Mehr Demokratie legt erste Evaluierung zur Bürgerentscheids-Reform vor

Drei Jahre nach Inkrafttreten der novellierten Gemeindeordnung zieht Mehr Demokratie eine erste Bilanz und unterbreitet weitere Reformvorschläge für bessere Abläufe bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden.

Mehr Demokratie e.V. Baden Württemberg stellte am 23. November im Bürger- und Medienzentrum des Landtags die erste Evaluierung der Gemeindeordnungsreform von 2015 vor. Auf der Landespressekonferenz wurde über die Auswirkungen der am 1.12.2015 in Kraft getretenen Novellierung der Gemeindeordnung informiert, die u.a. die in § 21 enthaltenen Regelungen zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden bürgerfreundlicher gestaltete.

Der Landesverband Baden-Württemberg von Mehr Demokratie e.V. führt umfangreiche Datenbestände zu sämtlichen in Baden-Württemberg eingereichten Bürgerbegehren und durchgeführten Bürgerentscheiden seit 1956. Hinzu kommen noch Datenbestände über lediglich erwogene oder geplante Bürgerbegehren, die jedoch niemals eingereicht wurden.


Die wichtigsten Daten


Auf Basis dieser Daten kann festgehalten werden, dass in Baden-Württemberg derzeit pro Kalenderjahr mindestens etwa 200 Bürgerbegehren erwogen werden. Davon werden allerdings nur etwa 50 auch tatsächlich durchgeführt und eingereicht, von denen wiederum nur in etwa 25 zum Bürgerentscheid führen.

Auch wenn also nur ein geringer Teil der geplanten Bürgerbegehren am Ende auch zu Bürgerentscheiden führen, so ist die Anzahl der jährlichen Bürgerentscheide unter den neuen Regelungen dennoch angestiegen. Fanden im Zeitraum von 2006 – 2016 noch durchschnittlich 14,4 Bürgerentscheide pro Jahr in Baden-Württemberg statt, so liegt der Wert unter den neuen gesetzlichen Regelungen bei durchschnittlich 24,8 Bürgerentscheiden.

 

Die Reform von 2015 führte insofern zu einer moderaten Zunahme der Bürgerentscheide um etwa 10 Abstimmungen pro Jahr. 6 dieser 10 Fälle pro Jahr sind in der Erweiterung des Themenbereichs auf einleitende Verfahrensbeschlüsse zur Bauleitplanung begründet. Die anderen 4 Fälle gehen auf die Einführung der Auskunftspflicht der Gemeinden zum Kostendeckungsvorschlag zurück.


Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung bei Bürgerentscheiden ist hoch und stabil. Sie betrug im Untersuchungszeitraum nach der Reform 50 Prozent, was in etwa der durchschnittlichen Beteiligung an Gemeinderatswahlen entspricht.

Die wichtigsten Befunde der Evaluierung und Reformbedarf


Die neue verbindliche Fristenregelung, die längere Einreichungsfrist bei Bürgerbegehren und das Anhörungsrecht für Vertrauenspersonen haben zu einem wesentlich konstruktiveren Umgang mit Bürgerbegehren im Sinne einer angestrebten Befriedungsfunktion geführt und sind insofern als gelungen einzustufen. Die Zahl der Bürgerentscheide wurde durch diese Regelungen nicht beeinflusst.

Die Senkung des Zustimmungsquorums bei Bürgerentscheiden von 25 Prozent auf 20 Prozent hat den Anteil ungültiger Bürgerentscheide wesentlich auf nur noch 8 Prozent verringert und somit maßgeblich zur Befriedungswirkung von Bürgerentscheiden beigetragen. Da der Mehrheitswille seltener an einem Quorum scheitert, können in der Folge auch seltener Handlungen entgegen dem Mehrheitswillen der Abstimmenden durchgesetzt werden, die einer befriedenden Wirkung zuwider laufen würden.

Der dringendste Reformbedarf besteht bei der Formulierung des Kostendeckungsvorschlags. Die neue Regelung hat die Probleme mit der Rechtssicherheit nicht behoben. Mehr Demokratie empfiehlt hier den Blick über den Tellerrand. In elf Bundesländern wurde der Kostendeckungsvorschlag bei Bürgerbegehren bereits abgeschafft oder anders geregelt. Mehr Demokratie e.V. schlägt deshalb eine Regelung nach dem Vorbild von Rheinland-Pfalz vor, wo eine Kostenschätzung nicht beim Bürgerbegehren, sondern in der Informationsbroschüre zum Bürgerentscheid vorzulegen ist.


Weitere Reformvorschläge von Mehr Demokratie e.V. zielen auf eine qualitative Verbesserung der Verfahren.


Einige der Vorschläge im Überblick:


  • Änderung der Regelungen zum Kostendeckungsvorschlag nach dem Vorbild von Rheinland-Pfalz.

  • Einführung von Musterstimmzetteln für Bürgerentscheide in der Kommunalwahlordnung.

  • Einführung einer allgemeinen Auskunftspflicht für Gemeinden zu Bürgerbegehren oder Einführung der Möglichkeit einer Vorprüfung der Zulässigkeit von Bürgerbegehren durch die Gemeinde.

  • Verbesserte Regelungen für die Übernahme von Bürgerbegehren durch den Gemeinderat und um Kompromisse zu ermöglichen.

  • Verbindliche Durchführung einer Einwohnerversammlung vor dem Bürgerentscheid nach dem Vorbild der bereits verpflichtenden Informationsbroschüre.


Mittel- bis langfristig gibt es weitergehenden Reformbedarf. Die Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf Landkreisebene, nach den gleichen Regeln wie auf Gemeindeebene und eine sinnvolle Staffelung des Zustimmungsquorums bei Bürgerentscheiden nach der Einwohnerzahl der Gemeinden sind wichtige Punkte. Diese Regelungen haben sich in den Nachbarländern Bayern und Rheinland-Pfalz bereits bewährt!


Den ausführlichen Evaluierungsbericht können Sie hier einsehen.


Die Pressemitteilung zur Veröffentlichung des Evaluierungsberichts finden Sie hier.