konfliktparteien fehlt bei der Meinungsbildung in Sozialen Medien. Vielmehr erlangt dort die von einer Partei vorgegebene Meinung nach dem Schneeballsystem immer größere Wahrnehmung, weil sie von Newsletterabonnenten u. a. weiterverbreitet wird, ohne Gegenmeinungen einzubeziehen. Schließlich erreicht das strittige Thema hierdurch bzw. durch einen Shitstorm die klassischen Medien. Die Gewichte haben sich zu diesem Zeitpunkt in der öffentlichen Wahrnehmung des strittigen Themas allerdings schon einseitig verschoben. Die mit dem Shitstorm torpedierte Konfliktpartei steht in der Folge unter permanentem Rechtfertigungs­druck. Das Handeln und die Motive jener Konflikt­partei, die den Shitstorm ausgelöst hat, erscheinen hingegen per se legitim und werden folglich kaum hinterfragt.


Die einzige Möglichkeit, für (annähernde) Ausgewogenheit bei der Meinungsbildung zu stadt­relevanten Themen in den Sozialen Medien zu sorgen besteht daher darin, sich ggf. selbst als Stadt aktiv in diese Medien einzubringen. Dabei sind die besonderen Kommunikations­gepflogen­heiten in diesen Medien zu beachten.Mit diesem für die Kommunalpolitik und damit für alle Städte sehr wichtigen Gegenwarts- und Zukunftsthema befassen sich die in Vorbereitung befindlichen „Hinweise und Empfehlungen des Städtetags Baden-Württemberg zur Bürgermitwirkung in der Kommunalpolitik“ ausführlich.Siehe hierzu unser Rundschreiben R 20275/2012 vom 24.05.2012.


Mit freundlichen Grüßen


gez. Prof. Stefan Gläser

Oberbürgermeister a. D.