Anlässlich des heutigen Schlichterspruchs von Heiner Geißler zum Bauprojekt Stuttgart 21 erneuert der Verein Mehr Demokratie seine Forderung, Bürgerinnen und Bürger über das Bauprojekt abstimmen zu lassen. „Nur, wenn die Bürger selbst entscheiden, wird das Ergebnis in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz stoßen und damit den Konflikt auf lange Sicht lösen“, sagt Ralf-Uwe Beck, Mehr Demokratie-Vorstandssprecher. Geißler hatte heute eine Bürgerbefragung für juristisch machbar erklärt. Nach Ansicht von Mehr Demokratie ist darüber hinaus jedoch sowohl eine Volksbefragung als auch eine Volksabstimmung auf Landesebene möglich. Dies ergab eine Prüfung durch Prof. Dr. Roland Geitmann, Mitglied im Kuratorium von Mehr Demokratie und ehemaliger OB in Baden-Württemberg. Demnach kann der Landtag eine Volksbefragung per Gesetz ermöglichen. Eine Volksabstimmung wäre juristisch ebenfalls möglich, politisch nach der kommenden Wahl jedoch wahrscheinlicher als zum jetzigen Zeitpunkt, heißt es in dem Papier. Gegenstand von Volksbefragung und -abstimmung wäre die finanzielle Beteiligung des Landes am Bauprojekt Stuttgart 21. „Die Politik müsste sich im Falle einer Volksbefragung natürlich an das Ergebnis halten, um weitere Eskalationen zu vermeiden“, so Beck. Stuttgart 21 mache aber auch deutlich, dass eine Reform der direkten Demokratie in Baden-Württemberg überfällig sei. „Ohne verbindliche und faire Regelungen zur politischen Mitbestimmung wird es immer wieder zu solch schwierigen Patt-Situationen kommen.“ Geißler hatte heute ebenfalls dafür plädiert, unmittelbare Demokratie bei Bauprojekten zu stärken. In dem Verfahren nach schweizerischem Vorbild, das er vorschlug, wären Volksabstimmungen nach der Festlegung der Zielsetzung eines Projekts sowie nach Abschluss der Planung vorgesehen. „Wir begrüßen einen Ausbau der direktdemokratischen Rechte der Bürger, auch bei Großprojekten“, sagt Reinhard Hackl, Sprecher von Mehr Demokratie Baden-Württemberg. „Aber auch die direkte Demokratie in Baden-Württemberg muss dringend reformiert werden. Hier gab es noch nie ein erfolgreiches Volksbegehren und noch keinen einzigen vom Volk initiierten Volksentscheid. Die gesetzlichen Regelungen machen direktdemokratische Mitbestimmung unmöglich.“ Baden-Württemberg belegt in einem von Mehr Demokratie erstellten Ranking zur direkten Demokratie in den Bundesländern den vorletzten Platz. Nur im Saarland wird es Bürgerinnen und Bürgern noch schwerer gemacht, sich direktdemokratisch zu beteiligen. Mehr Demokratie fordert deshalb, die Volksgesetzgebung auf Landesebene erheblich zu erleichtern. Dazu soll das Unterschriftenquorum beim Volksbegehren auf fünf Prozent der Wahlberechtigten gesenkt werden. Bisher müssen über 16 Prozent aller Wahlberechtigten für ein erfolgreiches Volksbegehren unterzeichnen. Die Sammelfrist beim Volksbegehren soll laut Mehr Demokratie von zwei Wochen auf ein halbes Jahr ausgedehnt werden. Die Unterschriften sollen auch außerhalb von Amtsstuben gesammelt werden können. Auch beim Volksentscheid soll es nach Ansicht von Mehr Demokratie eine Reform geben. Abstimmungsquoren sollen entfallen oder zumindest gesenkt werden. In Zusammenarbeit mit Mehr Demokratie haben die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD einen Gesetzentwurf zur Reform der direkten Demokratie auf Landesebene in den baden-württembergischen Landtag eingebracht, der zurzeit im Ausschuss debattiert wird.